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AutorenbildIngo

Alles nicht erbaulich . . .

Aktualisiert: 16. Feb.

14. Februar 2024 - Bangkok

KM 19.054


Für heute hatten wir eine schöne Tour durch die Stadt geplant. Wirklich, hörte sich auch gut an, so reiseführermäßig. Aber irgendwie ist es mehr ein touristisches Waterloo geworden. Wir sind erneut vom Distrikt Nr. 1 in den Distrikt Nr.13 gefahren. Wir wollen heute aber nicht nach Chinatown, sondern etwas südlicher davon, am Fluss entlang spazieren und ein paar Highlights aus Bangkoks jüngerer und älterer Vergangenheit bestaunen. Dazu nehmen wir natürlich das orangene Wassertaxi von Pier 13 zum Pier Nr. 4. Die Orangene Linie ist mehr oder minder eine Flotte von recht großen, aber auch ein wenig in die Jahre gekommenen, Longtails, die quasi an jeder Fischreuse halten. Das ist Bangkoks Äquivalent zum westfälischen Münsterland Express, der hält an jeder Kuhtränke. Auf Bangkoks Hauptwasserstraße gibt es alle möglichen Fahrzeuge. Da sind die bunt bemalten hölzernen Longtails, die mit irrem Getöse und spritzenden Propellerfontänen von Sightseeing Highlight zum Nächsten donnern. Dann gibt es die großen Expressfähren, meist Katamaransysteme für mehrere Hundert Passagiere, die nur bestimmte Piers anlaufen, wie bspw. den Königspalast oder das Wat Arun. Dann gibt es die sehr dekorativ gestalteten Hausfähren der sehr noblen Hotelketten, wie das Shangri La oder das



Mandarin Oriental. Dann gibt es natürlich die Patrollienboote der Royal Thai Police und in Palastnähe, eine ganze Batterie Marineschnellboote. Letztere haben hier ihren Stammsitz, denn das Flottenkommando der Königlich Thailändische Marine hat unweit des Königspalastes Quartier bezogen. Dann schippern noch einige Millionäre und auch einige Milliardäre ganz ungeniert über den Chao Phraya River. Zu guter Letzt existieren noch die hölzernen Longtails der orangenen Flotte in diesem wirren Flussbiotop. Bestimmt ein Dutzend mal neu lackiert und kalfatert, im Innern mit Plastikgestühl und Stehplätzen ausgestattet und meist einem Motor der schon vor dem Krieg alt war. Also, vor dem Thailändisch-Burmesischen Krieg von 1567. Der Motor röhrt, als läge er in den letzten Zügen, stößt rhythmisch tiefschwarze Wolken aus und klingt wie die verrostete Pumpe einer mittelamerikanischen Toilettenspülung. Was den Kapitän nicht daran hindert, die letzten 100 Sachen aus der alten Dschunke raus zu quetschen, wenn es darum geht, den Fahrplan einzuhalten. Wir sind ja hier nicht bei der Deutschen Bahn! Das Anlegemanöver scheint eine nautische Spezialität der hiesigen Kapitäne zu sein, denn nahezu alle Seebären beherrschen hier dieses Manöver perfekt. Also, ich meine, vielleicht gibt es noch weitere Manöver, zumindest wohl ein Zweites? Wer weiß das schon? Man donnert mit der Rammgeschwindigkeit einer griechischen Trireme an den schwankenden Planken des Piers



vorbei und wenn der schrille Pfeifton des Park-Distance-Controls ertönt, wird mit fliegender Kupplung der Rückwärtsgang eingelegt, auf das die Schiffbohlen erzittern, wie Espenlaub. Dabei entstehen ja unzählige Wellen, die das ganze Pier- und Schiffskonstrukt, übelst zum Schaukeln bringen. Mit dem Heckstrahlruder setzt der Kapitän nun auf vollen Körperkontakt von Pier und Boot, was die Schrammen und Beulen rund um den Schiffskörper erklärt. Bug und Heck sind so vermackt, dass Moby Dick dagegen, wie abgestandener Kamillentee anmutet. Das Park-Distance-Control gibt verschiedenste Pfeifkommandos von sich, so dass Käpten Ahab genau weiß, wann er optimal eingeparkt hat. Das Park-Distance-Control besteht aus einem jungen Thai, der mittels einer Trillerpfeife, verschiedenste Signale gibt und auch für das Andocken und die Kurzzeitvertäuung sorgt. Irgendwie machen das alle Bootsführer gleich, egal wie groß die Schaluppe ist. Da hier keiner gemäß der guten deutschen Nautikregel "Sog und Wellenschlag vermeiden", des bundesdeutschen Wasserstraßenamtes unterwegs ist, ist der Chao Phraya River immer voller Wellen und überall spritzt die Gischt hoch. Da hier alle nur Matte kennen und der Begriff Geschwindigkeitsreduktion eher nicht im thailändischen Wortschatz verankert ist. Daher fühlt sich so eine 9-Stationen-Fahrt mit der Orangenen Linie auch eher an, als würde man bei Windstärke 10, mit einem Optimisten durch die Irische See treiben.



