09. Mai 2024 - Kathmandu
KM 22.108
Eigentlich wollten wir gestern ja zu Kung Fu Noodles gehen. Nachdem man hier in Kathmandu an allen Ecken internationale Küche bekommt, mussten wir erst einmal, lang entbehrtes, italienisches Essen nachholen. Also ich, genauer gesagt. Und die Pizza Margherita ist im Rosemary Resto und Bar einfach göttlich. Überdurchschnittlich preisintensiv, aber göttlich. Mit gleichbleibender Qualität, was im asiatischen Kontext eher selten ist. Da kann man schon mal Pech haben und an vier Tagen sind vier verschiedene Köche da, was bedeutet, dass man vier verschiedene - sagen wir mal vorsichtig - Interpretationen einer Speise bekommt, die man am ersten Abend lieb gewonnen hat. Doch die Margherita ist super, zumindest bis ich von meinem Platz aus die Ratte gesehen habe, die ungeniert zwischen Gastraum und Damentoilette flanierte. Deshalb fiel die Wahl auf den Chinamann, der alles kann. Nur noch eine kurze Bemerkung, bevor der geneigte Leser denkt, meine Chiliignoranz hätte neue Höhenflüge bekommen. Ich habe einen waschechten Curry-Koller. Seit der Einreise nach Indien im vergangenen Februar, gibt es - gefühlt nur noch eine Gewürzmischung, nach der alle regionalen und auch überregionalen Mahlzeiten, entlang unserer Fahrtroute, schmecken. Ob indisches Veggie-Curry, Massamann-Curry, nepalesisches Thali, Momos, oder das hiesige Nationalgericht, Dal Bhat, alles hat im Groben den gleichen Gewürzklang: irgendeine Curry-Mischung, Kreuzkümmel, Curcuma, Chilli, scharfen Pfeffer, Knoblauch und mit Glück etwas Salz. Selbst, wenn man alle Speisen im Wechsel ißt, schmeckt es für meinen Gaumen halt immer gleich. Je nach Schärfegrad, dann schmecke ich nix mehr. Ist aber auch keine Lösung, ehrlich gesagt. Was vermisse ich das Essen Indochinas und inzwischen auch indonesisches Mie Ayam, Nudeln mit Huhn . . .
Kung Fu Noodles, so der Name der fernöstlichen Suppenküche, vor der wir also stehen. Das ist so eine kleine chinesische Garküche, mit ein paar ramponierten Holztischen, deren abgenutzten Oberflächen, in der ansprechenden Neonbeleuchtung nur so funkeln. Nicht das der geneigte Leser jetzt an poliertes Tropenholz denkt. Beim regelmäßigen Reinigungsprozess werden die Fettrückstände in die feine Resopal-Holzoptik eingearbeitet. Dieser Vorgang wird meist mit einem gewebten Universalgegenstand vorgenommen, der in unseren Breiten eher mit dem Begriff „fieses Läppchen“ tituliert würde. Doch diese leicht fragwürdigen Reinigungsprozesse schrecken das reiseerfahrene Bleichgesicht natürlich nicht ab, denn gleichermaßen gibt es in meiner westfälischen Heimatstadt ebensolche sinologische Nudelschmieden, die ebenfalls ein reinigungstechnisches Läppchenäquivalent verwenden. Es gibt Suppen - super. Je heißer, um so besser. Doch alle Suppenrezepte weisen bereits kurz nach Aufzählungsbeginn, an 2. Stelle wohlgemerkt, Chili auf. Aha, so so - lassen Sie mich kurz überlegen - nein! Die Gesichter der bleichgesichtigen Dinnergäste erscheinen tiefgerötet, was man natürlich auf die 30 Grad Außentemperatur schieben könnte, doch ebenfalls könnte man auch auf den exorbitanten Sack getrockneter Chilischoten verweisen, der direkt neben dem Gasherd rumsteht. Wir gehen Pizza essen . . .
