21. November 2023 - Chiang Rai
KM 10920
Das Wat Rong Khun ist, nun ja, wie sage ich es vorsichtig, eine Mischung aus Lebkuchenhaus und einem Eispalast, Modell Dr. Schiwago. Natürlich ist es einfach überwältigend, wie es da so in der morgendlichen Sonne liegt. Schneeweiße Gebäude vor dem tiefblauen Winterhimmel Nordthailands. Wunder über Wunder des Orients.
Die ganze Anlage ist ziemlich groß und erst zu 20% (!) fertig gestellt. Das Wat Rong Khun ist kein buddhistischer Tempel im klassischen Sinne. Es gilt als privates Kunstwerk im Stile einer buddhistischen Tempelanlage. Die Konzeption des Tempels geht auf den thailändischen Künstler Chalermchai Kostipipat zurück. Der scheint ein recht ungewöhnlicher Künstler zu sein, denn, obwohl es von Weitem wie ein typisches Wat konzipiert ist, sind die verwendeten Elemente ziemlich ungewöhnlich. Das fängt schon auf dem Parkplatz an, da haben die Pylonen eine Spitze aus vierfachen Totenköpfen, genauso wie die Spitzen der schmiedeeisernen Tore.
Allein, dass der größte Teil der Gebäude in weiß halten ist, muss für Thailand schon als sehr ungewöhnlich angesehen werden. Weiß gilt in Thailand als die Farbe der Trauer. Allein schon damit bricht Chalermchai Kostipipat mit den tradierten "Farbvorgaben" buddhistischer Tempel. Interpretationen gibt es viele, aber der Künstler selbst will die weiße Farbe als eine Ode an die Reinheit Buddhas verstanden wissen. Egal was und wie man das alles interpretieren möchte, jeden Besucher zieht dieser Tempel sofort in seinen Bann. Klugerweise gibt es am Zugang, an der Wasserfläche, die Möglichkeit Fotos zu schießen, ohne, dass jemand die Aufnahme stört. Erinnert uns sehr ans Taj Mahal, wo es einen ähnlichen Standort gibt, sodass jeder Besucher, stressfrei ein Foto ohne die ganzen anderen Besucher machen kann. Wir sind recht früh da,
so gegen 10 Uhr, doch es ist schon gerammelt voll. Busse aus Chiang Mai und Chiang Rai stehen schon auf den Parkplätzen, Roller, Kleinbusse und Privattaxen säumen die Zufahrtsstraße. Normalerweise besuchen wir die Wats lieber im weichen Nachmittagslicht. Aber derzeit zieht hier mittags immer etwas Dunst auf, doch die Morgenstunden haben einen so bestechenden blauen Himmel, dass wir ausnahmsweise mal früher los sind. Die Anlage ist geschickt angelegt, denn der Tempel hat ein "Einbahnstraßensystem", was heißt, dass alle Besucher sich immer nur vorwärts bewegen. Mit ein bißchen bummeln bekommt man immer die Gelegenheit seine Fotos zu schießen, ohne wirklich die großen Besucherströme im Bild zu haben. Da das alle wollen, sind hier alle auch sehr entspannt. Die große Wasserflächen, in der ebenfalls, unter anderem, weiße Kois rumdümpeln, erzeugt im Morgenlicht eine famose Spiegelung.
Zunächst muss der Besucher über einen schmalen Zugang zu einer Brücke gehen, so schmal, dass tatsächlich immer nur eine Person darüber gehen kann. Für den Fotografen ein Geschenk.
Das ist der spirituelle Weg durch die Hölle, so symbolisch gesehen und gestalterisch dargestellt durch Hunderte von Händen, die sich aus einem Sumpf emporstrecken. Die Anlage ist so detailreich, dass man einen Bildband machen müsste, um alle künstlerischen Feinheiten wirklich abbilden zu können. Da ich ab er ohnehin schon häufig einen Besucherstau verursache, muss ich mich immer etwas sputen, damit ich fotografieren und filmen gleichzeitig
hinbekomme, ohne von den anderen Gästen gesteinigt zu werden. Neben den Händen tauchen schon auch seltsame Figuren auf, deren spirituelle Bedeutung wahrscheinlich jedem Buddhisten wohlbekannt sind, sich dem europäischen Geist doch wohl eher verschließt.
