01. August 2023 - Yogyakarta
KM 909
Beim Frühstück wars schon wieder stressig, denn, kaum hatte man sich den 100 Köstlichkeiten ausgesetzt, steht eine Hotelangestellte neben uns und fragt nach einem Interview. Sie ist ganz aufgeregt und natürlich umwerfend charmant, dass wir ihr den Wunsch nicht abschlagen. Wir berichten also von unserer Reise, beginnend mit dem Sabbatical, den Modalitäten, den Vorbereitungen, das "Verschiffen" der Bergziege, die Zollsituatioin in Jakarta, von den Bergen, Wasserfällen und natürlich den ungemein liebenswerten Menschen Indonesiens. Ich vermute, sie ist die neue Social Media Managerin des Hotels, denn - Fototermin kommt noch - das alles soll auf den Insta-Kanal des Hotels. Keine 10 Minuten davor hatte uns schon ein älterer Holländer auf dem Parkplatz angesprochen, als er neben der Bergziege stand und wollte wissen, was wir denn so machen. Holländer hats hier eh´viel, was ich kaum erstaunlich finde im Hinblick auf die Geschichte der Inselwelt hier. So wegen der V.O.C.(Vereenigde Oostindische Compagnie) und Batavia (Jakarta) als Handelszentrum. Holländische Geschichte gibts hier genug, wenn wir z. B. mal das Bier Bitang nehmen. Es sieht aus wie Heinecken, war auch ursprünglich ein Heinecken (die Brauerei wurde 1929 in Surabaya gegründet), ging 1949 in der Phase der Unabhängigkeit in den Besitz Indonesiens über, und wurde dann kürzlich von Heinecken aufgekauft, wie so ziemlich alle anderen Brauereien weltweit auch. Also holländische Überbleibsel sieht man häufig. Gerne auch in hochpreisigen Restaurants oder Hotels verwendet man "alte" holländische Petroleumlampen. Eben waren wir in einem Antiquitätengeschäft und er hatte bestimmt 20 alte Safes der V.O.C. da rumstehen, tatsächlich einer schöner als der andere.
Aber heute steht indonesisches Kulturgut auf unserem Tagesplan, der Taman Sari. Kurz gesagt ist es nur das Badehaus irgendeines Sultans, so um 1760 gebaut. Die Anlage liegt südlich des Kraton, des Sultanpalastes und ist so mehr auf royale Freizeit ausgelegt gewesen. Ursprünglich gab es wohl 59 Gebäude, von denen nicht mehr so viele erhalten sind. Das was erhalten ist, animiert mich sofort schwimmen zu gehen, zumal es heute über 30 Grad heiß ist. Also verkünde ich heute morgen, dass ich meine Badebuxe einpacke und ernte wieder einen vernichtenden Blick, denn Anni scheint sich manchmal nicht sicher zu sein, wie weit mein Wahnsinn schon fortgeschritten ist . . . Aber ich benehme mich und packe nur die Kameras ein. Die Drohne ist tabu, steht ausdrücklich am Eingang ausgeschildert. Hätte ich eh nicht fliegen lassen, denn die Flugzeuge, die in Yogya landen, reißen mit ausgefahrenem Fahrwerk fast die Wäscheleinen von den Dachterrassen der Altstadt. Aber wo war ich - ach ja der illustre Wasserpark der Sultane.
Natürlich ist es nicht nur ein Pool, wäre ja zu einfach. Zunächst muss der versierte Schwimmer durch ein Tor mit zwei Treppenaufgängen, auf deren Geländer sich zwei exorbitante Wasserschlangen räkeln. Dann kommt man in einen Garten mit etlichen kleinen, gut erhaltenen Häuschen, vielleicht die Umkleidekabinen. Denn die Beckenfolge der Schwimmanlage orientiert sich am sozialen Status der Schwimmer: Becken für Sultane, Becken für Prinzessinnen und Prinzen und für Mätressen. Hmmm, wieso es kein Becken für Ehefrauen gibt, liegt im Dunkeln oder es ist das mit den Wasserschlangen. Weiß man nicht so genau - Fragen über Fragen des Orients.
