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AutorenbildIngo

Die Bettelschale . . .

16. Februar 2024 - Bangkok

KM 19.054


Das Viertel ist erfüllt von mantrisch wiederkehrenden Schlaggeräuschen. Eintönig, mal heller, mal dunkler der Klang, wenn der Hammer auf den Rohling eindrischt, der zwischen den Knien des hockenden Mannes klemmt. Der Mann ist alt, hat einen langen grauen Bart, ist nur mit verwaschenen roten Shorts bekleidet. Seine sitzende Position nimmt er auf einem wackeligen, mehrfach reparierten Hocker ein und demonstriert, wie er in stundenlanger Dengelei, die Kupfernähte der 8 Schalenteile plättet. Wir sind in Ban Bart, einer kleinen Handwerker-Community am südlichsten Ende des Distrikts Nr. 1.



Den Morgen verbummeln wir, Reise-Alltag sozusagen. Draußen liegen bleifarbene Wolken über der Stadt, Menschen bewegen sich schnellen Schritts vorwärts, deren Bewegungen eigentlich nur aussagen, "Schnell aus der Sonne." Wir benutzen die Klimsie nur zum Schlafen und gegen 9 Uhr hat die Hitze bereits das Gebäude so aufgeheizt, dass unser Zimmerventilator kaum noch gegen die Schwüle ankommt. Die Zeichen stehen auf Regenguss, ob der heute noch kommt oder erst morgen, ist fraglich. Wir genießen die asiatische Einfachheit unseres Zimmers, dessen verwinkelten Dimensionen eher an eine kleine Wohnung denken lassen, als an ein Hotelzimmer. Vom Sofa bis zum kleinen Schreibtisch, ist hier alles vorhanden. Die zurückhaltende Gestaltung ist richtig erfrischend, zu dem sonst so grellbunten Dekowahn, der hier in Thailand vornehmlich ist. Doch es ist der perfekte Rückzugsort, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, Gesehenes und Erlebtes zu verarbeiten. Java und Sumatra sind so weit weg, dass sie für uns häufig wie der



letzte Sommerurlaub anmuten. Das stetige Anwachsen unserer digitalen Daten überreizt manchmal auch das Auge für die Kleinigkeiten, die man so am "Wegesrand" einer Reise normalerweise wahrnimmt. Bei Kaffee und einem guten Buch, verbringen wir den Morgen, ohne uns weiter mit touristischen Zwängen, die Bangkok ohne Zweifel bietet, zu stressen. Das ist sehr erholsam und etwas Ruhe können wir vor dem nächsten Abschnitt unserer Reise gut gebrauchen. Da wir ja im tiefen Gassengewirr von Alt Bangkok wohnen, lese ich natürlich gerade wieder einen Krimi mit Bangkoks Detective Jitpleecheep - Der buddhistische Mönch - eingedenk der Tatsache, dass wir auch nicht weit von Distrikt Nr. 8 entfernt wohnen, wo die meisten Handlungen spielen. Die Stimmungen, die der Autor sprachlich zum Leben erweckt, werden in meiner Fantasie natürlich deutlich realer. Nicht, dass ich mich über einen Mangel an Fantasie beklagen könnte, doch wenn der Protagonist bespw. an einer kleinen Garküchen in Pat Pong sitzt und ihm der Schweiß ausbricht, weil die Köchin dort extrascharfe Chilis für die Khao Soi Suppe verwendet, leide ich körperlich mit. So geht der stickige Morgen vorüber, jeder von uns liest und hängt bei Kaffee und Tee seinen Gedanken nach. Es gibt wirklich unangenehmere Arten seinen Tag zu beginnen, wahrlich.



Mit einem Tuktuk fahren wir zum Goldenen Berg. Der Name ist ein bißchen irreführend, denn der Hügel ist weder goldfarbend noch ein Berg. Die erhöht liegende Tampelanlage ist Teil des Wat Saket, wie das Wat Saket Ratchawora Mahawihan umgangssprachlich genannt wird. Die Luft steht, als wir dort ankommen und trotz des Fahrtwindes der Tuktukfahrt, bin ich völlig nass geschwitzt. Da aber heute die Thais ebenfalls durchgeschwitzt sind, bleibe ich entspannt. Das chinesische Feld ist schon durch und wahrscheinlich schon bei der dollartechnischen Plünderung der Go´- und Jadeshops an der Yaowarat Road in Chinatown. Der ursprüngliche