Die anschließende Brücke wird von zwei Tempelwächtern flankiert. Sie symbolisiert den Übergang vom Zyklus der Wiedergeburt zum Raum Buddhas. In den Brückenboden und überhaupt an den meisten Stellen der Anlage befinden sich ebenfalls Symbole in den Boden eingelassen. Der kleine Halbkreis bspw. vor dem eigentlichen Viharn steht für die Welt des
Menschen, habe ich zumindest gelesen. Natürlich müssen wir auch hier wieder die Schuhe ausziehen, daher gibt es eine Bank und wir lassen uns im Schatten nieder, allein um die ganzen Details in Ruhe bestaunen zu können. Die Dachabschlüsse sind eher ungewöhnlich, denn für gewöhnlich sind das immer stilisierte Schlangen. Aber hier verwendet der Künstler auf dem Dach vier Kreaturen, die die Elemente Erde (Elefant), Wind (Schwan), Wasser (Maga/Schlange) und Feuer (Löwe) darstellen. Grundsätzlich ist alles Weiß gestrichen und die Konturen der Details sind mit Glasplättchen ausgelegt und jeweils der 4. Teil einer Konturlinie besteht aus
einer Spiegelfliese. Dieses System erzeugt, neben einer klaren Detailkontur, bei hoher Sonnenstrahlung ein Funkeln der Linienführung. Wenn man nun an dem Viharn entlangschlendert blitzen überall verteilt Sonnenreflektionen auf und vermitteln das Funkeln eines Diamanten, der sich bewegt. Das Innere des Viharns beherberg einen großen weißen
Buddha, wie kann es auch anders sein. Da aber das Fotografieren im Innern verboten ist, muss ich die Bilder davon schuldig bleiben. Natürlich hatte ich bereits zwei Bilder gemacht, als mich ein Wächter ziemlich rüde darauf aufmerksam machte. Ich war so gefangen in diesem visuellen Feuerwerk, dass ich einfach nicht die Verbotsschilder gesehen habe - sorry! Das Innere des Viharns ist schon sehr skurril. Die Wandmalereien sind auf goldenem Grund gehalten und an der Stirnseite, dem Buddha gegenüber, hat der Künstler seiner Weltkritik freien lauf gelassen. Hier taucht alles auf, von Michael Jackson über Jack Sparrow, von Captain America über die Minions
(kein Witz - man muss sich die beiden Fotos nur etwas vergrößern), Anklagen gegen die Ölmultis und deren Abhängigkeiten, die Twin Towers am 11. September, das generelle Leiden der Menschen - symbolisiert durch ein Gesicht, in dessen Haut sich rasterförmig gesteckte Nadeln befinden, Spiderman, Hello Kitty und ich weiß nicht, was noch alles, befindet sich in diesem Wimmelbild zeitgenössischer Populär- und Konsumkultur. Wände, Fußböden und die Decke zeigen Anspielungen auf die Versuchungen, die vor dem die Welt überwindenden Zustand stehen, wenn ich das alles so richtig verstanden habe.
Ursprünglich stand an dieser Stelle mal ein Wat, was aber wohl am Ende des 20. Jahrhunderts in Ruinen lag. Es fehlte aber an Geld, das Wat in seiner ursprünglichen Form wieder zu rekonstruieren und so beschloss Chalermchai 1996, den Tempel in abgewandeltem Stil zu erneuern. Ein Team von 120 Freiwilligen, darunter Bauarbeiter, Architekten und Künstler, begannen ein Jahr später mit den Bauarbeiten. Chalermchai widmete sich mit 1,2 Millionen US-Dollar eigener Mittel an der Schaffung des Tempels;. Er sah es als Opfer an Buddha, zumindest wird das so berichtet. Aktuell sind erst ungefähr 20% der geplanten Anlage gebaut. Wann die Fertigstellung ist, kann nur vermutet werden - derzeit wird von 2070(!) ausgegangen. Die ganze Anlage erinnert ein wenig - wieder einmal - an die Sagrada Familia, deren Fertigstellung ja nun endgültig 2028 sein soll. Überhaupt sind hier große Parallelen zu Gaudi, alleine die Verwendung von vielen Fliesenfragmenten oder die parkähnlichen Teile des Tempels.
