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AutorenbildIngo

Der Blick in die Gasse . . .

30. September 2023 - George Town

KM 5527


Heute bitte einmal keine Visaangelegenheiten. Nein. Da wir seitens des Royal Thai Consulate zu einem Stillhalte-Wochenende verdonnert wurden, geben wir uns heute dem Müßiggang hin. Einfach so! Wir beginnen mit einem ausgelassenen Frühstück, zu später Stunde, in Yin´s Sourdough Bakery in Chinatown. Yin war lange in New York und natürlich ist damit ihre Bakery international besetzt, in Punkto Speisen und Gästen. Es gibt Eggs Benedict und Avocadotoast. Der Kaffee ist großartig, egal ob heiß oder als Eisversion. Überhaupt, habe eigentlich nie viele Gedanken an Eiskaffee verschwendet, aber - im Hinblick auf 35 Grad und 50-60% Luftfeuchtigkeit - hat sich das geändert.

Von unserer 28. Etage aus, können wir die Hafeneinfahrt von George Town gut im Auge behalten. Des Nachts schummeln sich da immer so hell illuminierte Touristentorpedos an den Marriottürmen vorbei, auf das uns klar ist, morgen ist in Chinatown Touristenweitwurf. Genauso ist es heute. Die Kernstraßen sind verstopft, Rickschafahrer mit fetter Beute, Reisegruppen in kleidsamer Uniformität und laute Chinamänner und -frauen marodieren durch die Batik- und Souvenirmeile rund um die architektonischen UNESCO-Perlen. Wir halten uns weit davon entfernt, denn die Randbezirke von Chinatown und Little India sind architektonisch und gestalterisch viel spannender, als wir es vermutet haben. Durch die vielen kleinen und großen "Kunstwerke" in allen möglichen Seitenstraßen, ist man inzwischen ziemlich sensibilisiert und ungeachtet des baulichen, hygienischen und geschichtlichen Zustandes einer Straße oder Gasse, findet man an etlichen Wänden irgendwelche Ausdrucksformen. Die Schuhfetischisten unter den geneigten Lesern werden einen glasigen Blick bekommen, wenn ich jetzt mitteile, dass Jimmy Cho aus George Town stammt und es gibt natürlich ein Wireart-Vermächtnis an dem Laden, wo er seine Ausbildung gemacht hat. 'Künstlerisch gibt es hier alles, in groß und in klein,

heimelig, kitschig, großartig, kleinartig, langweilig, gewollt und nicht gekonnt, gekonnt und nicht gewollt, aber trotzdem gemacht und, und, und. Vieles ist spritzig, manches hochpolitisch, anderes ist für uns kontextuell nicht zu verstehen, aber allem wohnt Leidenschaft am "Spuren- und Botschaft-hinterlassen" inne. Hier ist etwas zugewachsen, da stellt man gerne seinen Müll davor, mancher nutzt es als Wäscheleine oder Aufhängemöglichkeit für Marktstandutensilien. Hier lebt man mit den "Kunstwerken", es ist Alltag, normal. Doch es garantiert auch, dass alle Besucher aufs Höchste konzentriert durch die Gassen streifen und auch im hinterletzten Winkel noch irgendwelche Kunstobjekte vermuten. Bei manchem Machwerk bin ich mir der ästhetischen Qualität und der intellektuellen Aussage nicht sicher, weisen doch untrügliche Anzeichen daraufhin, dass hier nur vermodernder Sperrmüll zusammengeschoben wurde. Aber, spätestens seit Kishons Buch, Picassos süße Rache, weiß man ja, dass die Künstlerseele Vielem innewohnen kann. Uns macht es richtig Spass durch verborgenen Seitenstraßen zu stromern, Hinterhöfe zu inspizieren, das feixende Grinsen der Anwohner zu erwidern, die häufig gelangweilt, aber auch oft augenzwinkernd, unseren "suchenden" Spaziergang begleiten.



Heute liegt die Hitze drückend auf Penang und in den engen Gassen George Towns steht die Luft still. Im äußersten Randbezirk des alten Chinesenviertels gibt es größere Häuser, das heißt nicht breiter gebaut, nur mit höheren Räumen und einer "tieferen" Veranda. Wir stolpern über das Café Daily Dose of Coffee, fernab der Touristenpfade. Es gibt kein WLAN, ein Novum in Asien, die Karte rät zum Anknüpfen eines Gespräches mit anderen Gästen. Die Veranda ist mit alten Zementfliesen ausgelegt, zu allen Seiten stehen sehr große Töpfe mit noch größeren tropischen Zierpflanzen, sodass der Eingangsbereich allseits beschattet ist. Dunkelbraune Bambusrolläden sind halb heruntergelassen und verbannnen die Sonnenstrahlen zurück auf die Straße, während ein großer Ventilator unter dem alten Holzgebälk, knarzig drehend, kühlen Wind über den Rattanmöbeln der Veranda verbreitet. Hohe schlanke Holztüren, dunkelbraun gestrichen, mit verwitterten chinesischen Schnitzereien, sind einlandend weit geöffnet und verströmen einen kurzweiligen kolonialen Charme. Ein unglaublich guter Beobachtungsposten, im windigen

