25. Mai 2024 - Bodnath
KM 22.108
Der Geruch nach Holzfeuer und Sandelholz liegt in der Luft. Vom Fluss her weht uns der schwere Hauch von Verwesung, Kuhdung und hochgradig verdrecktem Wasser entgegen. Die Luft flimmert, denn die Hitze nähert sich der 34 Grad-Marke, während nebulöse Rauchschwaden durch die engen Gänge des Tempelbezirks wabern und uns Tränen in die Augen treiben. Laute und fröhliche Menschen drängen durch die verschiedenen Gebäudekomplexe des Pashupati Mandirs, haben nur ein Ziel, den Fluß. Schwer beladen mit
Ringelblumengirlanden, Lotosgestecken, Dekogeld und Obst, wollen sie ihre Zukunft beeinflussen, begünstigen und Shiva um ein gewogenes Schicksal anflehen. Unter den schattigen Dächern kleiner, ursprünglich mal buddhistisch genutzter Pagodentempel, hocken alte Männer, deren seltsame Gesichtsbemalung in unseren Augen eher eine apokalyptische Aura ausstrahlt. Wir sind in Pashupatinath, Nepals größtem hinduistischem Heiligtum . . .
Für heute steht ein Hindutempel auf dem Programm. Nach dem Frühstück sind wir bereits um 10 Uhr auf kulturelle Pirsch und bahnen uns den Weg durch den Stupabezirk. Seit Buddhas Geburtstagsparty, sind Mitarbeiter der Verwaltung unablässig damit beschäftigt, die Spuren der ausgelassenen Feierlichkeiten zu beseitigen. Gestern Morgen war zumindest schon die gesamte „Lauffläche“ um die Stupa blitzblank. Da liegt nix mehr rum, kein Plastik, keine Essensreste, kein Papier. Am Eingang der Zugangsgasse müssen wir unser Langzeitticket vorzeigen und können passieren. Die Außenmauern werden gerade frisch geweißt. In meinen Augen allerdings sehr grobmotorisch, denn Farbspritzer fliegen überall herum und „versauen“ die
Gebetsmühlen. Aber, ich bin ja nicht hier, um sauberen Pinselstrich zu lehren! Die große ‚„Halbkugel“ der Stupa, der geneigte Leser erinnert sich, die die Weltkugel symbolisieren soll hat so ein dezentes „Schuppenmuster“, dass mit goldgelber Farbe aufgebracht wird. Unseren Informationen nach, wird dieses Muster einmalig im Jahr, genauer gesagt, zu Neujahr, aufgebracht. Doch heute sind die Stupamaler mit genau diesem Schuppenmuster beschäftigt. Gut, was soll ich sagen, Buddhas Geburtstag war auch am 23.5. und nicht am 10.5.. Da kann dann der Maler schon mal außer der Reihe kommen und nach der Geburtstagsparty die
derangierten Schuppen beseitigen. Die Sonne brennt in diesem Teil der Erde derart, dass alle Farben früher oder später ausbleichen. Der goldgelbe Farbton, der auf die weiß getünchte Halbkugel aufgebracht wird, hat im frischen Zustand eine dunkle Ockernote. Der Ton bleicht aber schnell aus und verändert sich zu „hellgelb“. Für das Schuppenmuster wird verdünnte Farbe in eine flache Plastikschüssel gekippt und mittels einer „drehenden Schleuderbewegung“ einfach auf die Fläche geworfen. Echt, wirklich, so machen die das! Um eine dunklere Färbung
der „Schuppen“ zu erreichen, machen die Jungs das mehrfach, so Pi mal Daumen-mäßig, bis die Intensität des Farbtons genehm ist. Der „Farb-Anreicher“ und „Farbschleuderer“ tragen Gummihandschuhe. Möchte nicht wissen, was das für ein Gebräu ist. Wahrscheinlich verhält es sich mit diesem Farbton, wie mit dem Elfenbeinfarbton für das Weiße Haus. Irgendeine deutsche Farbmühle, liefert eine, spirituell abgestimmte, Farbtonmischung, die den Anforderungen Buddhas entspricht. Fragen über Fragen des Orients.
