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AutorenbildIngo

Zweibrettzimmer . . .

11. November 2023 - Pai

KM 10101


Wir sind ja inzwischen schon einiges gewohnt, so im Hinblick auf Hotelzimmer und Unterkünfte. Aber unsere Behausung in Pai ist betttechnisch ziemlich brettartig. Anni hat schon nachgeschaut, ob es tatsächlich eine Matratze gibt oder ob wir direkt auf zwei Holzbrettern schlafen. Manchmal denke ich, besser ich lege mich direkt auf den gefliesten Fußboden, der erscheint um ein vielfaches weicher. Nicht, das mich der geneigte Leser jetzt falsch versteht, die Unterkunft ist sehr schön, wirklich, nur wenn man nach so einem Reisetag müde auf die Bettstatt niedersinkt, das Gehirn möchte sanft gelagert die visuellen Kuriositäten verarbeiten, man jedoch das Gefühlt hat, auf einem 6 cm starkem Küchenbrett von Jamie Oliver abgehangen zu werden, ist das erholungsabträglich. Wie nennt der Cartoonist Ulli Stein es so schön, Zweibrettzimmer. Oder, vielleicht werde ich alt. Früher hab ich ja, wie ein Hippie, in Hängematten am Strand von Guatemala und Mexico geschlafen, was aber definitiv bequemer war.

Der Begriff Hippie ist die elegante Überleitung zu Pai. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wo ich da beginnen soll. Pai ist - nun ja, überall auf der Welt gleich. Ob es Pai heißt oder irgendwie anders, ist egal, weil es lediglich ein austauschbares Abziehbildchen einer jeden Generation ist. Gefühlt habe ich alle diese Menschen hier schon mal getroffen, in Lateinamerika, in Afrika, selbst hier und da in Europa. Wir waren heute bei einer Touristenattraktion, dazu gibts später mehr, und Anni fragte mich zwischendurch, dass sie gar nicht wüßte, was diese Fächermädchen und Poser-Pärchen hier eigentlich wollten. Zur Erläuterung, Fächermädchen sind in unserer hausinternen Kommunikation, hoffnungsvolle Nachwuchsinfluencerinnen, deren falsche Wimpern die Dimensionen eines kaiserlichen Fächers aus der Verbotenen Stadt haben und beim Augenaufschlag durchaus Luftverwirbelungen in der persönlichen drei-Meilen-Zone erzeugen.

Pai ist die manifestierte Sehnsucht nach, nach, nach, ja was. Erzeugt die vermeintliche Regel- und Zwanglosigkeit dieser "alten Hippie-Enklaven" eine gefühlte Losgelöstheit vom Korsett unserer späten, hochtechnischen Ziwilisationstage? Anders kann ich mir das nicht erklären. Heute war der Tag der gestylten Italienerinnen. Einem H&M Modemagazin entsprungen, nahe am Kostümdesign von Pirates of the Caribbean, unendlich viel nackte Haut, Lipgloss, Schminke und sorgfältigst ausgewählte Schmollschnuten für die Selfies in den liebevoll arrangierten und vorgegebenen Instapoints, plärrte die junge Damenschar durch die Natur. Die vereinzelt mitgeschleppten Herren bestechen durch, bis zum Bauchnabel offene Bambus- und Alohablüten bedruckte Hipsterhemden, Bauchtaschen mit Goldaufdruck und intensivstem Rasierwasserduft, der eine durchschnittlich blutrünstige Thaimücke zur Aufgabe ihrer angestammten Aufgabe zwingt. Besonders gut gefallen uns in diesem Zusammenhang die Jungs, die mit freiem Oberkörper und Badeschorts rollerfahrenderweise touristische Attraktionen in buddhistischen Ländern wahrnehmen. Zumal es hier nur 26 Grad warm ist und der Italiener an sich, dürfte

höhere Temperaturen gewohnt sein. Aber da Pai fest in deutschen, italienischen und holländischen Händen ist, wäre es falsch zu konstatieren, dass lediglich die Südeuropäer rollerfahrende Brustnudisten wären. Freiheit, das Tier rauslassen, Zwänge abwerfen, keine Ahnung. Pai ist eine Ansammlung von Bars, Restaurants, billigen Souvenirläden und schönen alten Holzhäusern, die aber allesamt in Investorenhand, aus Europa, Amerika oder China sind. Überhaupt, gefühlt sieht man Thais eigentlich nur in der Rolle des Dienstleisters. Am


