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AutorenbildIngo

Stadtecho . . .

01. März 2024 - Jaipur

KM 19.366


Tagsüber hat Jaipur eine niemals endende Geräuschkulisse. So, wie die vielfältigen Gerüche in den Gassen die Nase "begleiten", so ist der aufdringliche Lärmpegel ständiger Begleiter für die Ohren. Über Jaipurs Hauptstraßen fließt unaufhörlich eine wogende Massen, sich fortbewegender Menschen und Maschinen. Im Hintergrund lauert immer dieses Stadtecho. Der Klang stetig betätigter Hupen, das lautstarke Knattern verschiedenster Motoren, die abgehakten Gesprächssfetzen nachbarschaftlichen Sprachklangs verschwimmen zu einem geräuschvollem Grundrauschen, das sich leise anschleicht, an Intensität gewinnt, in einem Crescendo dazu führt, dass man sich die Ohren zuhalten möchte und dann, wie ein Echo, auf seinem Grundpegel wieder verhallt. Wenn man des Nachts aufwacht, macht einen die Totenstille stutzig. Bis zum Einschlafen sind da Geräusche, doch in der Mitte der Nacht hört man keinen Laut aus den Gassen. Nicht einmal irgendein Nachtschwärmer, untermalt geräuschvoll randalierend seinen Heimweg. Nach mehreren Stunden hat man sich an dieses Stadtecho derartig gewöhnt, dass man es nur noch rudimentär wahrnimmt. Ist es weg, vermutet man sogleich einen Hörsturz oder temporäre Taubheit hätte Besitz von Einem ergriffen. Wer dann in der Stille erneut in die Tiefen von Morpheus Armen hinabsteigt, der wird sich beim Aufwachen wundern, das jemand anscheinend das Radio des Lebens wieder repariert und eingeschaltet hat, denn das Grundrauschen ist wieder da. Der Kontrast zwischen Tag und Nacht könnte in Indien nicht größer sein . . .



Ich bin früh wach und weiß die Stille nicht recht einzuordnen. Vielleicht laufe ich noch auf Bangkoker Zeit, die bereits anderthalb Stunden weiter ist. Mit der Dämmerung beginnt auch das Stadtecho. Außerdem springt mehrfach die Alarmanlage der Bergziege an, doch ich kann beim Blick aus dem Fenster, niemand erkennen. Vermutlich Hunde, Katzen, Kühe oder Affen. Irgendein Viech wird wohl an das Vorderrad gekommen sein. In Jaipur sind richtig viele Makaken auf den flachen Dächern und maroden Putzgesimsen unterwegs. Nach dem Frühstück treffen wir übrigens auf eine pelzige Dreiergang im Treppenhaus, die durch ein Fenster, dass die Mitarbeiter unvorsichtigerweise geöffnet hatten, auf die Küchenebene unseres Hotels gelangen. Die Viecher sind richtig aggressiv, springen aufs Geländer und auf uns zu. Das Gebiss ist zwar nicht riesig, doch vor einem Biss von unseren Freunden, habe ich echt Malessen. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere geneigte Leser, dass ich die Uniklinik von Jaipur schon von meinem letzten Besuch hier kenne. So eine lustige Infektion durch einen Affenbiss gehört jetzt nicht unbedingt zu den Abenteuern, auf die ich scharf bin. Auf dem Treppenabsatz steht ein Bambusstock, den ich mir greife und laut auf das Geländer schlage. Das vertreibt die



aggressiven Viecher nur wenig. Spontan ergreift der Rädelsführer einen Wischer - ernst wahr! - bricht das Wischende ab und hat ebenfalls einen staatlichen Prügel in den Pfoten. Mein erneuter Schlag auf das Geländer bringt die Küchenmitarbeiter in den Flur, die mit Besen die Affen aus dem Fenster treiben. In der Altstadt von Jaipur stehen die Häuser so dicht, dass man morgens - sprichwörtlich - nur ins andere Badezimmer langen muss, um sich einen Rasierer auszuleihen. Die beiden Küchenchefs und ich stehen hinter dem geschlossenen Fenster und einen halben Meter davon entfernt, hocken die pelzigen Randalierer. Kaum sind wir an die Scheibe getreten, springt einer mit wütendem Gekreische auf das geschlossene Fenster zu. Mit einem dumpfen Knall, der die Scheiben erzittern lässt, prallt der wütende Affe dagegen, rutscht runter, stößt sich von der hervorstehenden Rahmung ab, zurück auf ein Gesims des Nachbarhauses. Diese Angriffstaktik wiederholt der Leithammel mehrfach. Da die Mitarbeiter nun zu Recht Glasbruch vermuten, artet die Schlacht in schiere Aufrüstung aus. Den Ausgang des Krieges habe ich nicht mehr mitbekommen, da wir den Morgen mit etlichem Orgakram verbringen müssen. Grundsätzlich wundert mich das Verhalten der Affen nicht, denn vielerorts werden sie gefüttert - von Indonesien, über Malaysia und Thailand bis nach Indien. Kein Wunder, dass sie da so konditioniert sind, dass sie überall was abgreifen können . . .