Eines ist aber gewiß, wir mögen diese Stupa, mit ihren, sie umgebenden Häuserfronten. Irgendwie ist die Stimmung immer gelöst, fröhlich und auch spirituell abfärbend. Die Menschen, die mit beinahe geschlossenen Augen ihre Runden um das Bauwerk drehen, dabei mantrisch die Gebetsperlen durch ihre Finger gleiten lassen, rühren uns sehr. Wir hatten gedacht, dass die vielen tibetischen Trachten, die hier im Stupabezirk herumgeistern, eine Ausnahme zum Geburtstag Buddhas seien. Doch dem ist nicht so. Dieses Städtchen, längst städtebaulich mit Kathmandu verwachsen, ist eine Bastion der tibetischen Kultur im Herzen des Kathmandu-Tals. Durch die Ankunft Tausender Tibeter nach der chinesischen Invasion, im Jahr 1959, wurde der Tempel zu einem der wichtigsten Zentren des tibetischen Buddhismus. In kleinen Schneidereien, rund um den Stupabezirk, kann man die traditionellen Trachten Tibets erwerben und außerdem allerhand spirituelle Devotionalien, die ihren Ursprung eigentlich in den Klöstern des tibetischen Hochlandes haben. Beim Start unseres Everest Rundfluges konnten wir schon einen Blick auf die große Stupa werfen, da der Bezirk in unmittelbarer Nähe zum Flughafen liegt. Obwohl ich ja nicht das Fliewatüt loslassen kann - was ich sehr bedauere - sieht die Stupa, mit ihren Sockeln, von oben aus, wie ein riesiges Mandala des buddhistischen Kosmos.
Wir lassen den Tempelbezirk hinter uns und wandern durch die Viertel Richtung Südwesten, zu einem kleinen Canyon, der in unmittelbarer Nähe zum Flughafengelände liegt. Schon bald kann man sehen, dass sich die Religionszugehörigkeit der Menschen im Viertel geändert hat. Auf dem Hof einer Schule steht eine überdimensionale vergoldete Nandifigur. Für den geneigten Leser, Nandi ist der Bulle Shivas, der ein unverzichtbares Detail eines jeden Hindutempels ist, der Shiva gewidmet wurde. Doch zurück zu Pashupatinath. Durch die kleine „Schlucht“ fließt der Bagmathi-River. An den schroffen Felsen befinden sich die Ghats und der Tempel von Pashupatinath. Der Pashupatinath-Tempel ist ein Hindu-Tempel, der Pashupati, einer Daseinsform Shivas, gewidmet ist. Aha, so so. Ehrlich, keine Ahnung mehr, wie viele verschiedene Daseinsformen das kleine blaue Kerlchen schon gehabt hat. Ich habe längst den Überblick über Shivas komplexen Lebenswandel verloren.
Der Tempelbezirk umfasst eine Ansammlung von Tempeln, Ashrams, Bildern und Inschriften, die im Laufe der Jahrhunderte entlang des Ufers des „heiligen“ Bagmathi-Rivers errichtet wurden. Die Wasser des Flusses sind so schwarz und verdreckt, dass ich glaube, dass der Anteil von Wassermolekülen in dem chemischen Mischungskontrukt, nur noch im einstelligen Bereich liegt. Der Rest sind Fäkalien, Windeln, Plastik, Hausmüll industrielle Abwässer und menschliche Asche. Als wir auf einer der beiden kleinen Brücken stehen und das „Wasser“ bestaunen, wird uns beiden schlagartig klar, wie gut die Wasserqualität des Ganges in Varanasi
sein muss. Der geneigte Leser kann alles, was ich über die üble Wasserqualität des Ganges geschrieben habe, getrost ignorieren und durch den Begriff, „klares, erfrischendes Quellwasser“ ersetzen. Zumindest, wenn man hier auf den Bagmathi-River blickt. Was soll ich sagen? Vielleicht überspiele ich diese, im wahrsten Sinne, atemraubende, ökologische Vollkatastrophe mit ein paar Fakten. Der Tempel wurde 1979 zum Weltkulturerbe erklärt und ist einer von sieben Denkmalgruppen in der UNESCO-Auszeichnung innerhalb des Kathmandu-Tals. Der spirituelle Komplex erstreckt sich auf einer Fläche von 246 Hektar erbaut und umfasst 518 Minitempel und ein Hauptpagodenhaus. Mit anderen Worten, es ist riesig, weitläufig und voll!
