27. August 2023 - Von Tapus nach Padang Sidempuan
KM 3704
Anni macht ein Gesicht! Ich hab nichts gemacht, damit das schonmal klar ist. Sonst werde ich ja auch geboxt. Eigentlich kann ich ihr Gesicht nicht sehen, weiß aber, dass sie eins macht - kann ich fühlen. Gut, könnte auch an der gepressten Stimme liegen, die aus dem Helm kommt. „Der Idiot, ich bin fassungslos“, kommt da aus dem Helm. Wir sind gerade über eine Brücke gefahren, unter der ein ziemlich breiter und schnellstromiger Fluss fließt.
Zum Toba See sind es noch etwa 350 Kilometer und wir wollen heute über den Trans-Sumatra-Highway bis nach Padang Sidempuan fahren. 170 Kilometer. Es ist Sonntag und für gewöhnlich ist dann auf dem Land weniger Verkehr und in den Dörfern und Kleinstädten sind dann nur die Sonntagsfahrer unterwegs. Also, was man bei uns Sonntagsfahrer nennt. Hier fahren die nicht nur Sonntags so, sondern immer so.
Wir verlassen unsere Herberge schon um kurz vor 9 Uhr ohne zu frühstücken. Irgendwie ist das ganz lustig dort gewesen. Als wir gestern was zu Essen bestellt haben, legte man uns eine Menukarte vor. Aber es war alles vergriffen, außer Mi Goreng Telur - gebratene Nudeln mit Ei. Von den 6 aufgeführten Säften, gibt es nur den Jus Jeruk - Orangensaft. Komplizierte Konversation, kaum Englisch und die indonesischen Worte des Google-Übersetzers verstehen die drei Jungs nicht. Dann kommt Mie Goreng Ayam Telur, also Gebratene Nudeln mit Ei und Huhn, den Orangensaft nicht zu vergessen. Es ist Samstags und das Resto, wie Restaurants hier tituliert werden, rüstet sich für den Ansturm der Dorfjugend. Blaue Lichtschläuche künden vom Elektronikzeitalter und im hinteren Bereich ist ein kleiner Pavillon, an dessen Rückseite eine Fototapete, mit aufgegangenen Nähten klebt. Der Pavillon beherbergt den Sänger, der, neben einer gigantischen Box, auf einem Stuhl, singenderweise die zu erwartende Meute bei Laune hält. Schon als wir um 15:30 Uhr vorfahren, ist jemand damit beschäftigt, die traurigsten Popballaden, derer die indonesische Musikbranche fähig ist, ins Mikro zu weinen. Ich darf auch nicht vor der Bühne parken, was ich der Bergziege ohnehin nicht angetan hätte. Der Kerl gibt alles, zwar ist keiner im Resto, aber er gibt alles. Wir sitzen bis 20 Uhr allein im Resto, essen, trinken Jus Jeruk, schreiben Despeschen, wir bleiben allein. Er singt, inzwischen steht er nicht mehr, wie am nachmittag, jetzt sitzt er, umgeben von blauen LEDs vor der Fototapete. Er hat mein Mitgefühl, ja ein bißchen tut er mir schon leid. Pause hat er nur dann, wenn der Muezzin sich sein religiöses Recht nimmt, musikalisch etwas beizusteuern. Ob noch jemand gekommen ist, läßt sich nicht sagen. So richtig fetzig wars wohl nicht. Keine Sektflaschen im Zierteich, Keine orientierungslosen Barflys, die sich mit zittrigen Händen einen Dübel drehen, Liebespaare, die in schummrigen Ecken versackt sind . . . nichts dergleichen, allerdings weiß ich auch nicht, ob man mit dem Jus Jeruk hier so richtig in Stimmung kommt . . . Aber, wer weiß?