Nach etlichen Anläufen die Bergziege auf die Reise zu schicken, scheint es heute morgen zu klappen. Der indische Zoll akzeptiert nicht, dass die Batterie einfach abgeklemmt und das Benzin auf 3 Liter reduziert wird. Eigentlich ist das alles wieder mal nur ein Spiel. Denn unser Spediteur ist in der Zwickmühle, da sie international eben nur Warenlogistik über den Hafen Kalkutta abwickeln können. Und - natürlich - hat vor ein paar Monaten, der neu zuständige Beamte ganz unverblümt Geld haben wollen. Was unser Spediteur natürlich abgelehnt hat, mit der Aussage, sie seien ein seriöses Unternehmen ohne Schwarzkasse. Also gibt es jetzt, zwischen Kathmandu und Kalkutta, keine problemlose Zollabfertigung mehr. Der Beamte besteht darauf, dass wir das Öl ablassen, die Batterie rausnehmen und das gesamte Benzin abpumpen. Mit Videobeweis, sonst würde die Sendung in Kalkutta festgehalten. Es geht kein Weg daran vorbei! Also gut. Beim Kaffee haben wir vorgestern erörtert, dass ich eben eine neue Batterie kaufen muss, den das 4,5 Kilogramm Gerät zu versenden, kostet Unsummen. Da wir ohnehin einen Ölwechsel vornehmen müssen, lassen wir eben das Öl ab und drehen ein Filmchen davon. Benzin muss immer raus, kein Thema. Gestern Abend kam die Nachricht, dass wir uns heute morgen um 11 Uhr am Cargoterminal einfinden sollen, zwecks einer Zollinspektion und dem Verpacken, sowie Versenden der Bergziege. Aha, so so. Es kommt Bewegung in die Geschichte.
Kathmandu International Airport liegt etwa 7 Kilometer östlich von Kathmandu-Zentrum. So kämpfen wir uns ein letztes Mal selbstständig durch den Verkehr von Nepals Hauptstadt. Ich hätte ja gerne noch ein Erinnerungsfoto gehabt, so vor dem Ortseingangsschild oder einem „Pritvi-Gedenk-Einheitstriumpfbogens“, aber das gibt es in Kathmandu einfach nicht. Gemäß dem Motto, nach knapp 22.100 Kilometer am Ziel der Reise angekommen. Eher nicht! Man fährt einfach in diese 1,4 Millionen-Metropole rein und ausgeschildert sind lediglich verschiedene Stadtviertel. So insgeheim denke ich mir, dass überhaupt keiner so richtig Bescheid weiß, wo Kathmandu anfängt und aufhört. Ist vielleicht mehr so ein fließendes Konzept, wie viele Dinge in Nepal, die Grenzen zwischen Buddhismus und Hinduismus, die Grenzen zwischen Baustelle und Straße, die Grenzen zwischen hohen und sehr hohen Bergen. Der Verkehr ist eigentlich nicht schlimm hier - zumindest verglichen mit Jakarta, Bangkok oder Allahabad. Man fährt recht langsam und nur die sinnfreie, fahrtechnische Interaktion zwischen Zwei- und Vierrädern, macht es unübersichtlich. Ampeln sind Mangelware in Nepal, Strom ist teuer und kostet. Daher ist es viel preisgünstiger, die Kreuzungen mit Verkehrspolizisten zu pflastern, die kosten gar nichts. Die Herren stehen in blauer, gestärkter Uniform mit weißer Mütze und amtlicher Trillerpfeife auf den Kreuzungen und regeln, was zu regeln ist. Die manuell angezeigte Grünphase, variiert in ihrer individuellen Länge, in einer mathematisch berechenbaren Kurve, zwischen Handynutzung des Beamten und dem unzufriedenem Hupen der stehenden Verkehrsphalanx. Alles in allem sind die „Grünphasen“ zu lang, sodass sich fast immer sofort
unübersichtliche Rückstauungen zwischen zwei Kreuzungen bilden. Am Flughafen wurde es richtig eng und das Navi führt uns direkt zum Abflugterminal, wo der Bär tobt. Menschenmassen, ordentlich in Reihungen aufgezogen, wie hölzerne Perlen auf einer Gebetsperlenkette. Was ist hier los? Kostenloses Madonnakonzert? Krass, es ist so unfassbar überlaufen, dass wir uns insgeheim beide, unabhängig voneinander, eine geistige Notiz machen - beim Abflug früher als notwendig kommen. Der Cargo Terminal liegt natürlich woanders, ist aber leicht zu finden. Kathmandu International Airport ist eher so dimensioniert, wie der Flughafen Münster-Osnabrück. Vor einem Tor kommen wir zum stehen, Motor aus, wir sind zu früh. Doch bevor ich nur meinen Handschuh