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AutorenbildIngo

Vom Rollen zum Fahren . . .

20. Juli - Jakarta

KM 26


Nun stehen wir am Tor des Zollareals und die nächste Herausforderung ist der Heimweg zu unserem Hotel. Spätestens jetzt wird mir heiß, also - ist mehr so im übertragendem Sinne gemeint, denn heiß ist mir die ganze Zeit, aber jetzt wird mir superheiß!

Wir müssen uns jetzt irgendwie in den fließenden Verkehr einfädeln - natürlich Linksverkehr - als hätten wir heute nicht genug Herausforderungen gehabt. Aber, es soll ja ein Abenteuer sein! Mit einer Welle an kleinen bis riesigen, schwerste Dieselabgase ausgasende, Trucks werden wir unweigerlich aus der verkehrstechnischen Sicherheit des Cargo Terminals in Jakartas Straßenrealität getragen. Der geneigte Leser stelle sich die Situation bildlich folgendermaßen vor: Das Gehirn wird gegen 3:30 Uhr nachts im Tiefschlag von einem fiesen Klingelton abrupt geweckt! Alle verfügbaren Neonröhren der Wohnung sind schlagartig an! Alle Mobilgeräte klingeln gleichzeitig! Der Fernseher zeigt die Perspektive einer Achterbahnfahrt mit achtfachem Looping in 98 Zoll-Bildschirmgröße, ca. 40cm von der gerade erwachten Netzhaut entfernt und darüber hinaus wird man gefragt, ob man Kaffee oder Tee möchte. So ungefähr ist die Situation wenn man mit dem eigenen Fahrzeug seine westfälische Metropole verläßt, um in Indonesien, Jakarta - 28 Millionen Einwohner (in Zahlen 28.000.000), sein Motorrad durch die Gassen zu lenken. Visueller Overkill für die Sinne.

Hat man die ersten Minuten überlebt, kann eigentlich nichts mehr passieren. Denn, wenn man sich dem Verkehrsfluss anpasst, dann surft man so mit. Mit der Welle von unzähligen Honda Spirits, die permanent von allen Seiten, kreuz und quer die Fahrbahn benutzen. Ist ein bißchen wie ein Computerspiel, wo man nur heile den nächst schwierigeren Level erreichen muss. Kurzfristig bezweifle ich, dass wir überhaupt irgend einen nächsten Level erreichen werden. Katastrophenszenarios von Krankenhausbetten und lustig verrosteten OP-Tischen säumen den Pfad meiner Synapsen, an denen die sich die verkehrstechnische Reizüberflutung entlanghangelt.

Es wird schlagartig besser, als wir realisieren, dass alle Verkehrsteilnehmer sehr bedacht mit uns umgehen, ja nahezu Rücksicht nehmen. Mir gefällt das Bild, dass unsere Bergziege in Größe und Gewicht Respekt erzeugt, so wie der Hai ruhig und unbehelligt seine Bahnen in Fischschwärmen zieht, jawohl - toll. Tja, vermutlich ist es eher umgekehrt und all die Indonesier haben Mitleid und denken, dass sie besonders auf den Volltrottel achten müssen, der da völlig orientierungslos durch Jakarta geistert . . .

Natürlich haben sie recht, denn unsere digitale Navigation flimmert und läuft nicht richtig, was zu so schönen Ereignissen führt, dass man sich bestimme Straßenzüge durchaus zweimal anschaut. So irren wir, mehr nach der Trial and Error Methode, erst durch die Vororte und dann durch dass Gassengewirr des Großraumes Jakarta. 28 Millionen Einwohner! Nun kommen wir zu wichtigen Begrifflichkeiten: Fahren und Rollen! Der Begriff Fahren impliziert ja ein stetiges Vorankommen irgendeiner sonstwie gearteten Mobilität, hab ich mal gelernt, so in Physik - oder wie die Schulstunden hießen, die meinen größten Erholungscharakter hatten. Der Begriff Rollen ist mehr so eine metaphysische Vorstellung, ja nahezu theoretische Grundüberlegung verkehrstechnischer Dynamik. Kurz, hier fährt nix, sondern man rollt nur. In einem schwachen Moment konnte ich mal in den 3. Gang schalten. Also für wenige Sekunden. Nach tiefgehenden wissenschaftlichen Beobachtungen des Verkehrshabitats Jakartas merkt man schnell, wann es sich lohnt, den Motor auszuschalten und mit den anderen 2398 Scooterfahrern auf das Umspringen der Ampel an der Kreuzung zu warten. Diese Pausen sind übrigens ein Quell an Humor und guter Stimmung. In vergleichbaren Situationen, so an Ampeln auf der Wolbeckerstraße, würde es bei uns schon zu der ein oder anderen Fahrerauseinandersetzung, unter Benutzung großkalibriger Feuerwaffen, kommen. Nicht so hier - wir werden bestaunt, angelächelt, vermutlich auch belächelt. Aber was solls, ein kluger Mann hat mal gesagt, "das Einzige was ein Mann machen kann, wenn der Tod einen anlächelt, ist zurück lächeln!"

Wir sind nicht gestorben, sondern haben, mit Einbruch der Dunkelheit, unser Hotel gefunden. Dabei haben wir ganz tolle Stadtteile entdeckt, auch gerne zweimal. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen hier ist unglaublich, selbst im heftigsten Stau an einer Megakreuzung in der Rushhour können alle nur lächeln und rollen . . .

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