Wir erreichen das Pier Nr. 4 lebend, ohne Eskimorolle machen zu müssen. Punkt 1 unseres Stadtrundganges in diesem Bezirk ist, die portugiesische Kirche des Heiligen Rosenkranzes. Sie liegt ebenfalls im Bezirk Samphanthawong, am östlichen Ufer des Flusses. Die Geschichte der Kirche reicht wohl bis ins Jahr 1769 zurück, als sich nach dem Fall von Ayutthaya, hier eine Gruppe portugiesischer Katholiken in der Gegend niederließ. Nun ja, die Kirche ist berühmt für ihre Innengestaltung, die ich hier dem geneigten Leser schuldig bleiben muss. Um die Kirche tobt eine riesige Baustelle, alle Zugänge sind mit Bauzäunen und Planen verhangen, wir können allenfalls einen Blick auf die Kirchturmspitze erhaschen. Nun gut, kann passieren. Weiter geht es zur River City. Das ist eine Shopping Mall für das kultur- und kunstbegeisterte Bleichgesicht. Hier gibt es Galerien, Antiquitäten, sonstigen dekorativen Schnickschnack und auch asiatische



Stehrümmchen. Mega gepflegt, mit einem Schachbrettmarmorboden, erheben sich die meisten Shops über zwei Etagen. Das Pompöse hat seinen Preis. Für ein schnödes, durchaus ästhetisch sehr ansprechendes, Seidentuch kann man hier schon mal bei 1500 US$ anfangen. Den Preisen gemäß, hat man so auch gleich die launigen Plebejer ferngehalten und nur leise, andächtig flüsternde Bleichgesichter, fortgeschrittenen Alters wandeln durch das Schachbrett. Da kann man auch schon mal einen toprestaurierten Karmann Ghia erwerben, der da in einem Schaufenster Staub ansetzt.



Eigentlich hatten wir gedacht, dass das einfach so eine Shopping Mall ist, da wir noch unser Guthaben fürs mobile WLAN aufladen wollen. Hier definitiv nicht. Wäre aber bestimmt ein Spass bei der Information, die hier Concierge heißt, nachzufragen. Zwar nobel, aber nicht erbaulich! Weiter. Nächster Punkt den unser Reiseführer empfiehlt, ist die portugiesische Botschaft. Nicht weit von der River City stoßen wir auf eine Mauer, an der weißblaue Fliesen kleben, die so gar nicht nach Thaideko aussehen. Und - richtig, es ist die hintere Begrenzung der



portugiesischen Mauer. Die Fliesen sind so schön, dass ich überlege, nach Einbruch der Dunkelheit mit Hammer und Meißel zurück zu kommen. Gut, sehe gerade Annis Blick und verwerfe den Gedanken wieder. Leider können wir das Gebäude der Botschaft nicht sehen, da die Mauer einfach zu hoch ist. Gegenüber liegt eine verlassene Villa, vermutlich im gleichen Baustil. Aber irgendwie sind wir ja wegen dem Botschaftsgebäude gekommen . . . Wie gesagt,



nicht erbaulich! Eine Straße weiter hat sich in einer alten Lagerhalle das sogenannte Warehouse 30 etabliert. Hier solle es außergewöhnliche Geschäfte, Galerien, Cafés und überhaupt geballte Kreativität geben. Was soll ich sagen? Einer der hippen Läden hat Mittwochs geschlossen, eine Boutique verkauft Klamotten für die junge Avantgarde Bangkoks, inklusive Vans und Chucks. Alles liebevoll arrangiert in alter Industrieromantik mit Kopenhagener Möbelchick. Das Portfolio der Galerien scheint so innovativ zu sein, dass sich mir die ästhetischen Genialität der Kunstschaffenden nicht erschließt. Ich bin mir sicher, dass Annis kommendes erstes Schuljahr, im Kunstunterricht äquivalente Meisterwerke schaffen wird, die nicht 50.000BTH kosten werden. Aber, ich habe ja auch keine Ahnung von Kunst, sondern weiß nur, dass ich einen Kaffee brauche - am Besten mit Schuss! Die mittig in der Anlage liegende



Kaffeeschmiede ist ein Traum in schwarzgrau beschichtetem Wellblech, tief hängenden Flakscheinwerfern und schwer geröstetem Kaffee. Das Aroma zieht sich durch das gesamte Warehouse 30 und weckt in mir erbauliche Hoffnungen. Leider ist der Kaffee so stark, dass ich Angst habe, wiederbelebt werden zu müssen. Immerhin bin ich jetzt total wach und wir können das restliche Warehouse in Angriff nehmen. Was aber nicht geht, denn wir sind schon durch mit der Anlage. Aha, so so. In einem dunklen Flur steht ein überlebensgroßes Kunstwerk, zweidimensional, in Gold gerahmt. Was dort appliziert wurde, ist nicht mehr zu eruieren, denn die Kunst ist beklebt mit Hunderten von Aufklebern. Jetzt aber nicht so qualitativ oder spirituell wichtige Botschaften, sondern eher so normales Leben. Der Ruderclub Bangkok, die Silberboutique XY, usw.. Ich klebe einen oyotr-Sticker direkt zwischen einen japanischen Hello-Kitty-Sticker und einen Snoopy Aufkleber. Nun hat das gesamte Kunstwerk immerhin eine ästhetische und monetäre Wertsteigerung vom mindestens 1000%. Auch das Warehouse 30