Überall in der Anlage stehen bereits fertig gestellte Pagoden und Viharne. leuchtend weiß gestrichen, warten sie auf die Verzierungen, die es bisher nur an wenigen Gebäuden gibt. Bei genauerem Hinsehen, kann man die baulichen Grundstrukturen der buddhistischen Gebäude
schon gut erkennen. Die Dachziegel sind übrigens nicht hart weiß gefärbt, sondern in cremigem Altweiß. Wie Gaudis Bauwerk, wird auch dieser Bau ausschließlich durch Spenden finanziert. Um aber unabhängig von Großspendern zu sein, hat Chalermchai eine maximale Spendensumme von 10.000 THB (etwa 250 Euro) verfügt.
Entlang der weißen Gebäude gibt es einen schattigen "Wandelgang", dessen Bänke zum Verweilen einladen. Wir sitzen da ziemlich lange auf einer Bank und genießen dieses visuelle Feuerwerk, dessen Details immer vielfältiger werden, je länger wir es betrachten.
Außerdem gibt es noch einen goldenen Ganeshatempel, der erst bis zu einem gewissen Grad verziert wurde. Auch hier wird es vermutlich noch Jahre dauern, bis er völlig fertiggestellt ist.
Das Dach über dem großen bronzenen Ganesha ist bereits vollendet, der Rest ist bisher nur das betonierte Grundgerüst. Chalermchai hat übrigens auch den Clock Tower von Chiang Rai entworfen und wenn man den sieht, kann man sich ungefähr vorstellen, wie der Ganeshatempel mal aussehen wird.
Neben so durchgeklnallten Objekten, wie den Clock Tower hat er auch die Toiletten auf dem Tempelgelände gestaltet. Wir vermuten, dass wir zukünftig in dieser Hinsicht etwas verwöhnt sind und uns nicht mehr mit minder gestalteten Toilettenhäuschen zufrieden geben werden.
Was soll ich sagen? Unglaublich auf jeden Fall und einfach herrlich "durchgeknallt". Oder auch der "geflieste Heinrich", der am Eingang auf einer Parkbank sitzt, scheint mehr so einer schweren Stunde des Künstlers zu stammen. Dennoch ist es wunderschön hier.
Natürlich wäre es völlig ungewöhnlich, wenn die konservativen Kreise Chalermchais Formensprache sofort ins Herz geschlossen hätten. Man denke hier nur an das Richter-Fenster im Kölner Dom. Ähnlich lief es hier auch ab. Anfeindungen, Ablehnung etc., der Künstler sah sich dem ganzen Intoleranzprogramm ausgesetzt, was aber letztlich abebbte, als dieser Tempel sich immer mehr zu einem Magneten für Pilger und Touristen entwickelte und natürlich auch, dass der verstorbene König Bhumibol Adulyadej zum Kundenstamm des Künstlers gehörte. Heute ist er eine Autorität, eine lebende Legende und vermutlich kann er inzwischen alles produzieren, was er will - es wird ein Erfolg . . .
In einem Seitenpavillon kann man so Blechherzen mit Gebämsel daran kaufen. Man schreibt darauf, was einem wichtig ist und hängt es an einem "Baum" auf. Ist der Baum voll, werden die guten Wünsche, Bitten und Sorgen unter den Wandelgängen entlang des weißen Tempels aufgehängt. Wir finden, dass das eine sehr schöne Sitte ist, weshalb wir etliches Blechgebämsel kaufen und werden es an - für uns wichtigen - Orten unserer Reise zurücklassen. Bonne nuit folks!
KI und Thailändische Farbenlehre:
In der thailändischen Kultur haben Farben eine wichtige Bedeutung. Die Farbe Rot steht für das Blut des Volkes, Weiß symbolisiert Reinheit und buddhistischen Glauben. Weiß oft mit Trauer und Tod in Verbindung gebracht, und es ist üblich, dass Menschen bei Beerdigungen weiße Kleidung tragen. Blau steht für die Monarchie und ist seit 1917 Teil der thailändischen Flagge.
Jeder Wochentag wird einer oder mehreren glücklichen und unglücklichen Farben zugeordnet, die mit den Namen der Planeten, des Mondes oder der Sonne zusammenhängen. Diese Farben werden als Glücksfarben für den jeweiligen Tag angesehen.
Hier sind einige der wichtigsten Farben in der thailändischen Kultur:
Farbe ThaiTranskription Aussprache
Rot สีแดง sii dääng
Dunkelblau สีน้ำเงิน sii nam-ngön
Hellblau สีฟ้า sii faa
Gelb…