24. Januar 2024 - Luang Prabang
KM 17.319
Luang Prabang ist eine wunderschöne Stadt, also - zumindest im Stadtkern. In den vergangenen Tagen sind wir etliches zu Fuß gegangen, doch so richtig zum Sightseeing aufraffen, konnten wir uns nicht. Das liegt an der Temperatur. Es ist kalt. So kalt, dass wir heute unsere wollgefüllten Ortovox-Jacken aus den verschlungenen Tiefen des Schlumpfes gezerrt haben. Der geneigte Leser wird sich erinnern, der Schlumpf ist unsere blaue Gepäckrolle. 17 Grad, unfassbar. In Relation mit unseren sonstigen Temperaturen, ist das eigentlich, die Frostgrenze sozusagen. Unsere chinesischstämmige Hotelvorsteherin hat längst die
Skibekleidung aus der roten Lackkiste hervorgezaubert. Da ja alle Gebäude offen konstruiert sind, kann natürlich der Schneefall bis in die Lobby kommen, ohne von Glas oder Holz aufgehalten zu werden. Die ganzen hoteleigenen und natürlich auch die Fremdkatzen, die morgens beim Frühstück nahrungsheischend um behaarte Gästebeine herumschnurren, bewegen sich nur noch auf spitzen Pfoten vorwärts, um möglichst wenig Körperkontakt mit den ausgekühlten Fliesen der Lobby zu haben. Wie man so schön im Pott sacht, es ist "Arschenskalt!" Daher erwandern wir uns Luang Prabang Downtown.
Das Zentrum der Stadt besteht eigentlich aus vier Hauptstraßen und liegt auf einer "Halbinsel" am Zusammenfluss von Nam Khan und Mekong. Auf dieser kleinen "Halbinsel" spielt sich der gesamte Tourismustrallafitti ab. Reichlich sogar. Was aber diese Stadt so anziehend macht, ist die Zeitreise, die man hier im Gewirr der kleinen Gassen unternehmen kann. Der geneigte Leser stelle sich das einfach mal so vor. Im bequemen ledernen Tropensessel, der schon zu Zeiten Somerset Maughams und Kiplings ungemein einladend war, döst man in der Mittagshitze so vor sich hin, während man vom Sonnenlicht durch ein
tiefgezogenes Vordach geschützt wird und auf dem chinesischen Opiumtischen ein Earl Grey Tea dampfend sein öliges Bergamottearoma verströmt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite reihen sich weißgetünchte Häuser aneinander, deren salbeifarbene oder dunkelbraunen Holzblendläden zum Schutze vor der mittäglichen Hitze geschlossen sind. Die Vordächer werden von schweren Teakbalken oder verputzen Arkaden getragen. Im diffusen Licht, stehen darunter ebensolche Sitzgruppen aus schwerem Leder, massige chinesische Opiumtische, auf deren rotbraunen Tischplatten Kristallflaschen stehen, gefüllt mit Sodawasser und Pastis. Hier und da parkt ein dunkelroter Citroen 11CV oder auch ein schwarzer Renault 4CV unter schrägen Kokospalmen. Die Luft flimmert. Meine Fantasie fügt nun noch Menschen verschiedenster Coleur hinzu. Dort fährt eine chinesische Rikscha. Ein laotisches
Ochsengespann wackelt mit seinen Kisten über das unregelmäßige Pflaster. Buddhistische Mönche schreiten würdig von einem Wat zum anderen, vornehm gekleidete Hofbeamte des laotischen Königshauses eilen vorüber, Bettler in einfachen, verblichenen schwarzen Hemden und Hosen, halten im Schatten der Straßenvegetation träge ihre Siesta. Französische Marinesoldaten eilen die Treppen vom Mekongpier hoch zum Wat Xieng Thong. Arbeitselefanten werden von ihren Mahouts zum Ufer geführt. Ein französischer Plantagenbesitzer, im leichten cremefarbenen Tropenanzug mit Reitstiefeln und Tropenhelm, beobachtet das Entladen der Lastkähne . . .
In Luang Prabang muss man seine Fantasie gar nicht sonderlich anstrengen. Die alte Kolonialbebauung ermöglicht eine spirituelle Zeitreise in das alte Indochina der 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Luang Prabang ist außerdem bekannt für seine zahlreichen alten buddhistischen Tempel und Klöster. Eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt ist der Berg Phou Si. Ein großer steiler Hügel, der trotz der begrenzten Größe der Altstadt 150 Meter hoch ist. Eine steile Treppe führt zum Wat Chom Si-Schrein und bietet einen Blick auf die Stadt und die Flussmündung des Nam Khan. Wir schlendern von Kaffeehaus zu Kaffeehaus und landen am Mekongufer, wo unter den langen, schlanken Stämmen hohe Kokospalmen ein altes Kolonialhaus, mit blaugrauen Fensterläden Kaffee und französische Backwaren verspricht.
