09. November 2023 – Von Khun Yuam nach Pai
KM 10.062
Gegen Mittag springt der Tacho auf 72.000 Kilometer, damit haben wir heute unseren 10.000 Kilometer gefahren, seit wir Münster verlassen haben. Wow, ein bißchen komisch ist das für uns schon, denn irgendwie ist mir, als wären wir gestern erst vom Flughafengelände in Jakarta gekommen. 10.000 Kilometer entlang der Süd– und Westküste Javas und Sumatras, Malaysias Westküste, von der Andamanensee bis zum Golf von Thailand, durch die thailändische Tiefebene, an der burmesischen Grenze nordwärts und nun auf dem Weg ins Goldene Dreieck. Da heute Abend das Internet ohnehin nicht funktioniert, habe ich ziemlich viel Zeit, unsere Bilder wieder mal zu durchforsten. Wahnsinn, was wir alles erlebt und gesehen haben.
Wir sind in gerade Pai und machen zwei Tage Pause. Pai liegt in der nördlichen Thaiprovince Mae Hong Son, ungefähr 150 Kilometer von Chiang Mai. Die Berge in dieser Provinz, zumindest habe ich das gelesen, gehören tektonisch wohl zu den Ausläufern des östlichen Himalaya, was vielleicht die überaus hohen Berge erklärt. Aber neben der atemberaubenden Bergwelt, ist auch sonst hier um den sogenanntem Mae Hong Son Loop eine Menge los gewesen. Hier im Grenzgebiet zwischen Burma, Thailand, China und Laos haben sich die verschiedenen Völker immer gegenseitig die Nase poliert. Gefühlt sind wir hier schon ziemlich, sagen wir mal vorsichtig, weit draußen. Alles ist nur Dschungel, von den höheren Lagen aus kann man sehen, dass es hier keine Siedlung, keine andere Straße oder sonst irgendwie Wege durchs Dickicht gibt. Trotzdem haben sich hier immer wieder die Thai, burmesische Shan, Karen und ich–weiß–nicht–wer–sonst–noch–so gezankt. Die Straße von Chiang Mai nach Pai, wurde auch noch von den Japanern im gleichen Atemzug aufgearbeitet, wie die berüchtigte Todeseisenbahnlinie in Kanchanaburi. Also, hier ist es hoch her gegangen, weil sich irgendwie alle anne Köppe gehabt haben. Lange war Pai außerdem noch „gesetzlos“, was mehr oder weniger hieß, dass es sozusagen nicht an die thailändische Administration angeschlossen war. So entwickelte sich hier wohl eine Hippikommune. Soviel Info für den geneigten Leser vorweg.
Von Khun Yuam nach Pai sind es gut 180 Kilometer, die Straße auf der Landkarte ist rot und für die letzten 100 Kilometer nach Pai, ist sie gelb verzeichnet. Aber, sie ist unfassbar kurvig eingezeichnet. Bin gespannt. Bei angenehm herbstlichen Temperaturen, so 24 Grad, und blauem Himmel, gondeln wir gemütlich durch die Berge. Die Straße hat einen feinen Belag Schotter, sodass das Hinterrad häufig beim Fahren schwimmt. Besonders bei den Steigungen und Serpentinen muss ich total aufpassen, vor allen Dingen, wenn es von sonnigen Flächen in schattige Bereiche übergeht. Bin mal genau bei so einer Aktion in der Türkei mit dem Moped auf, nahezu unsichtbarem Asphalt durch eine Kurve geschlittert. Grauer Zement im Scheitelpunkt einer Bergkurve. Kein Halten mehr. In unsere Richtung fahren kaum Fahrzeuge, von Pai kommt mehr Verkehr. Auch die meisten geführten Motorradtouren starten in Chiang Mai und fahren den Loop anders herum, als wir.
