04. März 2024 - Ranthambhore
KM 19.566
Es sind 10 Grad, als wir uns in stockfinsterer Nacht - halb 6 Uhr morgens, auf dem Weg zum Sammelplatz machen. Also richtig kalt, für unsere Verhältnisse. Angetan mit Skiunterwäsche, schließlich sitzen wir jetzt einige Stunden in einem offenen Wagen, versuchen wir das ungewöhnlich Gefühl der Kälte zu ignorieren. Unaufhörlich braust eine Schlange Safari- fahrzeuge an uns vorbei. Es gibt den kleinen Suzuki-Jeep, mit sechs offenen Sitzplätzen und den sogenannten Canter, eine Art offener LKW, auf den knapp 20 Sitzplätze moniert wurden. Den kleinen Wagen nennen die Inder Gypsy und der ist natürlich viel angenehmer, da man nicht so viele Besucher im Gepäck hat. Aber, diese Fahrzeuge zu buchen ist illusorisch, und wir konnten wegen der unsicheren Zollformalitäten nicht früher unsere Safaris buchen. Besucheranzahl und Besuchszeiten im Park sind streng rerguliert. Außerdem hat man versucht, dem Geschäft mit illegalen Tickets einen Riegel vorzuschieben, sodass jeder Besucher seinen Paß vorlegen muss und in jedem Fahrzeug ein Fahrer und ein Guide dabei ist. Außerdem ist der Park in Zonen eingeteilt, sodass nicht alle Fahrzeuge in jedem Teil des Parks unterwegs sind. Unser Guide hat uns zum Sammelplatz bestellt, der ungefähr 500 Meter von unserem Hotel, an
der Ranthambhore Road liegt. Natürlich herrscht unorganisiertes Chaos. Es ist dunkel, kalt und Hunderte von Fahrern, Guides, Safarifahrzeugen und laut brüllenden Organisatoren wuseln durch einander, sodass wir uns zu Mr. Azru durchfragen müssen. Doch der ist gar nicht der Guide, der organisiert nur brüllend. Manchmal vergesse ich, dass ich in Indien bin und da gibt es für jeden Job einen eigenen Mitarbeiter, mit einem exakten Aufgabengebiet. Ist das erfüllt, sitzt der Mitarbeiter am Straßenrand und kuckt in die Gegend. Wir werden an einen kleinen Guide verwiesen, der auf den Namen Shorty hört und eine Stimme hat, wogegen Tom Waits im Knabenchor den Fistelsopran singen könnte. Shorty, der Name ist durchaus gerechtfertigt, denn er reicht in seiner Statur nur bis zu meiner Achselhöhle, entpuppt sich als einzige Frau in dem Chaos aus grüngewandeten Safariguides. Der Beginn einer Safari in Ranthambhore erfolgt nach einem System, das sich lediglich einem Inder, nicht aber einem Bleichgesicht erschließt. Am Sammelplatz sammelt sich zwar einiges, doch die Safarigäste, werden auf mehreren Kilometern, entlang der Straße, in verschiedenen Grüppchen zusammengestellt. Wir werden also zu einer Feuerstelle gebracht, mehrere Kilometer vom Sammelplatz entfernt und sollen da in der Dunkelheit warten. Inzwischen ist es Viertel nach 6 und um 06:30 Uhr ist spätestens
Abfahrt. Es ist noch einmal kälter geworden, sodass wir unsere Daunenjacken rausholen und über die Wolljacken ziehen. Dann wird es hektisch. Wie immer in Indien, erst passiert ganz lange nichts und dann muss alles im Laufschritt erledigt werden. Während wir da so, winterlich verpackt, im offenen Fahrzeug sitzen und auf baldige Losfahrt hoffen, stolpern mehrere indische Touristen zu uns, die ebenfalls auf der Ladefläche Platz nehmen. Wir sind ein bißchen verwundert, weil auf den Tickets, auf der Homepage des Parks und außerdem in allen Reiseführern steht, dass es morgens im Park, in der Hauptsaison Dezember bis März, empfindlich kalt ist. Wie man da im Tshirt in einen offenen Wagen steigen kann, ist mir schleierhaft. Doch die Hälfte der Mitreisenden sind tatsächlich im Tshirt oder einem normalen Oberhemd dabei. OK, vielleicht sind auch wir nur Weicheier. Die letzten beiden Gäste werden im Hotel abgeholt, wo wir erneut 15 Minuten auf das Paar warten müssen. Was soll ich sagen, wir haben anscheinend das Gelassenheitsprinzip nicht verstanden, soviel ist mal sicher.