An den krassen Regenguss vom Vorabend erinnert nichts mehr, die Sonne lacht, es sind angenehme 26,5 Grad und am Horizont sind ein paar schneeweiße Wolken, die die höhere Bergspitzen verhüllen. Im nächsten Dorf, gibt es einen Supermarkt, einen gut sortierten und großen Supermarkt. Anni sorgt fürs Frühstück und ich passe auf die Bergziege auf, was soviel bedeutet, dass ich mit der Kamera auf Streifzug an den Straßenrand gehe. Hier ist wieder alles in Schwarz, Rot, Gold geflaggt oder in Schwarz, Gold, Rot. Als wir die ersten Minangkabaudörfer durchfuhren dachte ich schon es hätte sich rumgesprochen, dass wir kommen und man deshalb gleich die Bundesdeutsche Flagge gehißt hat. Wahlweise würden auch noch ein paar Belgier nach uns kommen, so dachte ich. Aber, die Damen im Museum in Padang belehrten uns eines Besseren. Die drei Farben Schwarz, Rot, Gold symbolisieren die Einheit dreier verschiedener Volksgruppen innerhalb der Minangkabauethnie. Und - man höre und staune - sie bestehen darauf, dass die Minangkabau diese Farbkombination schon seit Jahrhunderten benutzen und die bundesdeutsche Farbkombination im Vergleich zu dieser Tradition, ja nahezu jungfräulich sei. Aha, so, so! Wunder über Wunder des Orients. Dennoch ist das immer komisch, wenn man
durch ein Dorf fährt und die deutsche Flagge von jedem Dach herunterflattert. Hinter uns liegt der 2000 Meter hohe Gipfel irgendeines Vulkans im Wolkenkranz. Welcher, weiß nicht einmal unsere Landkarte. 2000 - 3000 Meter hohe Vulkankegel sind hier überall an der Tagesordnung, dass man sich da halt nicht alle Namen merken kann. Wir nennen sie alle Merapi - vereinfacht kolossal! Der Trans-Sumatra-Higway führt uns durch die Dörfer und Täler ebenjener 2000 - 3000 Meter hohen Vulkane, die anscheinend keiner kennt. Spannend finden wir den Begriff Trans-Sumatra-Higway, denn die Straße ist streckenweise nur einspurig und generell so schmal, wie der Emsradweg nach Emden. Dazu kommt der Hohn, dass der gesamte Logistikverkehr über diesen Weg geht. Heute ist wenig los, aber anhand mancher Dinge, die ich im dörflichen Kontexten sehe, denke ich, dass diese Strecke generell nicht so viel befahren ist. In vielen Dörfern sind blaue Kunststoffplanen auf dem Trans-Sumatra-Highway ausgebreitet, auf denen Reis getrocknet wird. Frauen haben lange, hölzerne Schieber und wenden dabei regelmäßig die Reiskörner, für eine vollständige Durchtrocknung. In höheren Lagen liegt Zimt und auch Muskatnuss in der Sonne und verströmen ein würziges Aroma. Zusätzlich liegt auch noch etwas
zum Trocknen in der Sonne, was Kaffeebohnen ähnelt. Da hier aber nirgends Plantagen sind, vermuten wir, dass es sich eventuell um Kopi Luwak handelt, Katzenkaffee. Der geneigte Leser weiß schon, Bezeichnung für eine spezielle Form von Kaffee, salopp „Katzenkaffee“ genannt, die ursprünglich aus halb verdauten Kaffeebohnen in Exkrementen von in freier Wildbahn lebenden Fleckenmusangs hergestellt wurde (Wikipedia). Aber sicher sind wir uns nicht. Affen gibt es hier schon eine ganze Menge, Fleckenmusangs hatten wir hingegen nicht vor dem Vorderreifen. Gesehen hab ich davon überhaupt noch keine. Dafür hatten wir gestern eine Eidechse auf der Fahrbahn, etwa einen Meter lang, dunkelgrün und im Aussehen ein bißchen waranmäßig. Sie hatte aber keine Lust abgelichtet zu werden und war flux wieder im Reisfeld verschwunden. Wildlife war heute nicht so angesagt. Aber derzeit ist auf den Dörfern Hochzeitssaison. Dabei werden im Zentrum riesige Zelte aufgebaut, bestimmt vier Meter hoch und mit langen weißen
Stoffbahnen behängt, dass das Ganze wie ein überdimensionaler Sahnebaiser aussieht und meistens neben dem Dorfplatz auch noch die halbe Fahrbahn des Trans-Sumatra-Highways einnehmen. Aber Problem yok, denn dann stellt man beidseitig ein Schild auf - Hati Hati - und wen stört schon so ein kleines Verkehrschaos um die Hochzeitsveranstaltung herum. Dann passiert schon mal, dass man mit seiner Bergziege so um die Kurve geschaukelt kommt und der Fotograf, von der anderen Straßenseite her gerade das Hochzeitspaar ablichten will, welches in einem weißen Pavillon auf der gesperrten Fahrbahn posiert. Man ist ja Gentlemen, wartet und ballert nicht durch das Hochzeitsbild. Das tun aber nur die braselligen Bleichgesichter, der Indonesier auf seinem Roller stoppt