Nachdem wir ein Hotel in der Nähe des Ranthambhore Nationalparks gebucht haben, machen wir uns auf die Suche nach einem Portal, was Tickets für eine Tigersafari anbietet. Das ist aber so unübersichtlich, denn es gibt etliche Agenturen, die Tickets verkaufen, die aber quasi nur als Zwischenhändler dienen. Bevor wir nun einem Nepper in die Falle gehen, rufe ich im Nationalpark an und der freundliche junge Mann hilft uns bei der Buchung, via WhatsApp. Leider sind keine Plätze in den kleineren Fahrzeugen mehr zu bekommen, sodass wir notgedrungen einen Platz in einem Großfahrzeug buchen müssen. Wir nehmen die Plätze, bevor alles ausgebucht ist. Nach viel Missbrauch, um und mit Tickets für Tigersafaris, ist das Procedere nun auch stark reglementiert und auch die Besucheranzahl ist nicht willkürlich, sondern unterliegt einem strengen Reglement. Aber gut, wir werden sehen, ob wir die Großkatzen überhaupt zu Gesicht bekommen.



Nachdem die Affen- und Katzenangelegenheiten geregelt sind, machen wir einen Zug durch die Gemeinde. Jaipur hat gut 3 Millionen Einwohner und daher sind die Altstadtgassen besonders wuselig. Überall sitzen oder stehen Menschen herum, palavern, spielen, trinken Chai und Kaffee, oder schauen einfach nur zu, wie die Zeit vergeht. Überall sind Augen. Egal, was man tut, irgendein Paar Augen beobachten die vorbeischlendernden Bleichgesichter. Selbst, wenn ich mit einem 300er Zoom aus dem Schatten jemanden fotografiere, bekommen es die Menschen immer mit. Verrückt. Meistens frage ich höflich, ob ich ein Foto machen darf. In Indien sind



besonders die Männer recht eitel und freuen sich, wenn man sie ablichtet. Nicht immer und nicht alle, aber meistens sind sie ganz gerührt, wenn ich ihnen dann das Ergebnis zeige und noch ein freundliches "handsome devil" dazu gebe. Manche Gasse ist voller Alltagsleben Indiens. An jeder Ecke wird Etwas gebraut oder gebrutzelt, zwei Meter weiter pinkelt Einer gegen eine Hauswand, während er telefoniert und den Motor seines Wagens laufen läßt. Roller schießen



mit unkontrollierbarer Geschwindigkeit zwischen den eng stehenden Häusern hindurch. Kleine Geschäfte und Kioske, deren Grundfläche sich am Hausflur orientieren, bieten vom portionierten Waschmittel, Haarbleiche bis hin zum Instantkaffeepulver alles Mögliche an. Ruinen sind ebenso an der Tagesordnung, wie Patrizierhäuser, vor deren Eingängen hochwertige Fahrzeuge parken.



Wir passieren den Maharadjapalast, wo uns natürlich die internationale Tourismusmeute über den Weg läuft. Aufdringliche Basarhändler mit Bauchladen oder großer Umhängetasche, zaubern nutzlosen Tand aus dem Herzen der Finsternis und preisen ihre Waren. Wir lassen auch das Areal des Palastes mit seinen uniformierten Wächtern, Bussparkplätzen und dem Batikgewerbe links liegen und tauchen tiefer ein, in den großen Basar von Jaipur. Am Kreisverkehr kommen wir wieder an den verschiedensten Segmenten des






Kleinunternehmertums vorbei. Hier gibt es Restaurant-Ich AGs, die Händlerfraktion, die sich auf die Zehenriemen von defekten Kunststoff-Flipflops spezialisiert hat und den Gebißmonteur, wie wir ihn hausintern getauft haben. Schon gestern beim Abendspaziergang, ist uns dieser Herr, ganz in weiß gekleidet und mit einem rotem Turban angetan, aufgefallen. Ob es ein richtiger Turban ist, so 1000 und 1 nachtmäßig, sei dahin gestellt. Doch mit seinem weißen Schnapp und der roten Kopfbedeckung, erinnert er an ein Streichholz. Also, für diejenigen, die noch Streichhölzer kennen. Und - er repariert und richtet Gebisse und hat auch etliche Modelle vorrätig - so gebrauchte Modelle, um genauer zu sein. Leider konnten wir ihn nicht im Kundengespräch beobachten, das hätte uns schon interessiert, so viel ist mal sicher.