ausziehen kann, steht schon eine kleine Dame neben mir, einen blaueingefassten Flughafenausweis um den Hals und fragt, ob sie uns helfen kann. Wir erklären ihr, dass wir eine Zollprüfung und anschließenden Versand im Programm hätten. Sie winkt uns durch, ohne Ausweiskontrolle. Im Rest der Welt unmöglich, doch in Nepal gehen die Uhren anders und hier ist man eben entspannt. Vor dem Cargo Terminal wuseln bestimmt 30-40 Männer und Frauen rum, keiner in Uniform, sodass wir Abholer, Taxifahrer oder Zollmitarbeiter in keinster Weise identifizieren können. Keiner spricht richtig Englisch und Nirmal von Unique Cargo ist noch nicht da. Es gibt keine Auffahrt in den Terminal, nur eine 30 cm hohe Kante, über die eine schwere, ebenfalls nur 30 cm breite Eisenrampe gelegt wird.
Inmitten des lauten Chaos, wollen alle, dass ich schon reinfahre. Machen wir nicht, denn solange unser Logistiker und Schreiner nicht da ist, machen wir nix. Nun ja, unser Zögern interpretiert man so, als hätte ich Malessen, die Rampe hoch zu fahren. Daraufhin stellen alle Figuren im Terminal die Arbeit ein, um nun um die Bergziege, die Rampe und uns drumherumzustehen. Man(n) rückt näher, unauffällig, denn man(n) möchte ja nicht aufdringlich erscheinen und versucht fachmännisch über die Bergziege zu diskutieren. Dann stehen die würdigen, älteren Dhaka Topi-Träger im Kreis um die Front der Bergziege und versuchen verstohlen einen Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige des Tachos zu erhaschen. Ein ganz Vorwitziger erfragt gar die technischen Details und spätestens als ich die Tankkapazität und die daraus resultierende mögliche Kilometerlaufleistung erwähne, gehen wir, in lauten Gruppen- und Einzeldiskussionen, unter. Als Nirmal erscheint, wird die Bergziege zum Leben erweckt und mit Schwung über die Rampe bugsiert, was die umstehende Cargo-Belegschaft mit Bewunderung quittiert. Mit meinem Paß und dem Carnet des Passages verschwindet Nirmal in die Tiefen der Zollabfertigung.
Die Kiste steht bereits vorbereitet in der Halle. Wir parken daneben, bocken auf den Hauptständer und beginnen mit dem Ritual, in dem Anni und ich inzwischen Profis sind. Windschild und Spiegel abschrauben, Fahrwerk absenken, Bremshebel mit Klebeband großzügig umwickeln, damit keiner die Vorderradbremse mehr bedienen kann. Wir filmen den kompletten Ausbau der Batterie, sie muss in Nepal bleiben, obwohl es kein Moped gibt, dass dieses Riesending benutzen könnte. Doch wir verschenken sie an den Schreiner, der sich richtig freut und bestimmt schon irgendeine Improvisationsmöglichkeit im Kopf hat. Was uns wiederum sehr freut, denn es hätte mich nicht gewundert, wenn sie einer einfach ins Gebüsch hinter der Halle geworfen hätte. Der Motorblockschutz wird abgeschraubt, das Öl in eine Wanne abgelassen und unsere Ölreserve wird ebenfalls dazugeschüttet. Diese entleert jemand umgehend, bevor wir sie daran hindern können, in einen Gulli vor dem Terminal . . . Aha, so so. Dann erscheint Nirmal mit dem Zollinspektor, der würdig schreitend versucht, in all dem Chaos, die derangierte Bergziege zu umrunden. Hier sei erwähnt, dass, während ich am Schrauben bin, bestimmt 10-15 Herren drumherum stehen oder sitzen. Ein uniformierter Soldat kommt mit zwei Drogenhunden vorbei, will sich aber am digitalen Glücksspiel, was zwei Meter weiter stattfindet, beteiligen, sodass er die beiden Hunde neben uns anbindet, damit er die Hände frei zum Spielen hat. Seit wir den Terminal betreten haben, hat irgendwie kaum jemand die Arbeit wieder aufgenommen. Die Hälfte hat sich zu einem Powerschläfchen auf die Kisten
zurückgezogen, die sie eigentlich zollfertig verpacken sollten. Aha, so so. Kein Stress. Am Ende bauen wir noch das Vorderrad aus, das Motorrad wird auf dem Kistensockel positioniert und befestigt. Inzwischen ist so ein lustig bunt bemalter, indischer Truck auf den Hof gefahren und hat vor der Rampe rückwärts eingeparkt.