Wir schlendern durch die Teile des Komplexes, die wir besuchen dürfen. Das Heiligtum, der Pashupati Mandirs ist für uns eine verbotene Frucht. Zugangsverbot. Wir dürfen zwar 1000 Rupien pro Nase latzen, aber in den Topact gehts nicht! So geht es zu den Ghats, wo eine richtige Zwei-Klassen-Gesellschaft herrscht. Denn es gibt Ghats, das Ram Ghat, für die niederen Kasten, die Plebejer also, und es gibt die Ghats des Königs, das Arya Ghat, von wo aus die höheren Kasten ihr erneutes Ticket für den ewigen Kreislauf des Lebens bekommen. Interessant, denn eigentlich ist das Kastenwesen in Nepal schon seit Jahrzehnten obsolet, ja sogar ist es bei Strafe verboten, darauf Bezug zu nehmen. Tja, in der Realität scheint es aber immer noch zwei Verbrennungsklassen zu geben. An den Ram Ghats brennen mehrere Feuer, ohne eine dazugehörige Trauergemeinde. Die Zeremonie haben wir nicht gesehen, doch unter den schmucklosen Dächern flammen die Verstorbenen, im wahrsten Sinne des Wortes "unbekümmert", vor sich hin. Am Arya Ghat zeigt sich ein ganz anderes Bild. Sehr große
Gruppen scharen sich um die Verstorbenen, Hindupriester zelebrieren Zeremonien, Gesänge und Riten. Klagerufe schallen über die Treppenstufen hinab zu den schwarzen Wassern des heiligen Gebräus und branden auf der anderen Seite zu uns Ungläubigen hinauf. Die Verbrennungsplätze werden rituell vorgewaschen, das Holz umständlich und affektiert gestapelt, Tonnen von Ringelblumen sorgsam gewunden und geknotet, Tonnen von Sandelholzpulver verstreut, sodass der Verstorbene wohlriechend in die ewigen Jagdgründe reiten kann. Das Arya Ghat in Pashupatinath ist auch die Heimat von skurril bemalten
Sadhu Priestern. Mit denen Jungs stehe ich auf Kriegsfuß, besonders hier in diesem Tempelkomplex. Doch auch in Indien sind sie mir richtig auf den Zwirn gegangen. Ich denke, der Fairness halber sollte man sagen, dass es da Unterschiede gibt. Da gibt es die „echten Sadhus“, die religiöse Asketen oder heilige Bettler sind, die dem weltlichen Leben entsagt haben. Dann gibt es noch die „Freizeitsadhus“, wie ich sie zu nennen pflege, wo die apokalyptisch anmutende Körperbemalung eher ein Geschäftsmodell ist. Die Jungs sind derart geldgierig, dass sie extrem nervig daher kommen und außerdem sind sie immer böse, wenn ich sie nicht fotografieren will. Also sie sind ungeschmeidig, wenn man ihnen für das Foto zu wenig gibt und sie sind
ungeschmeidig, wenn man sie gar nicht fotografieren will. Außerdem kennen sie ausschließlich Bleichgesichter als Zielgruppe. Echte Sadhus streben ausschließlich das Erreichen von Moksa an, was man als „Befreiung aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt“ nennen könnte. Moksa ist der vierte und letzte Asrama (Lebensabschnitt), der sich durch Meditation und Kontemplation über Brahman auszeichnet. So, nu kommen wir zur Bemalung. Die Bemalung ist Teil der täglichen Routine und tatsächlich gehört sie für Sadhus zu einem sehr spirituellen Ritus. Doch die überaus phantasievolle Kriegsbemalung einiger Herren, ist einfach nur übertrieben. Vor allen Dingen, gehen diese Herren abends heim zu Frau und Kind. Der Leser merkt, dass mich die ökonomisch ausgerichteten Freizeitsadhus ziemlich annerven. Ich möchte das nicht vertiefen, aber die Jungs waren heute wieder sehr aufdringlich und entsetzt, dass ich sie nicht fotografieren wollte. Auch der verkleidete Affengott Hanuman, war ganz schön geldversessen . . .
