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AutorenbildIngo

Lakritzschnecken . . .

Aktualisiert: 17. Feb.

15. Februar 2024 - Bangkok

KM 19.054


Nach unserem touristischen Waterloo von gestern, machen wir heute in krisensicherem Programm. IrgendWat wird schon gehen und dann brauchen wir mal eine Abwechslung von der spirituell reinen Thailebensweise, geprägt von Intuition sowie Tradition und werden eine Shopping Mall aufsuchen. Nicht das uns heute ausgerechnet eine Shopping Mall zu kantscher oder aristotelischer Logik verhelfen würde, die Irrationalitäten des Bangkoker Alltagslebens zu verstehen, aber immerhin ist es dort kühl. Wolkiger Dunst liegt über den Straßen von Alt



Bangkok. Wir sind zwar früh raus, es ist 08:40 Uhr, in den täglichen Wahn der thailändischen Megalopolis, doch es sind jetzt schon fast 30 Grad. In den Gassen steht die Luft und, nebenbei erwähnt, auch die gesamtne Gerüche frühmorgendlicher Abwässer, die sich durch die schmalen Lüftungsschlitze der maroden Betonabdeckungen winden. Die Einheimischen wissen bereits, dass sie heute nicht in die gleißende Sonne hinaustreten sollten. Die schmalen Wege von unserem Hotel zum Wat Indharaviharn sind menschenleer, nur im Schatten großer Planen und Wellblechdächern brutzeln und köcheln bereits diverse Frühstücksgerichte.




Vor unserem Hotel verläuft die Wisut Kasat Road. Eine große Hauptstraße, die zwischen zwei engstehende Häuserzeilen gebaut wurde. Und was macht Bangkoks Metropolitan Administration, gemeinsam mit dem Ministry of Rural Roads (die heißen wirklich so!'), richtig - man legt einfach vier Spuren auf eine Hochtrasse. Die Hochtrasse verläuft direkt vor unserem Hotelfenster, was so ein bisschen den Eindruck verschärft, die Fahrzeuge würden direkt am Bett vorbeifahren. Besonders bei LKWs vibriert das ganze Hotel, natürlich auch unser Bett und



wandert ein wenig hin und her. Die Wisut Kasat Road geht übrigens einen guten halben Kilometer später in die Rama VIII. Brücke über. Dementsprechend ist hier viel los und unser Bett ist häufig auf Vibrationswanderschaft. Auch des Nachts, bevor der geneigte Leser sich diese Frage im Stillen zu stellen beginnt. Natürlich hat das überaus zuvorkommende Hotelpersonal Gehörschutz bereit gestellt, wie man es beim Militär nennen würde. Damit schlafe ich übrigens wie ein Stein. Eigentlich erwache ich nur, wenn ein Ambulanzwagen, mit kreischendem



Martinshorn auf die Brücke zusteuert, das Bett vibriert und ich - gefühlt - orientierungslos in der Notaufnahme irgendeines thailändischen Krankenhauses aufzuwachen scheine. Aber ich schlafe ziemlich gut bei dem Lärm, was mich nicht erstaunt, habe schließlich 3 Jahre direkt an der A40 in Essen-Kray gewohnt, das härtet ab. Anni ist hingegen mit ihrer Schlafleistung nicht so zufrieden. Doch Hotellage und unser Hotelzimmer entschädigen, auch die für Fahrzeuge, die am Bett vorbeifahren.



      Beim Überqueren der Wisut Kasat Road, zu dieser frühen Stunde eher ein selbstmöderisches Unterfangen, stellen wir fest, dass immerhin ein wenig morgendlicher Sauerstoff Zugang zum Kohlenmonoxid findet. Im Wat Indharaviharn sind wir allein. Der frühen Morgenstunde geschuldet, sind noch keine Busse angekommen. "Das Wat Indharaviharn ist ein königlicher Tempel dritter Klasse", lese ich da auf einer braunen Holztafel. Aha, so so. Wenn ich das jetzt richtig verstehe, ein drittklassiger Tempel also! Hmmm. Seltsam, denn eigentlich ist der Tempel ziemlich berühmt, allein schon wegen seiner 32 Meter hohen Buddha-Statue, die man aus den verschiedensten Teilen des Phrae Nakhon Distriktes sehen kann. Zum besseren Verständnis, in Alt Bangkok stehen so gut wie keine Betonsplitter mit Hunderten von Etagen