Die BMW AG hat die Motornummer an der GS so tief und versteckt angebracht, dass ich vor der Abreise ein gutes Foto davon gemacht habe. War nicht leicht. Für den Zollinspektor ist es auch nicht leicht und auf die Knie will er in seinem guten Zwirn schon gar nicht, sodass er sich mit dem Foto, dass ich im Vorfeld an Nirmal geschickt hatte, zufrieden gibt. Wie übrigens alle Zollbeamten Indonesiens, Malaysias, Thailands, Kambodschas, Laos und Indiens zuvor auch. Nach 3 Minuten ist alles geregelt - geht doch, liebe Inder - und wir können die Bergziege in der Kiste vernageln. Am Ende werden noch so Stahlbänder darum verspannt, wie man das bei uns
früher auch noch gemacht hat. Als ich Nirmal nach einer Ameise frage, die Ladefläche des LKWs liegt 20 cm über der Rampe, lacht er laut und sagt, davon gäbe es nur eine am Flughafen, die würde auf dem Rollfeld benötigt. Aha, so so. Und wie jetzt die Kiste auf den LKW käme? Sie wird getragen! Getragen??? Getragen! Hier wird überhaupt alles auf die LKWs getragen! Aha, so so. Dann packen die, vormals auf den Kisten schnarchenden Arbeiter, die sich urplötzlich neben mir materialisiert haben, an allen Ecken und Kanten an und schwupps, ist die Bergziege auf der Ladefläche. Als der mongolisch anmutende Fahrer die Türen schließen will, frage ich doch etwas entsetzt, ob man die Kisten denn nicht verspannen möchte. Dann reden plötzlich 20 Mann auf mich ein und Nirmal übersetzt, dass das eigentlich nicht notwendig sei und üblich ohnehin
nicht. Es gibt im Innern auch gar keine Haken oder ähnliche Möglichkeiten Gurte zu befestigen,
Gurte schon gar nicht. Das Palaver ebbt nicht ab, denn scheinbar verstehen die Herren meine Befürchtungen nicht. Völlig unverständlich, sozusagen. Aber, man lässt sich breit schlagen und verkeilt die Kiste diagonal im LKW, damit beim Bremsen sich die Kiste nicht auf die Seite legt. Dann schauen mich alle erwartungsvoll an und Nirmal erklärt, dass der Fahrer sich hat breitschlagen lassen, ganz vorsichtig zu fahren. Aha, so so. Bei den Straßen, der Fahrweise und dem Verkehr, bin ich ja mal gespannt, mit wie viel Blessuren die Bergziege die heimatlichen Gefilde erreicht. Beim Schließen der Türen stellt sich heraus, dass auf die Hecktüren ein Buddha im Lotossitz gesprüht wurde. Dann kann ja nichts mehr schief gehen - hoffe ich. Der Zollinspekteur verplombt alle Türen zur Ladefläche und dann rollt die Bergziege heimwärts. Bonne nuit folks!
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