Wenn man aus dem Garten zum Eingangsbereich zurückblickt, dann kann man eine weiß getünchte, wunderschön verzierte Giebelwand sehen.
Dann muss man nur noch durch ein weiteres Tor, in dem tunnelartig eine Treppe mehrere Meter in die Tiefe führt und man steht im sonnendurchfluteten Beckenbereich. Große, naja, mehr überaus große Kübelpflanzen sind rings um das Aristokraten-Wasserloch aufgestellt. Was mich sehr freut, oder vielmehr meine teutonische Haut, denn die in den Kübeln befindlichen Zierbäume spenden angenehmen Schatten.
In das große Becken ragt ein Teil eines Treppenhauses ins Wasser, so erkermäßig. Darunter, im Schatten verborgen, ist der riesige steinerne Schädel einer Wasserschlange, die unauffällig Wasser in den Pool spritzt. Also, als Armatur ist das Ding schon repräsentativ, das will ich auch haben, auch wenn damit mein Bad bereits voll ist und es keinen Platz mehr für meine Wanne gibt. Da Trockenzeit ist, sind die Becken nicht ganz gefüllt. Normalerweise ist der Wasserspiegel gut einen Meter höher, sodass die vier Springbrunnen wie Wasserlilien daherkommen würden, die an der Oberfläche schwimmen. Das Quergebäude hat Holzgitter vor den Fenstern und man sagt, dass die Sultane von dort den Damen beim Schwimmen zugeschaut haben.,
Also, zwischendurch wäre ich schon mal gern reingesprungen, so der Temperatur wegen und natürlich ist die Location auch sehr ansprechend. Hätte vielleicht auch das Lokalkolorit für die anderen Besucher etwas lebensnäher gemacht. Aber, bevor die Stimmung gereizt wird, verwerfe ich den Plan und wir sinnieren über ein Piktogramm, dass mehrfach aufgestellt wurde. Es ist so zweideutig, dass es heißen kann "Nichts in die Becken werfen" oder "Nicht ins Becken pinkeln". Hab vergessen es zu fotografieren, sorry. Ehrlich gesagt, kann mich, im Hinblick auf touristisches Verhalten weltweit, eigentlich nichts mehr wundern. Deshalb lassen wir diese mögliche Zweideutigkeit mal so stehen. Während wir da so auf den Beckentreppchen sitzen, die
Kühle des Wassers und den Schatten irgendeines Zierbäumchens genießen, muss ich so an die sultantechnische Baderei denken. Wir befinden uns im 18 Jahrhundert, man ist reich, gelangweilt und braucht Zerstreuung. Also, hockt da der Sultan, angetan mit seinem blasspuffblauen Batikbadetuch, und begutachtet im einen Becken die Prinzessinnen, im anderen die Mätressen und so weiter. Wir sind ja in der Hochphase, nennen wir es mal vorsichtig europäischer Bemühungen um die Insel Java, vornehmlich holländischer und englischer Bemühungen, und da ist Mord und Totschlag ja schließlich ein probates innenfamiliäres Mittel, also gesellschaftlich akzeptierter Brudermord. Also, so hat das in Indien eine Vereinigung gefördert, die nicht genannt sein möchte. Denn, architektonisch sitzt hier so ein Sultan mit seinem Badehäuschen ganz schön auf dem Präsentierteller für so einem zünftigen Vorderlader.
Im Laufe unserer historischen Badehausexkursion finden wir heraus, dass so ein Sultan ganz schön auf Zack sein musste, wenn es um Leib und Leben ging. Also hat er sich einige unterirdische Gänge angelegt, die man - man höre und staune - auch in geflutetem Zusagt per Boot nutzen konnte. Pfiffig! Wenn so ein neidischer Cousin vierten Grades der angeheirateten Tante zweiten Grades selbst Sultan werden wollte (Zitat "Ich will Kalif werden, an Stelle des Kalifen" - meine Generation erinnert sich bestimmt an diese inhaltsschwangeren Zeilen, voller Geschichte und Kultur!) und mal einfach irgendeine Zisterne geflutet hat, um seinen Cousin zu ersäufen. Wir finden, auch ohne Guide, einen der zugänglichen unterirdischen Gänge. Das ist wahrlich erstaunlich, denn am Eingang des Badetempels gibt es ein Heer an historischen Bademeistern, die uns alles rund um die hygienische Sultanei näher bringen wollen, und, im Hinblick auf meine Ablehnung bezweifeln, dass wir uns in den Nassbereichen überhaupt zurecht finden können.