Früh morgens hängt der Dunst in den Bergspitzen und mit dem Wind bewegen sich die Wolken langsam durch die Baumwipfel. Der Rundkurs im Loop ist knapp 200 bis 300 Kilometer lang, je nachdem, wie man ihn fährt und führt durch eine einzigartige Bergwelt, die man, wie kann es auch anders sein, nur von höheren Aussichtspunkten sehen kann. Sonst sind die Bergstraßen, die eng an die steilen Hängen angeflanscht zu sein scheinen, völlig zugewachsen. Hier und da kann man durch das dichte Blattwerk die Tiefe und Weite der Provinz Mae Hong Son nur erahnen. "2224 Curves of Mae Hong Son" steht auf einem Aufkleber, den ich an einer Aussichtsstation erwerbe, die etwa 12 Kilometer vor der eigentlichen Stadt Mae Hong Son liegt. Hier hält alles an, Busse, Autos und Mopeds. Das übliche Gewimmel an Menschen, die sich strecken, die Beine vertreten, die Toilette benutzen oder an der Plattform einen Selfiemarathon abreißen. Picturepoint - 20 Minutes! Vereinzelte Reisende lehnen am Geländer, fahl weiß im Gesicht und können der fantastischen Aussicht nichts abgewinnen. Vermutlich verdauen sie noch kurvenbedingte Nahtoderfahrungen, die in den letzten Reihen immer dann einsetzen, wenn so ein riesiger Reisebus schräg über dem Abgrund hängt. Es gibt tatsächlich hier frisch aufgebrühten Espresso und Eiskaffee, während der Blick in die Seitentäler uns in den Bann zieht. Warum das so ist kann ich nur mutmaßen, aber alle Menschen die neben mir auf dieser Betonplattform stehen und in die Weite blicken, verstummen,
außer vielleicht die Chinesen, die überwiegend alle lautstark Videotelefonie betreiben. Anders, als vielleicht in Lagen, wo die Baumgrenze schroffe Felsen in Gänze frei gibt, sehen hier die bewaldeten Erhebungen aus, wie sanfte, irgendwie friedliche Riesen. Naja, weniger romantisch geschrieben, haben alle einen Bewuchs, der wieder einmal an die, weichmacherausgasenden Plastikbäume einer 80er Jahre Märklin-Vegetation erinnern. Mit zunehmendem Besucherzufluss erwachen auch die thailändischen Händlerherzen zum Leben. Die drei Pavillons der Aussichtsplattform, eigentlich gedacht für den beschatteten Genuss von Ferne und Nähe der heimischen Bergwelt, sind inzwischen in Ladenflächen umfunktioniert worden, die gleichermaßen natürlich auch als Haus und Heim für eine merkantile Kaufmannsfamilie fungiert. Man läßt uns in Ruhe und fällt nur basarmäßig über die asiatische Kundschaft her.
Vielleicht hat man aber auch die gepackte Bergziege beobachtet und in Demut festgestellt, dass wir keinerlei Kaufabsicht haben können, in Anbetracht der luftlos gepackten Habseligkeiten. Die asiatische Zielgruppe wird aber nicht von feinst ausgeklügelten Schnupperangeboten verschont und schon werden die ersten Geschäftsabschlüsse getätigt unter den Hängen der sanften Bergriesen.
Hinter Mae Hong Son wird die Straße enger und schmaler. Der Verkehr nimmt zu, da, erstens das die einzige Verbindungsstraße nach Pai ist und es zweitens der Teil des Loops ist, den alle Backpacker befahren und natürlich auch Mopedreisende wie wir. Die Backpacker leihen sich alle in Chiang Mai oder Pai, Roller und Helm und fahren dann mit Minimalgepäck in Badeshorts, Tshirt und Latschen die 175 Kilometer lange Kurzversion des Loops. Mutig, denn nur die wenigsten haben richtig Zweiraderfahrung und was man in den steilen Kurven immer wieder an, sagen wir mal vorsichtig, akrobatischen Schlingerbewegungen der kleinen Bergziegen sieht, läßt einen die Luft an- und gleichermaßen Distanz halten. Im Laufe der nächsten 50 Kilometer sollen uns noch zwei Ambulanzen entgegenkommen. Am Rand werden immer wieder Höhlen, heiße Quellen und Wasserfälle ausgeschildert, die wir ignorieren. Warum können wir beide nicht genau sagen. Ich bin ohnehin nicht so der Typ, der gerne Höhlen besichtigt und wenn, nicht 25
verschiedene an einem Tag. Wasserfälle haben wir in den vergangenen Wochen nun etliche gesehen und bei den heißen Quellen sind die Parkplätze mit Rollern nur so übersäht. Irgendwie sind wir gerade nicht so erpicht darauf, mit zahllosen westlichen Touristen in einer heißen Quelle zu sitzen und zu beobachten, wie sorgfältig Social Medial Stories orchestriert werden. Wir sind seit Wochen gewohnt, gar keine anderen Reisenden aus unserem Kulturkreis zu treffen, dass hier die auftretenden "Massen" schon seltsam anmuten. Außerdem berichten immer wieder enttäuschte Backpacker in den Hotels, dass gerade die heißen Quellen massiv überteuert sind und dann auch noch so vermüllt sind, dass man in der heißen Schwefelplörre permanent tauchen müsste, damit man das Elend drumherum nicht sieht. Aber, Geduld, bisher haben wir immer noch einen einsamen Ort zum Schwimmen oder "Wasserfallduschen" gefunden.
