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AutorenbildIngo

LEtzte Station: Kathmandu . . .

29. April 2024 - Von Panauti nach Kathmandu

KM 22.097


Was soll ich sagen, der Verkehr in Kathmandu hat indische Züge! Wir stehen mit ausgeschaltetem Motor an einer Altstadtkreuzung, etwa 400 Meter von unserem Hotel entfernt und in der Mitte der Kreuzung hat sich ein, nicht zu entwirrender, nepalesischer Verkehrsknoten gebildet! Da heißt es Ruhe bewahren, Motor aus und die Show genießen. Von allen vier Seiten der Kreuzung sind Autos herangefahren und die Lücken dazwischen haben sich mit Mopedfahrern gefüllt, sodass es nicht vor und zurück geht. Großartig. Alle sind gestresst und genervt. Doch sobald sich eine Lücke auftut, dann versucht mindestens ein Moped da rein zu stoßen. Ergebnis, es geht nicht vor und zurück. Das Beste ist allerdings, wenn ein Auto zurücksetzt, so aus dem völlig lächerlichen Gedanken heraus, Rangierfläche zu erzeugen, dann tut sich erneut eine Lücke auf. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass hier - wie in Indien gleichermaßen - jeder Mopedfahrer einen kleinen blauen Shiva auf der Schulter sitzen hat. Der geneigte Leser erinnert sich - Shiva ist der Gott der Zerstörung, unter anderem - und eben dieser kleine Shiva raunt, vermutlich mit heiserer, gedämpfter Stimme, dem nepalesischen Ghost Rider säuselnd ins Ohr: „Da ist eine Lücke, nimm sie, es ist deine Lücke, fahr einfach rein, na los, mach schon!“ Und was macht der hypnotische Mopedfahrer, richtig - er fährt in die Lücke rein. Jetzt kommt erschwerend hinzu, dass nahezu jeder Mopedfahrer in Kathmandu gleichermaßen einen kleinen, blauen und heiser flüsternden Shiva auf der Schulter sitzen hat. Konsequenz, es versuchen immer mehr, als ein Mopedfahrer in diese eine Rangierlücke zu kommen. Damit geht nix, alles ist festgefahren. Ist wie beim Betonmischen, Wassert spült kleine Sandkörner zwischen die Kiesel und das ganze backt zu einer festen, homogenen Masse zusammen, die erstarrt! So sieht es gerade auf der Kreuzung aus. Zusätzlich sind natürlich die Fahrradrickschas auch mit im Spiel, die keine Gnade kennen, wenn es darum geht einem Mopedfahrer die Lücke streitig zu machen. Also warten war auf Entwirrung . . .



Gestern haben wir ein wenig Panauti unsicher gemacht. Panauti ist ein bißchen so, wie Bhaktapur, nur kleiner. In etwa so, wie das Verhältnis von Münster zu Gimbte. Das kleine Städtchen liegt gut 30 Kilometer von Kathmandu entfernt, auf 1550 Meter über N.N. und ist noch sehr normal. Damit meine ich, dass dort kein museales Stadtbild herrscht, sondern einfach noch der Hauch der abwechslungsreichen Geschichte des Kathmandu-Tals, durch die kleinen Gassen fegt. Mit einem Rundgang ist man schnell fertig. Es gibt Tempel und Tempelchen, alte Häuser und neue, alte Häuser, ein paar Restaurants und ein Museum. Hühner und Ziegen laufen unkontrolliert durch die engen Gassen, von Hunden ganz zu schweigen. Obwohl letztere Fraktion eher mit Rumliegen beschäftigt ist. Den Morgen verbringen wir in einem Café, da das Abendlicht schöner zum Filmen und Fotografieren ist. Allein schon des roten Ziegelsteins wegen. Wir wurden übrigens so gegen 5 geweckt, von irgendeinem mantrischen



Gejaule. Immerhin nur halblaut und mit einer besseren Gesangsnote, als die vielen Muezzin, die sich in Indonesien zum Vortragen höherer Koransuren berufen fühlten. Gegen 05:30 Uhr mischt sich ein nepalesisches Schranzgeschraddel, so taktmäßig, unter die, gepflegt vorgetragenen Mantren. Wenn dem geneigten Leser der Begriff Schranz jetzt gerade so nix sagt, dem empfehle ich an dieser Stelle mal ein youtube video, um sich ein wenig in unsere Lage versetzen zu können. Denn spätestens jetzt, stehen wir senkrecht auf den zwei Bretter, die wir in diesem Hotel unsere Bettstatt nennen. Witzigerweise ist das ganze Konzert bereits um kurz nach halb 8 Uhr wieder beendet. Wir sind ziemlich erstaunt und so nach dem Tenor, Was war das jetzt?, schauen wir uns an. Aber es gibt keine Erleuchtung seitens unseres Hoteliers. Aha, so so. Wir müssen uns erst einmal einlesen und das geht am Besten beim Kaffee.