Mit ordentlich Schub wummelt der klapprige LKW los, wobei uns die Kälte die Tränen in die Augen treibt. An der Reaktion unserer indischen Mitsafarigäste, können wir merken, dass sie sich das so nicht vorgestellt haben. Immerhin kann man am Gate dann Caps oder auch Vliesmützen kaufen, die reißenden Absatz finden. Was soll ich sagen?
Der Park ist in Zonen aufgeteilt und für heute morgen konnten wir lediglich nur noch die äußerste Zone 10 buchen. Die inneren Zonen 1-6, sind die eher tieraktiven Zonen und die Zonen 7-10 sind die zusätzlich etablierten Ruhezonen. Immerhin soll es in Zone 10 vier Tiger geben. Eine Safari in Indien und eine Safari in Afrika, sind grundlegend verschieden. Aufgrund der strengen Besuchszeiten, hat man im Park nur jeweils drei Stunden Zeit, um überhaupt etwas zu
sehen. Während man in Afrika gemütlich den ganzen Tag auf Pirsch ist, hat das hier etwas Gehetztes an sich. Doch wir haben Glück und nach wenigen Minuten schleicht, in respektabler Entfernung, ein Schakal, felltechnisch super getarnt, durchs Unterholz. Im dämmrigen Licht des Morgens „verschwimmt“ er nahezu vor den fahlen Braun- und Beigetönen der dichten Vegetation. Keine 100 Meter weiter buddelt ein Lippenbär, höchst motiviert in irgendeinem Loch herum. Ein ziemlich großes Exemplar, leider wir er so von der Vegetation verdeckt, dass wir kein freies Sichtfeld auf seine ganze Pracht haben.
Die Wege, auf denen sich die Fahrzeuge fortbewegen, sind schmal, geschottert und winden sich in Kurven durch das Wald- und Buschland. Der Ranthambore-Nationalpark hat ungefähr eine Größe von 1.334 Quadratkilometern. Zwei Flüsse begrenzen die Fläche des Parks, im Norden vom Banas-River, und im Süden vom Chambal-River. Im Innern des Nationalparks liegt eine alte Festung, deren Name - Ranthambore Fort, namensgebend für den Park war. Sie stammt aus dem 10. Jahrhundert und wurde 210 Meter hoch, über der umliegenden Ebene erbaut. Aber man fährt natürlich nicht nach Ranthambhore wegen der Festung, schließlich sind wir in Rajasthan und da hat fast jedes Dorf eine respektable Festung aus der Mogulzeit. Ranthambore ist für seine Bengalischen-Tiger bekannt und nur deshalb sind wir hier. Über die Tigerpolulation, die in Indien schon so etwas wie ein Nationalheiligtum ist, herrscht nie richtig Klarheit. Falsche Populationszahlen zu Zeiten der Regierungszeit Rajiv Gandhis, bis hin zu erheblichen Dezimierungen durch Wilderei - Stichwort Chinesische Medizin - und wütende Dorfbewohner, haben dem König des Urwalds zugesetzt. Die Zahl der Tiger betrug 2005 25 und 2013 48. Im