Nachtmarkt, also, nicht dem Tourinachmarkt, sondern dort, wo Thais einkaufen und essen, ist wirkliches Leben. Eine kleine, lebendige und authentische Enklave asiatischer Lebensart, inmitten dekorativer, aber seelenloser Fressbuden, für die ungezügelte Urlaubsexperience. Aber am Thaimarkt kommen die eigentlichen Bewohner von Pai abends alle vorbei. Mit Hoteluniform, Tankstellenuniform, Polizisten, Handwerker, Bauern aus dem Umland. Dort gibt es Obst, Gemüse, Thaifood an Ständen. Alte, neue oder auch richtig abgestellte Roller stehen kreuz und quer, die Menschen, befreit vom Höflichkeitszwang gegenüber sehr, sehr seltsam anmutenden Farangs jeden Geschlechts, lassen ein Feuerwerk an Kommunikation los. Überall wird lautstark gequatscht, gelacht und sonst wie kommuniziert. Ein paar Blocks weiter versuchen die

Sinnsuchenden krampfhaft Social-Media-verwertbare Urlaubserinnerungen zu generieren. Die meisten Bars sind gerammelt voll mit aufgedonnerten Menschen, die versuchen unbekümmert das Leben zu greifen, es fest zu halten und in ihrer Verzweiflung eine Schwerelosigkeit ihres Seins zu erreichen. Zwanzigjährige Lifestyle-Hippies, die direkt aus den 70ern kommen könnten, Schlaghose, Stirnband und John-Lennon-Brille runden den Look ab. Aber die lackierten und ondulierten Accessoires ihres Auftritts haben eben mehr gemein mit einem Abziehbild als mit tatsächlicher Lebenseinstellung. Alles wirkt krampfhaft, Hauptsache der Look ist perfekt und das generierte Foto kündet von einer mystisch-unergründlichem Asienexperience. In solchen Augenblicken liebe ich es, die Thais zu beobachten, die, im Vollzug ihrer Dienstleistung, scheinbar stoisch, die halbnackten Menschen wahrnehmen, die sich aus einer überlegeneren Gesellschaftsordnung wähnen. Wenn so ein Hipster, mit allerlei kambodschanischen Tattoos, seinem hochgesteckten Haar, einer Batikhose, die so drüber ist, dass sogar die sonst so zurückhaltenden Thais kichern müssen, barfuß in ein Restaurant kommt, dann sieht man in den Blicken der Einheimischen klar die Botschaft: Farang, du bist ein Trottel, denn vor dem

heimischen Haus zieht man seine Latschen aus und geht sauberen Fußes ins Haus. Ich liebe westliche Trottel, die ohne Schuhe in ein Restaurant kommen und sich dann total frei und thaimäßig fühlen. Was würden die wohl sagen, wenn das ein Thai bei uns machen würde? Aber Städte wie Pai ziehen diese Menschen an. Hier ist die Relation von westlich, tätowierter Haut, in Form von Ganzkörperkunstwerken, im Verhältnis zur 70er Jahre Flowerpower-Batik-Buxe nahezu 2:1. Wir sind falsch angezogen und untätoviert, wird nix mehr mit uns. Da ich auch keinen Manbun trage und darüber hinaus auch keine Unterhemden, die unter den Armen bis zur untersten Rippe ausgeschnitten sein müssen, sind wir im Off. Neben uns an der Ampel hockt ein westliches Hippieimitat auf einem stylischen Roller, mehrfach in sich gewickeltes Stirnband, Modell Jack Sparrow, roter Fusselbart, Modell daran hab ich 3 Jahre gearbeitet, rot-schwarz-petrolfarbene Flickenpluderhose, barfuß, ein anorexieverdächtiger Rumpf steckt in einem weiten schwarzen Leinenhemd, das Errol Flynn in seinen besten Zeiten getragen hätte und schaut permanent an seinem Lookbookoutfit runter, während er dabei immer seine Lederriemchen und Kabalaperlen in die richtige, das heißt, möglich sichtbare, Position zurechtzuppelt. Eine echte

Karikatur, anders kann ich das nicht mehr bezeichnen. Ich erinnere mich daran, wie mich mal ein "echter" Hippi in Antigua auf Geld angeschnorrt hat. Ein "echter" Hippie. Zugekifft, indiomäßig gekleidet hat er mir erklärt, wie toll easy das Leben in Guatemala sei, er froh sei, dass er Deutschland den Rücken gekehrt hätte, denn hier wäre das Paradies und ob ich ihm 100 DM geben könnte. Er war völlig fertig, verdreckt, zum Fürchten ausgemergelt, abgebrannt aber Hauptsache der Schein war gewahrt. Immerhin zog er sein Ding durch, bastelte Indioarmbändchen und hatte seinen Stand am Marktplatz von Antigua aufgeschlagen. Aber hier in Pai ist die Vorstellung irgendwie so unstimmig, wie eine schlecht recherchierte Seifenoper. Der Stadtkern besteht aus alten, sehr schönen Thaihäusern. Wirklich, geradezu bilderbuchmäßig, doch wohnt hier keine einzige Thaifamilie mehr. Es sind alles Guesthouses,