Untergrund des "Hügels" sind nicht mehr zu sehen, er wurde zubetoniert. Der Beton ist heute mit einer weißen Perlmuttfarbe gestrichen, deren Effekt, trotz der fahlen Sonne, glitzert, wie das Cartier-Halsband einer chinesischen Bankiersgattin. Früher war dieser "Sockel" mal gelb gestrichen, was sicherlich zum Namen Goldener Berg beigetragen hat. Der Treppenaufgang wird gesäumt von allen möglichen Figuren des chinesischen Jahreskalenders, wie Schlange, Hahn, Kaninchen, Drache usw.. Das muffige Wasser eines künstlichen Wasserfalls plätschert zäh bergab, sammelt sich in verschiedene Becken, die randvoll mit Welsen und Kois sind. Ein riesiger Gong lädt ein, sich im buddhistischen Sinne bemerkbar zu machen. Doch, schon von Weitem ist klar, wann ein Einheimischer in buddhistischer Kontemplation den Klöppel bedient und wann ein sonnenverbrannter, elibuxentragender Westler, fürs Selfie auf den exorbitanten



Gong eindrischt. Der ursprüngliche Tempel ist schon recht alt. Genau kann man das nicht so definitiv sagen, denn wegen Renovierungsarbeiten - anläßlich des 72. Geburtstages seiner Majestät - sind die vergoldeten Stupas auf dem Dach des Viharns eingerüstet. Der Tempel stammt aber wohl aus der Ayutthaya-Ära, als er als Wat Sakae genannt wurde. Als Bangkok Hauptstadt wurde, renovierte König Rama I. den Tempel und gab ihm seinen heutigen Namen Wat Saket Ratchawora Mahawihan. Der Name bedeutet „Haare waschen“! Aha, so so. Erinnert mich an die kleine burmesische Insel, die vor Mawlamyine in der Flussmündung des Talnwin Flusses liegt und umgangssprachlich "Shampoo-Island" genannt wird. Dort sollen angeblich, an bestimmten Feiertagen, Prinzessinnen oder irgendwelchen anderen Mädels, die Haare



gewaschen worden sein. Aber vielleicht ist das aber nur eine dieser Stories, die aus dem umfangreichen Legenschatz des Orients stammen. Immerhin nimmt man an, dass Rama I. nach seiner Rückkehr aus dem Krieg, an diesem Tempel anhielt, um ein Bad zu nehmen und sich die Haare zu waschen. Aha, so so, was auch sonst? Rama III. - Enkel von Rama I, - beschloss, in diesem Wat eine riesige Stupa zu errichten. Aber, wie dass manchmal mit den riesigen Dingern so ist, stürzte die Stupa während des Baus ein, weil der weiche Boden für das Gewicht nicht tragfähig genug war. Rama III. verwarf die Idee mit dem riesigen Bauwerk, sodass das verlassene Lehm- und Ziegelbauwerk über die Jahrzehnte die Form eines "natürlichen Hügels



annahm. Von den Einheimischen "Berg" genannt, diente der Hügel der Armee als Aussichtspunkt. Der Rest im Schnelldurchlauf: Rama 4 und Rama 5 bauten eine kleine Stupa oben drauf, sie wurde vergoldet und eine Buddhareliquie im Innern platziert. Die umgebenden "Betonmauern" wurden in den 40er Jahren hinzugefügt, um die Erosion des Hügels zu verhindern. So weit so gut. Von der obersten Plattform hat man einen sehr schönen Rundblick auf Bangkok, soweit das bei dem stechenden Licht und dem Smog heute möglich ist. Immerhin gibt es in dieser Höhe ein bißchen Windbewegung. Früher lag Wat Saket weit außerhalb der Stadtmauern und wurde daher oft als Ort zur Einäscherung von Leichen genutzt, die durch das Geistertor getragen wurden. Anfang des 19 Jahrhunderts breitete sich eine exorbitante Choleraepidemie von Penang nach Siam aus und forderte allein in der Bangkok mehr als 30.000 Todesopfer. Wat Saket wurde, neben anderen Wats, zum Hauptauffangplatz für viele Leichen, die täglich hierher gebracht wurden. Aufgrund der großen Zahl von Todesfällen, war der Tempel



nicht in der Lage, alle Toten einzuäschern. Einige der Leichen wurden daher im Freien des Klosters zurückgelassen, was eine große Anzahl an Geiern auf den Plan rief. Das Wat Saket wurde dadurch zum Hauptnistort für Geier, denn auch während der Regierungszeit von Rama 5 kam es in jeder Trockenzeit zu Cholera-Ausbrüchen. Geierfiguren, die um eine liegende Leichenfigur versammelt sind, erinnern rückseitig des Hügels, an diese Zeiten. Leider muss ich dem geneigten Leser diese Figurengruppe schuldig bleiben, da wir den falschen Treppenabgang benutzt haben.




