15. April 2024 - Von Gorkha nach Bhaktapur
KM 21.716
In Bhaktapur boxt der Papst, so viel ist mal sicher. Wir stehen ganz an den Rand einer Hauswand gedrückt, während eine johlende Meute von Männern, jeden Alters, vom Kind bis zu Greis, einen schweren, hölzernen Festwagen über das unebene Pflaster von Bhaktapurs Altstadt wuchtet. Begleitet wird das ganze von Trommeln und Blechinstrumenten, deren Melodie eher eintönig bis mantrisch ist. Bhaktapur feiert Bisket Jatra, das Neujahrsfest. Hier geht die Luzie ab, obwohl wir noch nicht ganz verstanden haben, wer überhaupt Luzie ist und warum sie überhaupt abgeht. Aber, das werden wir herausfinden. Wie in vielen anderen asiatischen Ländern auch, findet das nepalesische Neujahr jährlich im April statt. Wie wir andernorts erfahren haben, beginnt es am 13. April und erstreckt sich über 5 bis 9 Tage, da widerspricht man sich hier. In Bhaktapur herrscht jedoch Ausnahmezustand, dass ist unübersehbar . . .
Wir starten früh in Gorkha, so um 8 Uhr - tatsächlich - ein Novum für uns, denn meistens bummeln wir rum. Schließlich haben wir ja Ferien. Doch die heutige Etappe wird anstrengend, denn wir müssen über den Prithvi Highway, vorbei an Kathmandu, um nach Bhaktapur zu kommen. Das ganze sind nur 155 Kilometer, doch nach unseren Nepalerfahrungen, benötigen wir für diese Distanz bestimmt so 5-6 Stunden. Unsere Gastfamilie ist so herzig, wollen uns gar nicht ziehen lassen, doch es hilft nichts. Zum Abschied bekommen wir noch einen roten Punkt
auf die Stirn getupft, die Bergziege bekommt ein Blumengesteck und wir machen uns auf die steilen Wege. Über das rappelige Altstadtpflaster durchqueren wir den betagten Stadtkern, mit seinen kleinen pagodenförmigen Tempeln, vorbei an den Obstverkäufern am Bazar, bis wir die Stadtgrenze von Gorkha erreicht haben. International ist hier wirklich nicht viel los, aber im allgemeinen Tourismusaufbruch, der sich in Nepal abzeichnet, wird das schon kommen. Zumindest fühlt es sich für uns so an, als versuche das Land seine touristischen Zielgruppe, weg von der ausschließlichen Trekkinggemeinde, auf Kultur- und Ökotourismus auszurichten.
Die 30 Kilometer lange Fahrt ins Tal des Marsyangdi, am dem der Prithvi Highways entlang verläuft, ist zugegebenermaßen richtig schön. Frische Morgenluft, leicht bergab geneigte kurvige Straßen und - wenn ich den skeptischen Blick des geneigten Lesers jetzt richtig deute - mit nur wenig Schlaglöchern. Das wäre ja auch peinlich. Die Straße zum Ursprung der nepalesischen Einheit in baufälligem Zustand, lächerlich! Es geht über die Dörfer, durch kleine Wäldchen, mal crashen wir fast eine Hochzeit und dann wieder das atemberaubende Panorama der steil am Berg liegenden Reisterrassen. Bei der Hochzeitsgesellschaft fahren wir schnell
weiter, droht unsere Anwesenheit doch dem Hochzeitspaar die Show zu stehlen. Dabei haben wir nur abgebremst und höflich "Namaste" gesagt, worauf hin sich ein unfassbarer Begeisterungssturm entfesselt. Leider hat sich dieser graubraune Dunst immer noch nicht verzogen, er lastet wie ein niederdrückender Schleier über den Bergregionen des Kathmandutals. Aber auch in Pokhara ist es ähnlich diesig. Egal, der Fahrt tut es keinen Abbruch und da wir zu dieser frühen Stunde die Straße nahezu für uns allein haben, macht
auch das Kurvenfahren wieder Spass. Im Nachbartal hat sich ein Flüsschen tief zwischen die Täler gegraben, sodass wir einige Zeit, immer parallel zu einem sehr sehenswerten "Canyon" fahren. Es gibt zwar kaum Seitenbegrenzungen, ab er in diesem Land ist man eben selbst verantwortlich für das, was man tut! Eine große Brücke führt über den mächtigen Marsyangdi, der aufgrund der Trockenzeit so gar nicht mächtig aussieht. Nepal ist das Land der Hängebrücken. Wirklich, wenn sie was können, dann ist es