ist nicht so erbaulich! Einen Block weiter sollen wir zum Royal Thai Post Office gehen, so rät unser Reiseführer, denn einen Flügel dieses Gebäudes, hätte der TCDC übernommen. Aha, so so. Hinter der Abkürzung TCDC verbirgt sich der Thai Creative Design Center. Dolle Sache, nur leider ist der Teil des Gebäudes, in dem das TCDC residiert, im Besitz einer großen Medienagentur und daher ist der TCDC nicht öffentlich zugänglich. Heute wollen sie unsere Geduld auf die Probe stellen. Aber nun gut, weiter. Wir wackeln durch die brennende Mittagssonne, vorbei am sehr exklusiven Shangri La Hotel, was, zumindest von außen, echt keine Augenweide ist. Im Innern wird sich das Bild bestimmt sehr wandeln, aber außen, nun ja. Wir wollen zum Wat Yannawa, welches allgemein als „der Bootstempel“ bekannt ist. Dieser Buddhistische Tempel liegt nicht mehr im 13. Distrikt, sondern an der Charoen Krung Road im Distrikt Sathon.



Der Tempel hat eine lange Geschichte von der Ayutthaya-Ära bis zur Gegenwart. Alles begann damit, dass Rama I. dem Tempel königlichen Status erteilte und einen Ubosot bauen ließ. Rama III. ließ dann seinerseits einen Viharn in Form einer chinesischen Dschunke errichten. Der Tempel wurde in Wat Yannawa (der Bootstempel) umbenannt. Die beiden Chedis auf dem Deck sollen die Masten symbolisieren und der Altar auf der Rückseite, befindet sich im "Steuerhaus". Aufgrund dieser einzigartigen Struktur nennen die Einheimischen den Tempel „Sampao Chedi“ („die chinesische Dschunke mit Chedis“). Aha, so so! Das Innere des Tempels beherbergt wohl einen Raum, in dem Menschen beten können. Leider ist rund um den spirituellen Klipper ordentlich Baustelle, sodass hier gerade nichts geht. Wir können nicht an Bord! Der nahe gelegene Ubosot beherbergt zwar einige Buddha-Bilder und irgendwelche Illustrationen des Loi



Prathip Royal Lantern Festivals, doch wir wären ja gerne auf die Dschunke gekrabbelt. Der goldene Reisebus, der vor uns den Bootstempel erreicht, macht außerdem den Besuch des Usobots unmöglich. Vom überfüllten Usobot mal abgesehen, ist die Anlage wie ausgestorben. Irgendwo muss sich in der Anlage auch noch eine Buddha-Reliquie aus Sri Lanka befinden, doch hier ist niemand, den man ansprechen könnte. Außer dem Reiseführer am Bus, der aber nur Thai und Chinesisch spricht. So langsam sind wir etwas angefressen, denn der Bootstempel ist zwar ganz nett, doch mit der Baustelle und überhaupt, ist das nicht sehr erbaulich!. Weiter, wir sind gespannt, was jetzt mit dem East Asiatic Building los ist. Dieses historisches Gebäude liegt am östlichen Ufer des Flusses Chao Phraya, gegenüber dem Mandarin Oriental Hotel. Das Gebäude wurde ca.1900 im Renaissance-Revival-Stil erbaut und diente bis 1995 als Hauptsitz der East Asiatic Company. Also los, da wir ohnehin im Mandarin Oriental eine literarische Kaffeespurensuche vorhaben, können wir auch das alte Gebäude der East Asiatic Company besuchen. Doch eigentlich haben wir keine großen Hoffnungen, dass das klappt. Inzwischen müssen wir schon ein wenig über diesen Tag und unser Programm schmunzeln. Tatsächlich ist das Gebäude der East Asiatic Company völlig von Bauplanen verhüllt. Aha, so so.



Wir müssen lachen. War ja klar. Lediglich vom Anleger aus, Pier Nr. 2, kann man noch die alte, 1984 prämierte Fassade sehen. Das Gebäude befindet sich nicht mehr im Besitz der EAC und die neuen Besitzer haben vergangenes Jahr angekündigt, dass das Gebäude in ein Hotel mit einer Plaza/Shopping Mall umgewandelt wird. Wie gesagt, es ist nicht sehr erbaulich! Da wir ja nun schon so am Pier rumstehen, beschließen wir die kaffeetechnische Spurensuche von Joseph Conrad, Somerset Maugham, Noël Coward und James Michener im Mandarin Oriental Hotel auf einen anderen Tag verschieben. Außerdem befindet sich die orangene Dschunke schon im Landeanflug. Bonne nuit folks!



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