Im nordwestlichsten Teil des Loops, gerade als ich dachte, es kann gar nicht höher gehen, führt die Straße noch einmal Kilometerweit bergauf und auf dem höchsten Punkt des Loops, der sich auf dem Grat eines Berges befindet, hat man Aussichtsplattformen zu beiden Seiten des Bergrückens. Neben einer Funkstation des thailändischen Militärs, gibt es wieder Batikgedöns, Softdrinks und Magneten, auf der gegenüberliegenden Seite bietet man Kaffee und Instantnudeln von Maggi an. Der Blick in die Ferne ist faszinierend, bis hin zur burmesischen
Seite der Bergwelt. 23 Grad ist der Temperaturtiefpunkt unserer Reise, durchschnittlich 12 Grad kälter als normalerweise üblich für uns. Müssen wir die Daunenbekleidung heraussuchen? Über dem Abhang hat man einen freischwebenden "Balkon" aus Beton gebaut, der über dem nördlichen Abhang hängt. Noch während ich das Stativ für meine Filmkamera ausrichte, beginnt die Plattform Scherbewegungen zu machen. Für Sekunden bewegt sich der Beton unter mir nach rechts und links, leicht nach vorn und hinten. Drehe mich um, Annika, die auf der Zugangstreppe sitzt, neben zwei Französinnen, hält erstaunt inne mit ihrem Eiskaffee. Auch die beiden Französinnen haben ihre Instantnudelei unterbrochen. Hinter Annika steht ein Gerüst mit Schaukeln, die trotz Windstille alle hin und her schlenkern. Bestimmt ein LKW, konstatiert eine der beiden Nachbarinnen, doch als der nächste LKW, sogar mit beladenem Anhänger, vorbei donnert, entsteht nicht einmal das kleinste Vibrieren in der Bergspitze. Vermutlich hat hier gerade, für einige Sekunden die Erde gebebt. Aha, so so. Ist neu für mich sozusagen, hab erst wenige Male im Leben ein Erdbeben mitbekommen und das war in Mexico City, wo tägliches beben ja bekanntermaßen zum Programm gehört. Anhand der Reaktion der Thais, die, ohne der Erdbewegung Beachtung zu schenken, in ihrem Tagwerk fortfahren, scheint das wohl öfter hier vor zu kommen.
Von hier aus geht es nach Pai immer nur noch bergab. Gegen den glatten Asphalt, besonders bei Regen, wurde hier auf besonders steilen abschüssigen Abschnitten raue, rot eingefärbte, Querflächen auf den Straßenbelag gegossen. Möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn einer, der hier üblich überladenen LKW-Züge, bergab ins Rutschen kommt. Für eine Emergency Ramp ist hier nirgendwo Platz . . . Wenn es rutscht, dann rutscht es! Was soll ich sagen, es ist trocken heute! Wir erreichen Pai im goldenen Sonnenlicht am frühen Nachmittag, checken in unser Guesthouse ein, was ein wenig außerhalb liegt. Darüber bin ich auch ganz froh, denn Pai ist ein Backpacker Paradis, und zwar ganz laidback.
Wir haben einen kleinen Bungalow, mit Außenküche, die notwendig ist, da wir ja wieder frischen Kaffee für den frühen Morgen haben. Leider bricht das Internetz immer wieder zusammen, sodass ich gar nicht weiß, wann ich diesen Post absetzen kann. Aber, was solls, wir haben morgens frischen Kaffee und das ist doch wohl die Hauptsache! Bonne nuit folks.
Aus aktuellem Anlass schlägt KI ein Lied vor:
10,000 Miles ( Fare Thee Well ) - Lyrics - Mary Chapin Carpenter
https://www.youtube.com/watch?v=pQBpDkVUEco