Hängebrücken bauen, egal, ob zur Verbindung zweier Dörfer auf 4000 Meter oder für Versorgungslastwagen von Kathmandu nach Gorkha. Ein bißchen Wehmut unsererseits, schwingt mit den Stahlplatten der Brücke mit, denn nun beginnt der beschwerliche Teil der Reise. Der Prithwi Highway schlängelt sich durch steile Täler, mit entsprechend vielen steilen Abschnitten und vermutlich massivstem Verkehr. Wir sind so früh, damit wir dem Trekkingtroß
aus Pokhara in Richtung Kathmandu, voraus sind. Dazu kommen unendlich viele Personenbeförderungsvehikel jeder Größe und auch in jeglichem technischem Zustand. Diese Fahrzeuge werden von Menschen gelenkt, die nur eine Maxime kennen - ankommen, und zwar zeitnah! Wie sie dieses Ziel erreichen ist egal. Da fährt so ein Kleinbus, gefolgt von 4-5 anderen Wagenlenkern, schon mal durch Restaurantvorgärten oder ähnliches, was sich so neben dem Stau, dem Vorankommen hindernd in den Weg stellt.
Was es in unserem Bewusstsein so gar nicht gibt - ich erinnere den geneigten Leser an dieser Stelle an meine glorreiche Herkunft, aus der Stadt mit einem 63 Meter hohen Berg - sind Erdrutsche. Natürlich bin ich schon Hunderte Kilometer Alpenstraßen gefahren und kenne das Verkehrsschild - Vorsicht Steinschlag! Klaro, doch natürlich haben wir das noch nie erlebt und unsere Berghänge sind so gesichert, dass das Risiko extremste minimiert ist. Unser Mann aus den Bergen, Richard, wird jetzt vermutlich schmunzeln, doch verglichen mit Nepal, ist das so.
Erdrutsche sind hier an der Tagesordnung. Wir müssen an einem verkehrstechnischem Nadelöhr vorbei, wo eine gesamte Fahrspur (!) - wohl gerade neu gemacht - komplett in die Tiefe gerissen wurde. Natürlich staut sich hier der Verkehr, es staubt erbärmlich und da man kaum Fahrdisziplin hat, sind diese Stellen immer irgendwie anstrengend. Zwei "frische" Erdrutsche der vergangenen Nacht sind nur rudimentär befahrbar, die bergzugewandte Fahrspur ist noch gänzlich verschüttet. Allerdings sin die Berghänge hier derart steil, dass eine
technische Lösung zur Sicherung vor Steinschlag, sicherlich eine ingenieurtechnische Meisterleistung wäre, so viel ist mal sicher. Oftmals sind wir ohnehin sprachlos, wenn wir vor einer Stauung warten und dann hoch oben die Terrassen sehen, die da in steiler, schwindelerregender Höhe, an die Berge geflanscht sind. Aber, wir sind eben im Himalaya und nicht in den Baumbergen! Im Allgemeinen lässt sich die Strecke einigermaßen gut fahren, doch
etwa 20 Kilometer vor Kathmandu, wird es richtig anstrengend. Fast ausschließlich Off-road-Abschnitte, oftmals eine einzige Schlammpiste oder so staubig, dass man keine 5 Meter mit Sicht hat. Irgendwann überholen wir den Tankwagen, der tagein und tagaus den Highway auf und ab fährt und dabei Wasser auf die sandigen Stellen sprüht, um die Staubentwicklung zu unterbinden. Bergauf können die meisten Busse, Pickups und LKWs nur noch langsamstes Schritttempo fahren, was die Bergziege gar nicht mag und dann gerne wärmer wird. Doch 10
Kilometer vor Kathmandu können wir auch nicht mehr überholen, denn inzwischen ist die Pokharakolonne aufgebrochen und hier angekommen, so dass wir im schlammigen Bergauf häufiger Mal den guten Ton des Überholen brechen müssen. Am Ende erreichen wir Bhaktapur nach gut 5-6 anstrengenden Stunden, was 13 Kilometer südlich von Kathmandu liegt. Wir sehen aus wie die Weihnachtsmänner, gepudert, und die Bergziege ist untenrum von einer dicken Schlammschicht bedeckt.