Vom Goldenen Hügel sind es nur ein paar Gehminuten in das Handwerkerviertel. Es ist erstaunlich, wie sehr hier die Handwerksbetriebe das Straßenbild prägen. Möbelschreiner, Tischler und Drechselbetriebe arbeiten bei offenen Türen, sodass der Geruch von frisch bearbeitendem Holz sich mit den Abgasen des intensiven Straßenverkehrs mischt. Männer stehen mit freiem Oberkörper fast bis zur Hüfte in Sägespänen, während die die rotierenden Drechselmaschinen wimmernde Laute von sich geben. Hier gibt es all die manuell hergestellten Holzelemente, jeglicher Größen, die in in den Wats als vergoldete Elemente die Balken- und Deckenkonstruktionen zieren. Ich kann einfach nicht vorbeigehen. Für meine Wohnung erwerbe ich kleine, stilisierte Holzlotosblüten, an denen ich meine eingerosteten Vergolderqualitäten mal


wieder trainieren kann. Die Häuser dieses Viertels sind alt, aber recht gut gepflegt und sind weit entfernt der modernen digitalen Glitzerwelt der großen Shopping Distrikte. Von den Holzwürmern gelangen wir nach Ban Bart, das Viertel, in dem traditionell die Bettelschalen für buddhistische Mönche hergestellt werden. Dieses Gewerbe ist ebenso dem allgemeinen Trend des aussterbenden Nischenhandwerks unterworfen, wie derzeit viele andere Traditionshandwerke weltweit auch. Hier in Ban Bart ist die einzige "Schmiede-Community", in der die Einheimischen noch ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Mönchs-Almosenschalen verdienen. Die Almosenschale hat für den buddhistischen Mönch zentrale Bedeutung und wird nach "Mönchsanweisungen" traditionell von Hand gedengelt. Die Schmiedegemeinschaft von Ban Bart ist ziemlich alt und wurde schon in der Ayutthaya-Ära gegründet. Nachdem die Stadt Ayutthaya 1767 gefallen war, zogen sie um, in der Nähe der Mauern der Stadt Rattanakosin - ein Teil Bangkoks, der heute zum. Distrikt Nr. 1 gehört - zu leben. Spannend ist, wie häufig man in Bangkoks Geschichte über den "Fall Ayutthayas" stolpert.

Der Schalenschläger, der uns von der Straße in Viertel schleppt, ist alt, auf einem Auge blind und seine provisorische Einraumwerkstatt, die auch gleichzeitig sein Lebensraum ist, kündet nicht gerade von einem prosperierenden Gewerbe. Aus einer schäbigen Vitrine holt er zwei Rohlinge, die etwa so groß sind, wie zwei Hände, die man muldenförmig aneinander legt. Mit einem Mehrwegfeuerzeug schlägt er an die Schale, um durch das helle Klingen seine handwerkliche Qualität unter Beweis zu stellen. Die Almosenschale eines buddhistischen Mönchs, muss traditionell aus 8 Teilen bestehen. Diese 8 Metallplatten symbolisieren den 8-fachen Pfad der buddhistischen Erleuchtung: rechtes Glauben, rechtes Denken, rechtes Sprechen, rechtes Tun, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Konzentration, rechtes Sichversenken! Die einzelnen Platten werden mit Hämmern über Ambossen oder Stahlkugeln, durch ausdauerndes Schlagen geglättet, "gedünnt" und leicht gerundet. Mit Kupfer verbindet man die 8 Teile und bekommt so die charakteristische Form. Ist dieser Rohling fertig, muss er mit ziemlich viel körperlicher Kraft und auch stoischer Ausdauer gedengelt werden, bis sich Form und Metalloberfläche zu einem kunstvollen Gefäß bilden.



Wegen des lauten Lärms, der durch die Herstellung der Almosenschalen verursacht wurde, verlegte man die Schmiede, noch zu Zeiten von Rama 1, an diese Straßenreuzung, südlich des "Goldenen Berges". Bis Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, stellten die Schmiede hier weiterhin Almosenschalen für Mönche her. Leider erlaubte die Regierung die automatisierte Herstellung von Almosenschalen. Die Almosenschalen aus der industriellen Produktion erwiesen sich natürlich als viel kostengünstiger, im Gegensatz zur manuell hergestellten Schale. Die einzigen Mönche, die bis heute noch zum Kundenstamm der Schmiede von Ban Bart zählen, sind sogenannte Waldtempelmönche, die sich sehr streng an buddhistische Traditionen halten. Die meisten Schmieden existieren nicht mehr und handgefertigte Almosenschalen sind in Thailand fast verschwunden. Der Schmied ist enttäuscht, dass wir keine der Rohlinge kaufen. Es tut uns leid, denn wir haben zum Einen keinen Platz dafür und zum anderen ist das Produkt in diesem Halbzeugzustand auch keine Augenweide. Da nützt auch nicht, das Fotoalbum vor zu weisen, dass viele grinsende Bleichgesichter abbildet, die stolz eine Almosenschale käuflich erworben haben. Ich habe an dieser Stelle auf das Fotografieren verzichtet, weil wir uns ohnehin schon wie rückgratlose Voyeure vorkamen, die einen verbotenen Lebenskosmos betreten haben. Daher gibt es nur ein schnödes Google-Foto. Die wenigen verbliebenen Schmiede haben mit der thailändischen Regierung nun wohl einen Plan entworfen, wie diese Tradition weiterleben kann.