nicht für das Hochzeitsfoto, lächerlich, da muss so ein Fotograf schon sehen, dass er seinen Job macht. Also stehen wir da, das Minangkabau-Hochzeitspaar aufgebrezelt, wie im Museum gesehen. Die Braut mit einem riesigen Kröhnchen, er dümmlich grinsend daneben, da war ja was mit der Matrilinearität . . . Aber die beiden waren wirklich ganz herzig und haben sich riesig über unser Warten und das Wa gefreut, dass Anni und ich ihnen rübergeschickt haben. Genauso die 372 Hochzeitsgäste, die alle ihre Handkameras vom Brautpaar zu uns rüberschwenkten, um die abgekämpften Bleichgesichter abzulichten. Wir waren alle drei einfach gerade nicht für eine Hochzeit angezogen, denn heute war unsere erste
Flussdurchfahrt - an einer Baustelle. Ein riesiger Bagger, tief im Wasser der gefluteten Straße stehend, riss die Fahrbahn auf, wo wohl ein unterirdischer Wasserablauf verlegt werden soll. Mehrere Gebirgsbäche laufen an dieser Stelle zusammen und setzen die Straße , als den Trans-Sumatra-Highway unter Wasser. Wir stehen bestimmt 20 Minuten in der prallen Sonne, mit einer Schlange an Autos, Minibussen und dem üblichen Heer ungeduldiger Rollerfahrer. Als die Straße für ein paar Minuten freigegeben wird, geht die Rallye los. Jeder Rollerfahrer will der Erste sein. Natürlich lasse ich die röhrenden Quälgeister vor, allein um zu sehen, wie tief das Wasser ist. Was soll ich sagen, einer der Ungeduldigen, drängt mich ab, sucht sich aber den falschen Weg, sein Knalpot zieht Wasser und der Motor stirbt. Leider ist es so tief, dass ich gehörig am Gas ziehen muss, was eine größere Flutwelle nach sich zieht. Zum Wasser im Motor, kommt bei Drängler jetzt auch noch Wasser inne Buxe hinzu. Aber, wer seinen Knalpot auch niedriger legt, verkürzt, damit die 25ccm Honda sich wir eine 1800er Harley anhört, der muss ich nicht wundern, dass Flussdurchfahrten kein Spass sind. Knalpot ist übrigens das alte holländische Wort für Auspuff, hängt hier an den Werkstätten und darüber hinaus lieben wir es! Knalpot, das muss man sich einfach mal vorsagen - großartiges Wort. Also für die Hochzeit sind wir obenrum etwas staubig und untenrum etwas feucht. In Punkto Roller haben wir heute etwas gelernt. Im Hochland werden an die Mopedtaxen kleine Beiwagen geschweißt, die aussehen, wie eingelaufene Autoscooter vom Rummel. Die Dinger sind so klein und eng, dass wir uns gefragt haben, wer soll da reinpassen ausser den / Zwergen. Ausserdem haben sie häufig Teppich drin, dass man seine Latschen ausziehen muss, ich meine, wie kann man sich darin überhaupt bewegen? Zwergsein ist nicht einfach! Aber wir haben die maximale Personenanzahl herausbekommen! Jawohl, also ich meinte Zwergenanzahl . . .
„Der Idiot“, Anni schimpft wie ein Rohrspatz in ihrem Helm. Tja, ich muss ihr recht geben, denn auf der Brücke hat ein Rollerfahrer kurzerhand 3 volle Mülltüten einfach in den Gebirgsfluss geworfen. Wir sind beide derartig sprachlos, können uns für 10 Kilometer überhaupt nicht einkriegen. Da wir heute den Fluss immer wieder kreuzten, hatte ich den Eindruck gewonnen, dass er ziemlich sauber sei. Aber er hat soviel Strömung, dass Anni zu Recht vermutet, dass der Müll einfach fortgerissen wird und deshalb nicht zu sehen ist. Bei flacheren Flüssen sehen die Ufer häufig so vermüllt aus, dass einem die Tränen kommen können. Leider wird diesem wunderschönen Land die ökologische Katastrophe nicht erspart bleiben, da helfen auch keine Wunder des Orients! Bonne nuit folks.
KI macht kein Gesicht:
Die Redewendung “ein Gesicht machen”
ist sehr gebräuchlich im Deutschen und hat mehrere Varianten, die je nach Kontext und Tonfall unterschiedliche Bedeutungen haben können. Zum Beispiel:
Ein schiefes Gesicht machen / ziehen: unzufrieden oder missbilligend sein.
Ein langes Gesicht machen / ziehen: enttäuscht oder traurig sein.
Ein Gesicht ziehen / machen / aussehen / dreinblicken wie sieben Tage Regenwetter: sehr unglücklich oder niedergeschlagen sein.
Gesicht zeigen: sich zeigen, sich beteiligen, sich positionieren.
Sein wahres Gesicht zeigen: seine wahren Absichten oder seinen wahren Charakter offenbaren.
Die Sache hat ein Gesicht: die Sache ist konkret oder greifbar geworden.
Sich eine ins Gesicht stecken / drücken: sich eine Zigarette anzünden.
Jemanden / etwas zu Gesicht bekommen / kriegen: jemanden…