rum. Das Wat besteht eigentlich aus zwei, jeweils durch eine Mauer abgegrenzte Flächen. Mittig verläuft eine Gasse. Das Bleichgesicht als Solches, muss aber bereits direkt hinter dem Tor 40 Bath berappen. Das Tor wir gerade sehr aufwendigst restauriert oder überhaupt ganz neu gemacht. Dabei formt ein Team den dreiköpfigen Elefanten, genau vier Mal. Ist schon spannend zu sehen, wie da mit Beton modelliert wird. Im fertigen Zustand wird das dann schon ordentlich was hermachen, so viel ist mal sicher. Da der Zugang zum Wat vor der erhöhten Schnellstraße verdeckt wird, ist so ein bißchen Pomp am Eingang auch notwendig. Denn genau dort, führt zusätzlich auch noch eine Auffahrt zur Rama VIII. Brücke und dadurch ist das Verkehrsgewusel vor dem Eingang des Wats besonders rummelig.



Gebaut wurde der Tempel zu Beginn des Ayutthaya-Königreichs und wurde ursprünglich Wat Rai Phrik benannt, was übersetzt „Wat im Gemüsefeld“ heißt. Also haben wir hier in Phrae Nakhon einen zweitklassigen Tempel, der mal in mitten der Reisfelder stand und einen Drittklassigen, der zwischen Gemüsefeldern erbaut wurde. Aha, so so. Um Bangkok muss es ja ganz schön ländlich zugegangen sein, also mehr so beschaulich, während wohl die ganze Action in Ayutthaya war. Wer weiß das schon? In anderen Quellen steht übrigens, dass die richtige Übersetzung des ursprünglichen Namens "Tempel an der Chiliplantage" lautet. Aha, so so. Das ignoriere ich mal, so kurz vor dem Frühstück. Schließlich habe ich gestern Abend wieder ein




"Feuerspei-Pad-Thai" bekommen . . . So, weiter mit den Fakten: Während der Herrschaft von König Vajiravudh, ach der, wurde es von Chao Inthawong renoviert, woraufhin es als Wat Indharaviharn bekannt wurde. Uff, jetzt muss man weiter ausholen. Der gute Chao Inthawong war ein Kriegsgefangener von Rama I., der hier, zwischen dem Gemüse, die Gefangenen festsetzte. Chao Inthawong war ein höchst gläubiger Buddhist und außerdem der Sohn des laotischen Königs Bunsan. Nur als Anmerkung, König Bunsan hieß übrigens mit vollem Namen Somdet Brhat Chao Dharma Adi Varman Maha Sri Bunyasena Jaya Setha Adiraja Chandrapuri Sri Sadhana Kanayudha. Ich glaube der geneigte Leser stimmt mir zu, dass wir es bei Bunsan belassen. Auf jeden Fall, ließ der internierte Königssohn den ursprünglichen "Chilitempel" renovieren und setzte auch einen Priester aus Vientiane als Abt ein, der ihn ins Exil begleitete. Zu seinen Ehren heißt der Tempel jedenfalls bis heute Wat Indharaviharn.





Der Usobot ist natürlich prächtig und innen auch großartig bemalt, doch natürlich ist die große Buddhafigur der unbestrittene Topact der Anlage. Daher muss man auch schon sofort am Gasseneingang das Ticket kaufen, denn das kulturbegeisterte Bleichgesicht würde vermutlich nur den weithin sichtbaren Buddha fotografieren und dem Tempel keine Beachtung mehr schenken. Das Problem ist die Wat-Übersättigung in Bangkok. Würde dieser Usobot irgendwo auf dem Lande stehen, wäre man in höchstem Maße verzückt. Hier stehen aber so viele, augenscheinlich sehr schöne, exotische und auch beeindruckende Wats in der Gegend herum, dass Bangkoker Wat-Besuche häufig etwas, visuell Inflationäres bekommen.