Der Hotelbetreiber des Dragon Homestay liebt Farbe. Schon am Eingang ringeln sich zwei riesige Drachen um die Eingangssäulen und sein Hotel ist aussen ebenso bunt gestaltet, wie die Zimmer - und das leicht pornöse Bad. Aber es gibt heißes Wasser, reichlich heißes Wasser - nicht normal in Nepal - und wir können den Straßenstaub runterspülen, der in die hintersten Winkel gekrochen ist.
Bhaktapur ist der am meisten besuchte Touristenort in Nepal. Man sagt, dass Bhaktapur einen Eindruck vermittelt, wie Kathmandu mal ausgesehen hat, bevor die Moderne Einzug gehalten hat und natürlich, bevor das Erdbeben 2015, viele kulturelle Zeitzeugnisse Kathmandus zerstörte. Wir wohnen nicht weit von der Altstadt, für die man übrigens einmalig 15 US$ pro Nase (einmalig) zahlen muss, sodass wir zu Fuß dahin laufen können. Es hätte zwar etliche Hotels in der Innenstadt gegeben, doch bei den derzeitigen Feiereien, dürften man dort nachts keine Auge zubekommen, ach - tagsüber übrigens auch nicht, denn es geht hier Tag und Nacht die Luzie ab!
Wir machen erst einmal nur einen Rundgang, suchen ein Restaurant und schauen mal, was Bhaktapur für uns wohl so in Petto hat. Vieles spricht uns sofort an, die alte Bausubstanz ist großartig und auch so anders, dass sich für uns quasi ein neues Reisekapitel auftut. Man hätte ja denken können, dass Nepal sich sehr stark an indischer Kultur orientiert hätte, schließlich sind ca. 70%-80% der Nepalesen hinduistischen Glaubens, doch dem ist nicht so. Die historischen Bauten Bhaktapurs sind wunderschön und komplett anders, als alles, was wir bis hierher gesehen haben.
Um den Pottery Place, wo früher traditionell die Keramik des Ortes produziert wurde, ist schon viel los. Menschen sitzen auf der Straße, denn die Feierlichkeiten zum neuen Jahr kennen keine Pause. In einer Seitenstraße steht einer der Festwagen und wartet auf seinen heutigen Auftritt. Derweilen spielen alle möglichen Kinder und Jugendliche darauf. Was es mit diesen Wagen auf sich hat, werden wir rausfinden. Wir schlendern erst einmal durch die Gassen zum Durbar
Square, wo Tempel und Paläste sich die "Gute Nacht" sagen. Wir sind bis ins Mark elektrisiert von den alten Gemäuern, die schon fast wie eine Filmkulisse anmuten, doch zweifelsfrei echt sind. Wunderschön! Es macht uns sprachlos. Auf Google hat ein Tourist gemeckert und schrieb, "dass er gar nicht verstehen könne, wieso man dafür "Eintritt" zahlen müsste. Das sei es nicht wert!" Ehrlich, was ein Vogel, wer hier nicht versteht, was er sieht, der sollte besser zum Shoppen nach New York fahren oder besser noch in irgendeine Glitzermetropole, wo er den ganzen Tag auf dem Handy rumdaddeln und seine Adidas-Sneaker zum Fast-Foot-Court tragen
kann. Morgen gibts mehr, heute bin ich echt müde. Manchmal, muss man einfach mal nichts sagen! Bonne nuit folks!
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