(Das Arya Ghat um ca. 1920)
Wie fast überall im Kathmandu-Tal ,ist das genaue Datum dieses Tempelbaus ungewiss, aber die heutige Form des Tempels wurde 1692 n. Chr. erbaut. Soviel ist mal sicher. Im Laufe der Zeit wurden rund um den Pashupati Mandirs viele weitere Tempel errichtet, darunter der Vaishnava-Tempelkomplex mit einem Rama-Tempel aus dem 14. Jahrhundert und der Guhyeshwari-Tempel, der in einem Manuskript aus dem 11. Jahrhundert erwähnt wird. Das genaue Datum des Tempelbaus ist ungewiss, aber die heutige Form des Tempels wurde 1692 n. Chr. erbaut. Im Laufe der Zeit wurden rund um den zweistöckigen Tempel viele weitere Tempel errichtet, darunter der Vaishnava-Tempelkomplex mit einem Rama-Tempel aus dem 14. Jahrhundert und der Guhyeshwari-Tempel, der in einem Manuskript aus dem 11. Jahrhundert erwähnt wird.
Doch eins ist gewiss, der Pashupatinath-Tempel ist der älteste Hindu-Tempel in Kathmandu. Es ist nicht sicher bekannt, wann der Pashupatinath-Tempel gebaut wurde, doch die Existenz des Tempels wird bereits im Jahr 400 n. Chr. erwähnt. Die zweistöckige und mit Goldblech verzierte Pagode beherbergt den Linga von Shiva. Also, nimmt man an. Es gibt viele Legenden, die beschreiben, wie hier der Tempel von Aalok Pashupatinath entstand. Wenn ich die alle aufzähle, schreibe ich Ende 2025 noch daran, neben dem langsamen Internet.
Trotz meiner Sadhuabneigung ist die Stimmung an diesem Ort sehr angenehm, denn durch die Weitläufiglkeit der Anlage, haben wir auch etwas Platz für uns. Die meisten Gläubigen drängen sich ohnehin um Shivas Linga im Pashupati Mandirs. Von der gegenüberliegenden Seite des Arya Gahts aus, können wir ungehindert in den heiligen Tempelkomplex schauen. Die Massen, die sich dort von A nach B schieben, würden uns heute ohnehin nur Atemnot beschehren. Die Mittagshitze ist ziemlich drückend, was bedeutet, dass es heute noch einmal einen heftigen Regenguss geben wird.
So machen wir uns am frühen Nachmittag auf den Rückweg zu unserem Hotel. Bei der großen Stupa herrscht gerade ein förmliches 6 Tage Rennen. Der "Ring" aus Pilgern, der sich um die Stupa schiebt, ist ebenso dicht gedrängt, wie im Pashupati Mandir. Wir gehen eine halbe Runde mit und verschwinden unauffällig in einer der schattigen Seitengassen, zwischen rostroten Mönchskutten und Gebetsfahnen. Bonne nuit folks!