In der frühmorgendlichen Sonne funkelt und glitzert die 32 Meter hohe und 10 Meter breite stehende Statue. Buddhafiguren sind stets nach Osten ausgerichtet. Außer uns sind nur noch zwei weitere Gläubige in der Anlage, deren friedliche Morgenstimmung uns wieder mal sehr beeindruckt. Eine ältere Dame sitzt im Lotossitz auf einer Bank und meditiert. Wir nehmen Platz auf einer anderen Bank und die Ruhe ist betörend, trotz des dumpfen, entfernt herüber schallenden Stadtechos betriebsamer Straßenhektik. Seltsam zweidimensional mutet das Bauwerk an, mit dessen Errichtung 1867 begonnen wurde. Es dauerte weitere sechzig Jahre,



bis der Bau 1927 abgeschlossen werden konnte. Häufig sitzen wir vor ähnlich dimensionierten Buddhabildnissen und fragen uns, wie die Figuren konstruiert wurden. Besonders in den Ruinen von Ayutthaya und Sokhuthai konnten wir feststellen, dass dazu meistens gute alte Ziegel, Augenmaß und viel Stuck notwendig waren. Der Buddha im Wat Indharaviharn besteht



ebenfalls aus Ziegeln und Stuck. Initiiert hatte den Bau der damalige Abt des Tempels, der während des Baus 1871, ausgerechnet am Fuße der Figur verstarb. Treppen an den hinteren Seiten des Buddhas ermöglichen den näheren Zugang, um Blattgold auf die Statue zu kleben oder auch, um auf die höher gelegenen Plattformen zu gelangen. Doch, da die Türen zu den höheren Ebenen verschlossen sind, auch niemand im Tempel des Englischen mächtig ist, bleibt uns der Blick über Phrae Nakhon, im Blickwinkel des Buddha versagt. Anlässlich des 200. Jahrestags der Gründung der Stadt Bangkok, renovierte man die Figur wohl und sie wurde mit



italienischen Goldmosaikfliesen (24-Karat-Gold) beklebt. Der Ushnisha, das ist der Dutt, wie der Westfale sacht, also der Haarknoten der Buddha-Statue, soll eine Reliquie von Gautama Buddha enthalten. Die Reliquie hat wohl die Regierung Sri Lankas dem Tempel zum Geschenk gemacht. Die Verankerung der Reliquie in der Ushnisha nahm übrigens der, damalige Prinz und heutige König, Vajiralongkorn vor.

Nach so viel Spiritualität und geballter Historie, brauchen wir etwas Handfestes. Wir fahren in die City. Mit dem Bus 505, vom Thailändischen Olympischen Komitee aus. Der Bus ist uralt, klapprig, verrostet und hat eine Klimaanlage, deren Leistung die meisten Hightech-Klimises in den überhitzen Zentren Asiens und des Nahen Ostens wohl neidisch machen würde. Es herrscht



Zermatt! Wir brauchen 45 Minuten bis nach Sukhumvit und kommen mit Unterkühlungen und Erfrierungen am Central-World-Shopping Paradies an. Eigentlich suchen wir ja nur einen AIS Shop - immer noch - denn wir brauchen "frisches" WLAN für unsere Thai-Sim Karte unseres Privat-Routers - auch wenn wir nur noch eine Woche hier sind. Bankgeschäfte machen wir bspw. prinzipiell nur über den eigenen Router . . . Die Hitze steht zwischen den Häuserschluchten des Konsumparadieses. In Minuten ist mein Tshirt durchgeschwitzt, was nach Zermatt in die Sahara, kein Wunder ist. Der Smog ist krass und die fahlen Sonnenstrahlen, des sich zuziehenden Himmels, prickeln auf der Haut. Wenn der geneigte Leser jetzt anhand der



Bilder aus Bangkok Downtown glaubt, es wäre ja kein Verkehr, dann ist er gewaltig im Irrtum. Es ist nur gerade Rot an diversen Kreuzungen. Wenige Minuten, nachdem ich die Bilder aufgenommen habe, ist das Chaos schon wieder perfekt. Die Ampelphasen hier sind ein Albtraum, weshalb wir auch auf die Benutzung der Bergziege verzichten, denn bei den Temperaturen steht man mehr in der Sonne, als dass man fährt. Das Central World ist ein