Alle 10 Meter ist über dem unterirdischen Gang ein Häuschen gebaut worden, durch das Tageslicht den royalen Fluchtweg erleuchtet. An der Oberfläche ist das Ganze dann nicht mehr so prätentiös. Vieles Bereiche der 59teiligen Badestelle sind kaputtgegangen und da haben die Einwohner einfach lustig in den Ruinen ihre Häuser gebaut. Innerhalb der schneeweißen Mauern des Taman Sari ist also ein Stadtviertel entstanden, was ohne erkennbares Muster angelegt wurde. Da kann man schonmal so ein königliches Belichtungshäuschen für das Aufhängen der Wäsche nutzen. Alle Gassen gehen kreuz und quer, eng und unübersichtlich von irgendwo nach nirgendwo. Hier leben einfache Menschen, es ist ein In-Viertel geworden, aber nur, weil es hier
traditionelles Handwerk gibt. Natürlich sind auch Cafés dazugekommen, aber im Großen und Ganzen ist es sehr natürlich geblieben. Hier hängt eine Maske, ohne dass es ein hippes Szenecafé ist, dort wachsen einfach Bananen und fast überall hängen mehr oder minder schöne chinesische Vogelkäfige. Für uns ist das eine nahezu kaum zu ertragende Tierhaltung, hier ist es
sehr weit verbreitet. Nahezu überall auf Java, ob Dorf oder Metropole, Menschen haben Käfige am Dachsparren hängen, in denen Vögel gehalten werden.
Yogya ist sehr schön, es hat nur ca. 450000 Einwohner, eine quirlige junge Kulturszene, universitäre Einflüsse, ist wuselig, aber nicht hektisch. Bei Einbruch der Dämmerung schließen die Geschäfte und ganze Straßenzüge fallen in den Dornröschenschlaf. Das ist eher selten in Asien zu finden. Allein, dass es kaum Hochhäuser, oder besser formuliert Glastürme gibt, macht
die Stadt sehr sympathisch. Die meisten Häuser bestehen nur aus Erdgeschoss und einem Obergeschoss, haben oft Holzfassaden, Vordächer, die von alten gusseisernen Säulen getragen werden. Allerorts gibt es Restaurants, Cafés oder sonst wie geartete Möglichkeiten zu essen oder zu kommunizieren. Der derzeitige Sultan ist gleichzeitig Gouverneur der Sonderzone Yogyakarta und damit das einzig selbstständige Sultanat innerhalb der Republik Indonesien.
Natürlich ist Yogya auch ein Ballungsgebiet, nicht so sehr wie die 30 Millionen Metropole Jakarta, aber, im Gegensatz zu dem Moloch, hier gehen die Uhren eben anders, denn das Lebensgefühl und der Zeitgeist ist ein anderer.
Morgen gehen wir in den Kraton (die nervige Autokorrektur macht immer Karton daraus), den Sultanspalast. Er bewohnt nur noch Teile des Palastes, der Rest ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Problematik hat er mit dem Maharadscha von Jaipur gemein, der hat auch nur noch 85 Zimmer zur Verfügung. Ich sehe ja ein, dass das ein hartes Los ist. Aber der sohnlose Sultan von Yogya ist mir auf jeden Fall sympathisch, denn er hat seine Tochter kurzer Hand zur Thronerbin erklärt, weshalb der Hof wohl etwas die Luft angehalten hat . . . Ich mag den Kerl!
KI sagt der letzte Badegast des Kraton könnte: Der letzte Sultan, Hamengkubuwono VIII (1921–1939) gewesen sein. Er könnte also einer der letzten gewesen sein, der die Pools des Taman Sari genossen hat.