Panautis ruhmreiche Vergangenheit reicht mindestens bis zu den großen Lichchhavi-Herrschern Nepals zurück, grob formuliert so ins 2. bis 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Ach die, ah jetzt ja! Die Museumsinfos präzisieren nicht genauer, was so zwischen dem 2. und 8. Jahrhundert passiert ist, ausser, dass Panauti schon eine ordentliche Blütezeit hatte. Worin diese bestand, kann uns niemand sagen, denn dem älteren Ticketdealer im Museum, fehlen etliche Zähne, was seine Aussprache irgendwo zwischen unverständlich und unverständlich macht. Aha, so so. Im 13. und 14. Jahrhundert hatten die Malla-Dynastien dann wieder das Sagen in Panauti, wie eigentlich überall im Kathmandu-Tal. Aber im 14. Jahrhundert ging es



dann hoch her, denn irgendein Schnösel aus Panauti, wollte bei den Malla-Königen nicht so richtig mitspielen. Heute würde man vornehm und politisch korrekt konstatieren, dass der Malla-Integrationsgedanke nicht so richt rübergekommen ist. Einer von Panautis oberen 10.000, der Kerl hieß Jayasing Rom Vardhana, erklärte sich mal eben so zum örtlichen Souverän und gab den Malla-Schergen eins auf die Omme. Das muss so 1355 gewesen sein, wer weiß das schon genau? Kaum, dass der gute JRV, im Jahre 1400, den Styx überquert hatte, klopften die Mallas wieder an Panautis Tore und nahmen sich das Städtchen zurück!



Nun ja, in Panauti wurden Metallwaren hergestellt und die waren für die Malla-Könige ziemlich wichtig. Außerdem unterhielten die Kaufleute von Panauti enge Handelsbeziehungen mit Tibet und der Region Dolakha, das sind die Berge, die dem Everest vorgelagert sind - was bedeutete, dass in Panauti ziemlich viel Kohle gemacht wurde! Aber in den Wirrungen und Irrungen, verteilte man das Kathmandu-Tal unter den Königssöhnen auf und irgendwann konnte Panauti keinen rechtmäßigen Erben vorweisen, wodurch die Stadt an Bhaktapur fiel. Also, das übliche Hin und Her, Mord und Totschlag und Hoch und Runter!



Im Gegensatz zu vielen anderen, wirklich alten Städten im Kathmandu-Tal, ist Panauti von größeren Schäden durch Erdbeben verschont geblieben. Man munkelt, dass die Stadt auf einem einzigen riesigen Felsen erbaut wurde, der sie vor den verheerenden Auswirkungen von Erdbeben schützt. So ist die sachliche Erklärung, warum viele alte Bauten in dieser Kleinstadt einfach heil blieben, während die ganzen größeren Prunkstädte in Schutt und Asche fielen. Die Mythologie findet natürlich ganz andere Erklärungen und schreibt diesen Schutz dem



Schlangenkönig Basuki zu. Aha, so so, dem also! Denn die ganze Stadt steht angeblich auf seinem gewundenem Körper. Ist ja logisch! Mythen hin oder her, es ist unglaublich und wohl auch selten, auf einem so relativ kleinen Gebiet wie Panauti, eine solche Konzentration historischer Gebäude zu finden. Bei unserem Rundgang machen wir sprichwörtlich eine Zeitreise durch die Jahrhunderte. Mit seinen gepflasterten Straßen, den engen Gassen mit





traditionellen Gebäuden, seine alten Wasserbrunnen, seine vielen öffentlichen Rastplätze, Tempel mit Pagodendächern, Klöster, Stupas und beeindruckenden Schnitzereien aus Holz und Stein, zeugen von der künstlerischen Sensibilität und den immensen Fähigkeiten der einheimischen Handwerker. Das Spannende ist, dass diese Bauten größtenteils in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben sind und weisen eine Größe und Eleganz auf, die in anderen historischen Städten im Kathmandu-Tal selten zu finden ist. Das kann man einfach nicht bestreiten, allein, wenn man sich die ganzen Holkzschnitzereien anschaut!