riesiges Shopping Paradies, nur eben nicht mit den Premiumlabeln, wie man heute so schön sagt. Mehr so auf eine junge Zielgruppe ausgerichtet, also uns, klar'! ImThe Big C Supermarkt werden wir fündig. Anni stolpert über ein Regal der Fa. Haribo, das förmlich die Gesamtpalette der Firma abbildet. Das heißt hier im Übrigen "The Haribo-Bus". Es gibt sogar Lakritzschnecken. Dem Himmel sei Dank! In ihren schwachen Momenten, so alle paar Monate bei Reis und Nudeln, kommt dann doch die Pottprinzessin durch und es müssen Lakritzschnecken sein. Tja, was soll ich sagen. Das ist auf jeden Fall der Höhepunkt ihres Bangkokaufenthaltes, ach - was sage ich da - ihre Herberge zur 7. Glückseligkeit, wie die Chinesen es nennen würden.



Das Jahr des Drachen ist übrigens noch überall präsent. Es gibt wohl kein Geschäft, was nicht in irgendeiner Form auf das chinesische Neujahr reagiert hätte. Unglaublich, wie sich ganze Branchen auf dieses chinesische Ereignis eingestellt oder sogar ausgerichtet haben. Bei Calvin Klein nimmt die Werbung für die "Year fo the Dragon-Unterwäsche" das ganze Schaufenster ein. Bei der Fa. Vans gibt es sogar eine spezielle Drachenedition, bei der der "Vans-Streifen" dreidimensional, wie der geschuppte Körper eines chinesischen Drachens gestaltet wurde (Foto: Vans Thailand / Facebook). Sämtliche Treppenhäuser sind durchzogen von Papier- oder Stoffdrachen,



Aufklebern oder digitaler Animation. Auch hier läuft eine Zermatt-Temperierung, was zwar angenehm für den Moment ist, doch wenn wir die Glitzerwelt wieder verlassen und in Bangkoks Realität eintauchen, wird es wohl wieder schweißtreibend sein. In der dritten Etage finden wir einen AIS-Shop und können unsere Sim-Karte problemlos aufladen, die wir schon im Oktober und November benutzt haben. Wir schlendern durch die Shopping Mall, doch irgendwie finden wir nichts, was so richtig unser Herz mit Freude erfüllen würde. Nicht, dass wir Platz hätten, irgendetwas mitzunehmen, aber so richtig ansprechen tut uns nichts, außer vielleicht die Lakritzschnecken. Unser Kosmos beschränkt sich eben auf die Bergziege und ihre Transportkapazitäten. Eher gelangweilt nehmen wir den "Zermatt"-Bus



zurück nach Phrae Nakhon. Nach Einbruch der Dunkelheit ist es weiterhin drückend, doch ein lauer Wind vertreibt die stickige Luft aus den Gassen. Dieser Stadtteil besteht aus vielen verschiedenen Facetten. Natürlich tobt in Khao San der totale Touristen-Kommerz und die meisten Besucher Bangkoks befinden sich auf dem Weg dahin. Doch unser Hotel liegt in einer Gegend, die so ein bißchen dazwischen ist. Hier und da sind offenkundige Touristenspots entstanden, zwischendrin existieren aber auch noch normale thailändische Shops, Reinigungen, Kioske oder auch kleine Restaurants, die super gute Küche anbieten. Nach etlichen kulinarischen Fehlschlägen in den vergangenen Tagen, finden wir ein Straßenrestaurant, dass



bei Bleichgesichtern und bei Thais gleichermaßen beliebt ist. Auf kleinen Holzstühlen, an wackeligen Tischen serviert man hier thailändisch-indische Fusionküche. Trotz der ungemütlichen Neonbeleuchtung, haben wir einen sehr vergnüglichen Abend, einerseits wegen des sehr leckeren Essens und andererseits wegen des Rahmenprogramms. Vielleicht kennt der geneigte Leser diese Sendung, bei der so hippe Tätovierer erzählen, was sie bereits alles an, ich sage mal vorsichtig, ästhetisch zweifelhaften Tätovierungen gesehen haben. So ist das heute abend hier auch. Die gesamte Gegend ist mit Hostels und Budget Hotels gepflastert, somit ist hier ordentlich überregionales Publikum jeden Alters unterwegs. Daher bietet sich uns ein breites soziales Bild der halbnackten, internationalen Travelerszene und den darauf abgebildeten, inhaltlich sehr komplexen"Kunstwerken". Bonne nuit folks!





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