Jahr 2014 gab es 62 Tiger im Park. Ob diese Zahlen stimmen, kann ich nicht sagen. Frappierend ist jedoch die Nähe des Naionalparks zu menschlichen Siedlungen. Fast ohne Übergang ist man gerade noch im intensiv landwirtschaftlich genutzen Dorfbereich unterwegs und im nächsten Augenblick, steht man vor dem Gate des Tiger Reserve Ranthambhore. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen, wo Tiger Kuh-, Schaf- oder Ziegenherden „heimsuchen“, was dann zur regelrechten Hetzjagd, seitens der Dorfbewohner, auf die Großkatzen führt. Ranthambore ist stolz darauf, eine große Anzahl an Säugetier-, Reptilien- und Vogelarten zu beherbergen. Neben dem Bengalischen Tiger gibt es hier noch viel mehr Viehzeugs. Das reicht von Leoparden, Lippenbären, mehreren Hirscharten, Sumpfkrokodile, Palmzibet (auch Luwak genannt), Schakale, Wüstenfüchse, Schlangenadler, diverse Vogel- sowie Wasservogelarten. Wahrscheinlich habe ich hier viele Viecher vergessen, aber nach der dritten Hirschart, muss ich wohl den Überblick verloren haben. Als Tiger würde ich mich hier auch sichtlich wohlfühlen. Verschiede Hirscharten, von tigermaulgerecht klein bis zu kuhähnlicher Form, kauen alle in der fahlen Morgensonne auf dem gelben Steppengras herum. Wir drehen unsere Runden in Zone 10, doch der Herrscher des Dschungels geruht es nicht, sich blicken zu lassen. Mungos spielen in der Sonne, gut getarnt in halbhohen Gras. Am Wasserloch ist gerade die Vogelwelt erwacht
und alles, was fliegen kann gibt sich die Ehre. Reiher putzen sich das Gefieder und auch Eisvögel schauen vorbei, als plötzlich ein dumpfes Grollen aus den Tiefen des Waldes zu uns herüber schallt. Schlagartig sind auch die letzten indischen face-timing Selfieprofi still - ein Novum - und lauschen angestrengt dem Lockruf der Wildnis. Shorty befiehlt dem Fahrer das Wasserloch zu verlassen und versucht die Laufrichtung des Tigers zu erahnen. Erneutem Gebrüll zur Folge, schickt sie ihn auf eine Piste. Doch uns ist heute morgen kein Tigerglück hold. Wir fahren noch gut eine Stunde auf und ab, aber die gestreiften Herren und Damen wollen eher unter sich sein und so werden wir auf heute nachmittag hoffen.
Am frühen Nachmittag stehen wir wieder an der Ranthambhore Road, am Sammelplatz natürlich und warten erneut auf unseren Guide. Inzwischen ist auf der Straße der normale indische Wahnsinn unterwegs. Heute finden hier drei Hochzeiten statt und so mischen sich Vorbereitungsskurrilitäten mit indischen Alltagsskurrilitäten. Kamele, was ja eigentlich Dromedare sind, bevölkern die Straße, bunt hergerichtete Traktoren und die allgegenwärtigen Milchausfahrer mit ihren alten, verbeulten Messingkannen, die mittels dicker Taue am Roller befestigt werden können, brausen geschäftig vorbei und wirbeln den trockenen Straßenstaub
gehörig auf dabei. Um halb drei sammelt uns der Canter, mit der Nummer RJ25AX1644 ein und es geht zur Zone 6. Die Zone 6 ist ein langgezogenes Tal, malerisch zwischen zwei massigen Tafelbergen gelegen und beherbergt ebenfalls vielerlei Getier. So ergibt unsere Recherche, dass es hier ziemlich viele Affen und Hirsche, aber eben auch Katzenarten, Hasen, Hyänen und auch die Indische Wüstenrennmaus in diesem Tal ihre Heimat haben. Ich bezweifle, dass wir letztere zu Gesicht bekommen werden, aber wer weiß das schon?