Heute Morgen fällt uns auf, dass wir eine Doppelbuchung gemacht haben. Tja, im Laufe der vergangenen Monate sind so zivilisatorische Strukturierungshilfen, wie ein Kalender, Wochentage, Zeitmesser, o.ä. irgendwie unwichtig geworden und somit haben wir dummerweise übersehen, dass schon ab heute unser Hotel in Kathmandu bezahlt ist. Das ist uns schon mal passiert, doch wir nehmen es sportlich - mehr so als pure Entspannung, nach den vergangenen Monaten der Arbeitsabstinenz, denn als Anzeichen schierer Vergreisung. Also packen wir unsere 7 Sachen, erläutern unserem Hotelier, dass wir die nächste Nacht zwar bezahlen, ganze 17€, doch nicht mehr da sind. Eigentlich schade, denn heute beginnt in Panauti irgendein Fest, so richtig mit Geistermasken. Ich mache im Kopf eine Notiz, dass wir vielleicht abends noch einmal aus Kathmandu herkommen. Während ich dem Hotelier wieder meine



Aufmerksamkeit schenke ist er gerade dabei zu erläutern, wie die Ziegen geschlachtet werden und die Anwesenden das Blut trinken. Neue Notiz, vielleicht doch nicht! Irgendwie scheint er gemerkt zu haben, dass mein Gesicht, bei der Aussage, „die Anwesenden trinken das frische Blut der Ziegen“ entgleiste Gesichtszüge aufweist und fragt, ob ich Vegetarier sei. Ich verneine, was ihn beruhigt, aber Vampir bin ich auch nicht.

Nun gut, auf nach Kathmandu. Die 30 Kilometer bekommen indische Züge, je näher wir an Nepals Metropole Nr. 1 heran kommen. Zunächst müssen wir durch die Suburbs, was noch ok ist, denn da verläuft eine autobahnähnliche Straße. Dort blitzt die nepalesische Polizei wie verrückt, weshalb alle Mopeds Strich 50 km/h fahren. Wir auch! Nicht weil ich nicht schneller wollte - wir haben als einziger Verkehrsteilnehmer vorn kein Nummernschild, doch es sind so viele Mopeds auf der Straße, dass man eh nicht schneller fahren kann. Etwa 2,5 Kilometer vor



dem Ziel will das Navi, dass wir links, in eine schmale Gasse abbiegen. Diese liegt tief im Dunkeln. Etwas mulmig ist uns schon, nimmt das Navi jetzt die romantische Stecke, oder was? Doch wir müssen erkennen, dass die Breite einer Gasse in Kathmandu, nichts über den Beliebheitsgrad aussagt. Dunkel ist es ohnehin nur, weil die Häuser nach oben hin hervorkragen und so weniger Sonnenlicht auf die Fahrbahn der Gasse fällt. Hier kommt man sich vor, als würde man, Samstags morgens in Münster über den gut besuchten Markt fahren. Fußgänger, Rollerfahrer, Fahrräder, Rikschas, Taxen, Mahindra Jeeps und kleine Busse, sowie Minitrucks, tummeln sich hier, wie lichtscheues Gesindel in einem Basar aus 1000 und 1 Nacht. Hier gilt, draufhalten oder untergehen, wer bremst verliert oder drei auf einen Streich. Das Einzige was sich als tödlich erweisen kann, ist Angst zeigen. Also machen wir den Flakscheinwerfer der Bergziege an und ich bringe meine, in den vergangenen Monaten durchaus professionalisierten Hupkompetenzen, an den Gegenverkehr. Es klappt, die meisten Verkehrsteilnehmer weichen



aus und wir erreichen ohne Schramme, jawohl - ich wiederhole es noch mal - ohne Schramme, die verstopfte Kreuzung. Nach mehrminütigem Stillstand, erbarmt sich ein Fußgänger, tief in seinem Innern wohl zum Verkehrspolizisten berufen und versucht den Stillstand zu entzerren. Aber, er hat seine Rechnung ohne den kleinen Shiva gemacht, der ein jedem Mopedfahrer auf der Schulter sitzt. Es benötigt weitere 10 Minuten und eines weiteren Hobbypolizisten, mögliche Rangiermöglichkeiten zu schaffen, ohne, dass ein Mopedfahrer durchdreht und in die Lücke stößt. So erreichen wir nach 22.097 Kilometern der One Year on the Road-Tour unser Hotel in Kathmandu und sind damit am Ende einer langen Motorradreise angekommen. Bonne nuit folks!







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