Heute schaut er ein bißchen griesgrämig aus, vielleicht ist einfach heute weit und breit kein Gebißbruch in Sicht, wer weiß das schon? Fragen über Fragen des Orients. Wir lassen den Gebißmonteur in seiner Praxis, ebenfalls links liegen und begeben uns in die dunklen Tiefen des Sarimarktes. Schmale Gassen, in diffuses Licht getaucht, verwoben wie das Netz einer Tarantel, führen zu kleinen und großen Geschäften, deren Wände und Böden mit farbig gemusterten Stoffen überhäuft sind. Irgendwo zwischen den gestapelten Tuchwaren, hocken




Männer und Frauen und es wird gefeilscht, geworben, verworfen, anprobiert und abgelehnt, dass sich die Balken biegen. Über den Eingängen sind Planen markiesengleich gespannt, sodass der Blick in den Himmel kaum möglich ist. Einem Bienenstock gleich, schwirren Frauen




in traubenartigen Grüppchen durch das gewebte Schlaraffenland weiblicher Kulturhoheit. Hier und da eine Kaffeebude oder eine Fritöse, deren fettiger Backgeruch sich in den seidigen Exponaten niederschlägt, die an den jeweiligen Eingängen der Geschäftswelt hängen. Überall ist Farbe, dass ist so unglaublich intensiv für die Augen, wenn man dann, im Gegensatz dazu, an die dezenten Farbspektren denkt, die die Bekleidungsindustrie uns daheim präsentiert.




Den Tiefen des Basars entronnen, führt uns unser Weg zu einem der Altstadttore. Saris, Kleider und sonstige Tuchwaren werden abgelöst von Lederschuhen, Sandalen und Silberschmuck. Was wir uns fragen ist, wer hier überhaupt selbst produziert, denn gefühlt, bieten allen Shops die gleichen Schuhmodelle an, von den Sandalen und anderen Pantinen mal abgesehen. Beim Schmuck verhält es sich ähnlich. Wer kauft dieses ganze Zeug? Doch es gilt: Wenn es sich nicht rentieren würde, dann würden sie es nicht tun. Immerhin ist Jaipur eine der am meisten besuchte Touristenstadt in ganz Indien. Daher, muss es ja irgendwie lohnen.



Richtung Stadttor kommen wir zu einem der Stadtteilmärkte, wo üblicherweise ausschließlich Obst und Gemüse gehandelt wird. Der späten Stunde geschuldet, ist hier nicht mehr viel los, außer vielleicht für die mobilen Obststände, die direkt vom Straßenrand in den Autostau vorm Stadttor verkaufen. Ältere Frauen, vielleicht ohne jegliche Bildung oder soziale Aufstiegschancen, haben zwischen den parkenden Fahrzeugen einfach ein Tuch ausgebreitet und bieten eine begrenzte, meist doch nur kümmerliche Auswahl an zweitklassigem Obst an.





Die Rushhour macht sich langsam bemerkbar, denn das Hupen im Hintergrund beginnt sich langsam auf eine geräuschtechnische Katarsis hinzubewegen. Wir verlassen die Altstadt durch das Stadttor, um in die Neustadt zu gelangen. Heute hat sich der Himmel langsam aber sicher zugezogen und ein Regenguss scheint im Anmarsch zu sein. Bei unserem letzten Besuch, war dieses Stadttor gerade in der Renovierungsphase. Es ist wirklich krass, wie das Klima und die



Abgase den Bauwerken zusetzt. Der Rotton ist weithingehend ausgeblichen, Auspuffgase haben teilweise schwarze Farbschleier über die Bemalung gelegt und der frisch restaurierte Putz hat bereits schon die ersten Setzrisse. Trotz der "Sanierungsmängel", hat das Stadttor doch ziemlich viel Flair und für eine orientalische Altstadt ist es genau das richtige Lokalkolorit. Am Kino überlegen wir kruzfristig, ob wir nicht einen Film schauen sollen. Das Plakat spricht uns jetzt nicht so an und so verwerfen wir diese Idee wieder. Das Zelluloidabendprogramm wäre außerdem auch auf Hindi, doch anhand des Filmplakats sind wir uns sicher, dass wir dem Plot wohl intellektuell folgen könnten. Bonne nuit folks!






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