Schatten, versehen mit Eiswasser und Kaffee, schauen wir auf die Market Lane, die im Gassengewirr eine schmale Verbindung von Kimberley- und Campbell Lane nach Little India fungiert, sodass fast alle hier durchkommen. Früher Nachmittag, die Sonne brennt unerbittlich auf Chinatown nieder und mein Gehirn beginnt wieder historische Rückblenden zu produzieren. In Sepiatönen stelle ich mir vor, wie um die 1850er hier ausgemergelte Rickschafahrer ihre Kunden durch schlammige und staubige Straßen bugsierten, während Kisten, Kutschen, Unrat und Pflanzen die Wege versperrten. Laute Rufe, oder gar Geschrei, Lachen, Aggressionen, die zwischen den Säulen der steinernen Arkaden verschallten. Überall, offen oder verborgen, gab es ein Paar Augen, die einem folgten, aus welchen Gründen auch immer. Menschen, die in der Mittagshitze im Schatten dösten oder schliefen, Handwerks- oder andere Produktionsgeräusche mischen sich unter den stetigen Gesang des alltäglichen Lebens . . .

In George Town findet man überall Hinweistafeln als Informationsquelle zu bestimmten Gassen. Zur Market Lane finden wir einen Hinweis Named after nearby Market; poplular area for wealthy men to set up secondary homes for concubines, an accepterd practice in the past. Aha, so so. Immer wieder das gleiche Spiel. Was soll ich sagen.




Am äußeren Rand von Chinatown stehen dann die "großen" britischen Verwaltungsgebäude, High Court, Kapten Francis Light Memorial, Kirchen, Stadtmuseum, was eine ehemalige Schule war. Alles ist bestens restauriert oder wird gerade für den George Town Heritage Trail saniert.


Wir aber wollen noch einmal zum Chinahouse im tiefsten George Town. Das Chinahouse ist ein Paradebeispiel alter chinesischer Bauweise. Aber das Gebäude ist in intensiver Nutzung und daher kein Museum, was wir klasse finden. Normalerweise ziehen sich die schmalen Langhäuser - hört sich irgendwie schräg an, weiß ich - aus dem 18. und 19. Jahrhundert durch einen ganzen Häuserblock. Ein riesiger, schlauchähnlicher Raum, wird in einzelne Sektoren / Räume eingeteilt und um zur letzten Sektion zu kommen, müssen alle anderen Räume durchquert werden. In der alten Bausubstanz hat man aus einem ehemaligen Buchladen und einem Restaurant ein Konglomerat an Kunstateliers, Küche, Club, Speisesaal, Bar, Café, Conceptstore, Galerie und ich-weiß-nicht-was sonst noch alles gemacht. Es ist brechend voll, eng, und dunkel, bis auf den Barbereich, der ist bis in den Dachstuhl offen. Die verschiedenen Räumlichkeiten ziehen sich lang hin, ein kunterbuntes Gemisch aus Neo-Night Club, In-Café, Actionatelier, Antiquitätensammelsurium und lebendigem Kinderhort. Großartig.





Vermutlich war hier zu früheren Zeiten, ein ganzer Mehrgenerationen-Clan untergebracht, samt Vieh, Werkstätten, Verkaufsräumen, Lager, Fahrzeuge usw. Am Ende gibt es sogar noch einen Garten mit Tor, der auf die Straße des nächsten Blocks führt. Sehr spannend. Ich für meinen Teil würde eher so ein Haus bevorzugen, als die seelenlosen Betontürme, die sich wabenförmig an die hinteren Berghänge von Penang Hill schmiegen. Neben den krassen UNESCO-Auflagen scheint es aber noch ein gravierenderes Problem mit der alten Bausubstanz zu geben: Wie wir gehört haben, fehlen inzwischen auch hier die Handwerker mit dem notwendigen Knowhow für die Bearbeitung von hölzernen Dachstühlen, Fenstern, Türen, Bodendielen und sonstigen Holzarbeiten. Ach, echt? Wie wohltuend, dass es nicht nur bei uns diese Problematik gibt. Außerdem sind, aufgrund des krassen Klimas und der salzhaltigen Meeresluft, die Putzarbeiten der Wandflächen so komplex, dass sich da kaum einer ran traut. Tja, da empfehle ich mal kurzfristig die kompetenten Fachleute der Fa. Brillux! Bonne nuit folks.




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Marc Luetjens
Marc Luetjens
Oct 01, 2023

KI erklärt die Verschmelzungskultur (manche Deutsche würden es wohl Umvolkung nennen):

Die Peranakan-Kultur ist eine einzigartige Kultur, die durch die multikulturellen Wurzeln der ersten südchinesischen Siedler in Südostasien definiert ist. Die Peranakan sind eine ethnische Gruppe, die sich von den ersten Wellen südchinesischer Siedler in Südostasien ableitet und in den britisch-kolonialisierten Häfen auf der malaiischen Halbinsel und im indonesischen Archipel sowie in Singapur lebt. Die Peranakan-Kultur, insbesondere in den dominanten Peranakan-Zentren von Malakka, Singapur, Penang, Phuket und Tangerang, zeichnet sich durch ihre einzigartige Hybridisierung der alten chinesischen Kultur mit den lokalen Kulturen der Nusantara-Region aus. Dies ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Geschichte der Transkulturation und interrassischen Ehen. Die Peranakan sind bekannt für ihre einzigartige Architektur, Küche und Mode.

Die Peranakan-Kultur…

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