Etwas geplättet und auch belegt, machen wir uns auf den Heimweg. Es ist immer noch ziemlich heiß, obwohl es mit großen Schritten auf den Sonnenuntergang zu geht. Da erhebt sich vor uns eine riesige Watanlage, die schon ziemlich geleert zu sein scheint. Es sind kaum noch Besucher zwischen dem Usobot und dem Viharn unterwegs. Doch die Vergoldungen an den verschiedenen Dachkonstruktionen, funkeln derart im letzten Sonnenlicht des Tages, dass wir den leeren Klosterhof der Anlage betreten. Wat Ratchanatdaram bedeutet „Tempel der königlichen Nichte“, aha - so so und wurde 1846 im Auftrag von Rama 3 für seine Enkelin, Prinzessin Somanass Waddhanawathy, ach die, erbaut. Die Einheimischen nennen das Wat allerdings Loha Prasat, was wörtlich übersetzt „Eiserner Palast“ bedeutet. Auf jeden Fall ist dieses Bauwerk zeimlich eindrucksvoll, sodass wir es noch erkunden wollen.



Obwohl das Bauwerk während der Regierungszeit von Rama 3, so Mitte des 19. Jahrhunderts geplant wurde, konnte Rama 3 das Bauwerk in seiner Regierungszeit nicht fertig stellen. Rama 4 bekam es auch nicht hin und so wurde es doch erst nach 1960 annähernd vollendet, inzwischen war übrigens schon Rama 9 dran. Das Fine Arts Department of Thailand überwachte im penibelst die Arbeiten. 1995 wurde dann eine Buddha-Reliquie auf dem höchsten Turm des Loha Parsat platziert, doch es dauerte immer noch bis 2007, bis die Anlage





der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Die Anlage macht einen frisch renovierten Eindruck, so viel ist mal sicher. Außerdem sind die Dimensionen der einzelnen Gebäude auch schon sehr eindrucksvoll. Loha Prasat bedeutet, wie erwähnt, "Eisenburg" oder "Eisenkloster". Das 36 Meter hohe "pyramidenförmige" Bauwerk besteht aus sieben Stockwerken, die in drei Ebenen unterteilt sind. Die untere Ebene hat 24 Türme, die mittlere 12 und die obere Ebene hat 1 Turmspitze. Natürlich beherbergt der oberste Turm die Buddha-Reliquie, klaro. Im Erdgeschoss soll sich ein Labyrinth befinden, das von zahlreichen Säulen getragen wird. Wir können aber leider nicht mehr rein. Zumindest sind alle Eingänge verrammelt. Aber das Bauwerk ist schon toll und die friedliche Abendstimmung unterstreicht natürlich noch den erhabenen Charakter der Hütte.



Der Loha Prasat muss wohl auf einem alten buddhistischen Design basieren, zumindest der frisch polierten Infoplakette nach und ist zwei früheren ähnlichen Bauwerken in Shravasti, in Indien und Anuradhapura, auf Sri Lanka nachempfunden. Aha, so so, das werden wir wohl ab nächste Woche nachkontrollieren, denke ich mir so im Stillen. Doch diese beide Anlagen



existieren nicht mehr, steht da geschrieben. Der indische Loha Prasat hat angeblich 1.000 Räume gehabt, mit einem goldenen Turm an der Spitze. Das srilankische Loha Prasat hatte neun Stockwerke und das Dach war mit lediglich mit schnödem Kupfer gedeckt. Naja, vielleicht auch nur ein Tempel zweiter oder dritter Klasse, wer weiß das schon! Im großen Viharn läuft gerade das Abendgebet, dass lautstark in die Höfe schallt. Zum Sonnenuntergang ist das eine wirklich elektrisierende Kulisse, da sind wir uns einig.





In der nachlassenden Hitze des Tages, schlendern wir durch die Straßen rund um den Königspalast, entlang der Kanäle, an Resten der alten Stadtmauer vorbei und landen schließlich in einer gemütlichen chinesischen Rooftop Bar für den Sundowner. Bonne nuit folks!







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