Hotels, Bars und Restaurants. Innen alle gleich, Flatscreen über der Bar - Fußball ist auch während der Hippieexperience ultrawichtig, viele Biersorten, Pizza, Spaghetti, viel dunkles Holz, ein Buddha, eine Orchidee und schon ist das Farang Hostel fertig. Gerne noch ein kleiner Teich mit einer Lotosblüte und einer Bank, damit ist der Instapoint für die Fächermädchen auch gleich dabei. Bevor jetzt hier aber der Eindruck aufkommt, dass ich vorurteilsbeladen wäre, mir ist völlig gleich, was, wer, wie für Klamotten trägt. Ich versuche nur irgendwie, die sehr seltsame Stimmung in Pai einzufangen.

Am frühen Nachmittag schauen wir bei den Reisterrassen rein. Etwa 10 Kilometer von Pai entfernt, zu erreichen über eine schlechte Asphalt-, Sand-, Schotterpiste, liegt in den Bergen eine "Reisplantage". In leichten Terrassen strukturiert, wurde darüber ein Bambussteg als Gehweg quer durch die Anlage angelegt. Mittig kommt noch eine Teakholzpagode dazu und zusätzlich noch hier und da riesige Bambusgeflechtherzen, die als Instapoint fungieren. Es gibt etliche Reissorten, dunkle und helle Pflanzen, die jedoch alle kurz vor der Ernte stehen. Überall führt der Bambussteg zu kleinen Pavillonen, die zum Verweilen einladen. Die Reispflanzen sind bereits hochgewachsen und an vielen Stellen in großen Flächen plattgedrückt. Durch die Anlage fließ ein pittoresker Bach, der in der Regenzeit wohl die Dimensionen eines ausgewachsenen Flusses hatte. Etliche Teile der "Gehwege" sind beschädigt und anhand der Lange von Schwemmholz und Plastikmüll kann man genau feststellen, dass der Wasserstand mindestens 2-3 Meter hoch angeschwollen war. Es ist viel los, pausenlos kommen Roller, die kreuz und quer überall geparkt sind. Auf drei Fächermädchen kommt ein freier Oberkörper in Badeschorts. Die Ticketverkäuferin und ihre Kollegin sind bei in traditionellen Thaikleidern gewandet, Schultern bedeckt und bis übers Knie. Ich würde super gerne ihre Gedanken lesen.



Wir schlendern über die Anlage, bewundern lange die Selfigewohnheiten des Homo Hippisensius und genießen die warme Abendsonne. Die Jugend hechelt hier von Selfiepoint zu Selfiepoint. Wir sitzen gemütlich in einem Pavillon, mit Blick über die Reisterrassen, da gesellen sich drei römische Fächermädchen und ein Offenes-Hawaiihemd-Casanova dazu. Aber die Stille und das kontemplative dieses Pavillons überfordert sie gänzlich. Nach 30 Sekunden, wissen sie nichts damit anzufangen und der junge Nachwuchs-Poser beginnt zu facetimen, während die jungen Nachwuchsinfluencerinnen unruhig auf der Bank hin und her rutschen, damit das schräg nach oben gehaltene Handy möglichst vorteilhaft, das Piratentuch, den Schmollmund und das Dekolleté vor den Reispflanzen einfangen kann. Wenn der geneigte Leser jetzt denkt, ich würde die Nase rümpfen oder wir wären genervt, den muss ich an dieser Stelle enttäuschen. Das Rahmenprogramm hier ist super. Reisterrassen und Poserpärchen für 40 Bath, wo gibts denn dass noch? Also, wir müssen jetzt erst mal Selfies machen. In diesem Sinne, bonne nuit folks!


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1 Comment


Marc Luetjens
Marc Luetjens
Nov 12, 2023

KI hilft dem geplagten Körper eines wimpernlosen Dollyfahreres in unansehnlicher Kleidung:

Die Härte eines Bettes hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Körpergewicht, der Körpergröße, der Körperform, der bevorzugten Schlafposition und dem persönlichen Empfinden. Es gibt keine allgemeingültige Regel, wie hart oder weich ein Bett sein sollte, aber es gibt einige Anhaltspunkte, die Ihnen bei der Auswahl helfen können.

  • Das Bett sollte so hart oder weich sein, dass Ihre Wirbelsäule in einer natürlichen und entspannten Haltung liegt, egal ob Sie auf dem Rücken, der Seite oder dem Bauch schlafen.

  • Das Bett sollte sich an Ihre Körperform anpassen und die breiteren und schwereren Körperzonen wie Schultern, Hüften und Becken tiefer einsinken lassen, während die schmaleren und leichteren Körperzonen wie Taille,…


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