Zum Fluss sind die Blendläden geöffnet, die Räume sind hoch, weiß verputzt und der Boden mit schweren dunklen Teakholzbohlen belegt. Die Zeit ist unser größtes Gut und so können wir uns stressfrei durch die alten französischen Stadtviertel bewegen, verweilen, staunen und schmunzeln. Wände, Säulen, Böden zieren bauliche Dekorelemente, die bei uns längst in Vergessenheit gerieten oder als historisierend, ja, zuweilen auch anheimelnd, verpönt auf der schwarzen Liste seelenloser Formalarchitektur landeten. Hier erzeugen sie eine herzige Verzückung und ermöglichen einen individuellen Blick auf die Geschichte der Vorväter, wie auch immer jeder Einzelne sie auch bewerten möchte. Keiner kann sich von dem Charme der kleinen Kolonialbauten frei machen, die oftmals von dichter Tropenvegetation, hohen Kokos- oder Zuckerpalmen umgeben sind. Vom Café aus haben wir einen guten Blick auf den
Fähranleger. Hier tummeln sich Boote jeder Kategorie. Auf den trägen Wasser des Mekong dümpeln kleine und große Longtails. Ausflugsboote oder auch, neuerdings sehr im Kolonialstil konstruierte Flussdampfer. Wir beide schauen uns an und sagen gleichzeitig "wie in Tod auf dem Nil!" Und im selben Atemzug, wieder gleichzeitig, "Tod auf dem Mekong!" Im Stile eines Longtails, aus dunklem Holz mit Schiffskabinen und überdachten Decks, erinnert uns der Flussdampfer, der heute in Richtung Thailand ablegen wird, sehr an Agatha Christies Buch Tod auf dem Nil. Die gesamte koloniale Atmosphäre um uns herum, unterstreicht dermaßen die Stimmung, dass man unweigerlich in romantische Verzückungen geraten kann. Luang Prabang fasziniert nicht nur ältere Reisende, hier geraten alle ins Schwärmen. Junge Backpacker,
Individualreisende, Reisegruppen, Menschen jeder Nation. Zu groß ist der Kontrast zum übrigen Teil des Landes, wo würfelförmiger Beton stattlich-politischen Vorgaben gemäß, die Substanz für das kuschelige Eigenheim ist. Dazu kommt noch, dass Luang Prabang geleckt sauber ist. Hier fliegt kein Plastik in den Straßengraben oder achtlos fortgeworfene Müllsäcke zieren nicht ganze Straßenzüge, die Bürgersteige sind sauber gemauert, Schlaglöcher beginnen erst wieder an der Stadtgrenze. Es ist wie eine Blase, eine sehr schön restaurierte Blase. Was tatsächlich auch mal gut tut, so viel ist mal sicher. Der Spaziergang führt durch kleine Gassen,
vorbei an verwunschenen Gärten, verfallene Hotels, man geht über die Höfe der Wats und ihren Klöstern, passiert Wellblechhütten, Indigofärbereien und in der Sonne trocknende Reiskuchen. Eingerahmt wird die "Halbinsel" an drei Seiten von Wasser. Mekong und Nam Khan River sorgen mit viel Luftfeuchtigkeit für Kühle in den Gassen. Zum Mekong hin, liegen die alten Steinhäuser nachmittags im Schatten, während das Stadtviertel nach Süden hin, zum westlich kleineren Nam Khan River, die Sonnenterrasse Luang Prabangs ist. Auch hier stehen dicht gedrängt
Palmen sowie sonstige Vegetation, beschatten das unmittelbare Flussufer und dessen niedrige schmale Mauer, die zum Verweilen einlädt. Wie gesagt, es könnte auch eine gepflegte Kleinstadt im Burgund sein. Die Dichte an französischer Lebensart ist riesig. Croissants, Macarons und Weine sind keine Seltenheit und locken das gediegene Reisepublikum aus ihren klimatisierten 5-Sterne-Enklaven. Wir schlendern weiter und kommen an den Vorbereitungen zum Nachtmarkt vorbei, der täglich um 18 Uhr die wichtigste Hauptstraße auf einer Länge von mehreren 100 Metern belegt. Hier gibt es alles, was das Souvenirherz begehrt. In transparentem Acryl versiegelte Miniaturbuddhas mit Halskette, vermeintliche Indigoschals für 1 US$, Tücher und das sonstige "Kunst"-Handwerk, was Laos zu bieten hat. Im vorderen
Teil hin zum Kreisverkehr kommen die Garküchen. Gegrillter Mekongfisch, laotische Suppen, Wasserspinat, frittierter Reis und Pad Thai, es wird geköchelt und gebrutschelt, was das Zeug hält. Bei Einbruch der Dunkelheit ist es dermaßen voll, dass man eher schiebt als schlendert.
Auf dem Weg zum Hotel stolpern wir über ein Straßenschild, dessen Bedeutung uns nicht einleuchtet. Außerdem haben wir das noch nie gesehen. Zwei parallele weiße Linien, die rot durchgestrichen sind. Sollte es womöglich heißen, dass es nicht erlaubt ist, aus einer ausgewiesenen Fahrspur zwei zu machen? Was eigentlich völlig normal ist, zumindest in diesem Teil der Erde. Fragen über Fragen des Orients! Bonne nuit folks!
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