Die Zone 6 ist sehr hügelig, doch im Gegensatz zur Zone 10, deren dichtes Unterholz jeden Blick in die Tiefe des Waldes verhindert, hat man hier eine tolle Aussicht über das Land. Hirsche jeder Größe sind in den Steppenartigen Abschnitten unterwegs und genießen, genau wie wir, die
warme Sonne auf dem Rücken. Die Vogelwelt scheint nun richtig auf der Höhe ihrer Energie zu sein und so herrscht in den Baumkrohnen und häufig auch auf den Streben des Canters, dichtes Gedränge. Besonders häufig ist hier eine - ich nenne es mal laienhaft - Elsternart unterwegs. Ob das tatsächlich Elstern sind, weiß ich nicht. Doch so frech, wie die Kerlchen dreinschauen und
auch das Gemeckere, legt den Schluss nahe. Die Fahrt ist wunderschön, überall wuselt es rum, Streifenhörnchen und alle möglichen Vögel wetteifern um das karge Nahrungsangebot der Trockenzeit. In der Tiefe des Tals stoßen wir dann auf eine ganz lebendige Affenbande. Die
bengalischen Hanuman-Languren sind zwar genauso schnell und verspielt, wie die Makaken, die uns überall in den Städten begegnen, doch hier sind sie auf der Hut, nicht vor uns, doch vor dem König des Dschungels. Man merkt an ihren Verhalten, dass sie stets mit einem Auge wachsam sind. Unser Guide Anuwat meint, dass wir heute keinen Tiger mehr zu sehen bekommen. Der Wald sei nicht in Aufruhr und wenn die morgendliche Jagd nicht erfolgreich sei, würde man das nachmittags am Verhalten der anderen Tiere merken. Aha, so so. Nicht die Info, die wir hören wollten, aber so ist das eben, wenn man auf Safari ist! Das rasante Schauspiel was die Affenrotte bietet, ist natürlich sehr herzig und darüber hinaus tauchen so viele Jungtiere auf, dass es schon für die Tigerlosigkeit entschädigt.
Die meisten Wasserläufe in Zone 6 sind nahezu ausgetrocknet. Hier und da sieht man mal ein dünnes Rinnsal, doch am Ende des Tages, müssen alle Viecher zu ein und demselben Wasserloch. Doch dort sind nur ein paar Vögel und ein paar Geier, die am Himmel kreisen. Der
Guide meint, dass das Geier seien, doch ich habe meine Zweifel. Die Vögel haben so gar nichts mit den Aasfressern gemeinsam, die ich aus Afrika kenne. Für mich hat die Silhouette eher die Form eines Adlers. Nach der Recherche, gibt es hier einen Schangenadler, der vielmehr zu meinem Foto passen würde. Aber nun gut, der Guide lebt hier seit seiner Geburt und ich bin nur
auf der Durchreise. Der Grund, warum sich am Wasserloch niemdn tummelt ist eigentlich ganz klar, doch niemand hatte das Sumpfkrokodil gesehen, das sich da, scheinbar träge auf einen erhöhten Aussichtspunkt gelegt hat, sein Reich gut im Blick. Kein Wunder, dass da grad niemand Lust und Durst verspürt, der einen zum Gang an die Wasserfläche zwingen würde.
Mit tiefstehender Abendsonne machen wir uns auf den Rückweg, zwar wieder tigerlos, doch mit einer Vielzahl an spannenden Momenten. Besonders diese bergige Landschaft, mit seinen fahlen Braun-, Sand- und Grüntönen hat etwas sehr Betörendes. Auf den Hügelkuppen grasen unbekümmert verschiedene Huftiere, die im sanften Gegenlicht sehr puschelig daherkommen.
Als wir schon fast das Gate erreicht haben, lässt der Guide den Wagen stoppen und deutet hinauf zu einem knorrigen Baum. Gut getarnt, haust dort eine kleine Eule, deren starrer Blick ungnädig auf uns ruht, uns, die wir ungefragt ihre Ruhe stören. Nach burmesischen Maßstäben, ist die Begegnung mit einer Eule ohnehin der Inbegriff dessen, was man spirituelle Erleuchtung nennen kann - viel wichtiger als jede Tigerbegegnung. Aha, so so - das lasse ich mal so stehen. Wir haben heute unendlich viele Naturschönheiten sehen dürfen, auch wenn es keine Tiger waren, so viel ist mal sicher! Dennoch, Ranthambhore ist ein wirklich schönes Plätzchen, dessen Erfahrungen wir nicht missen wollen. Außerdem gehen wir übermorgen früh noch einmal los und sind dann für die Zone 2 gebucht, die als die tigerreichste Zone gilt. Hauptsache, es läuft nicht so, wie mit den Elefanten. Bonne nuit folks.
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