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  • AutorenbildIngo

Happy Holi . . .

24. März 2024 - Pokhara

KM 90.931


Was soll ich sagen? Volksfeste im Orient sind irgendwie mitreißend. Da gibts kein Entrinnen. Nein, da läuft man so schlendernd anne Uferpromenade rum, dann schmiert einem jeder Entgegenkommende grellbunte Pigmente ins Gesicht. Wahlweise wird man auch mit Pigmenten beworfen. Naja, also, wir machen schon mit, ist ja nicht so, als wären wir ohne Pigmente zum Holi-Fest nach Pokhara gekommen . . .



Unser Morgen beginnt mit einem, spontan sehr elektrisierenden Moment. Wir kommen vom Frühstück, wollen gerade ein paar gewaschene Shirts auf der Tachterrasse in die Sonne hängen, da erspäht Adlerauge Anni, zwei schneebedeckte Himalayagipfel im Morgendunst. Auch wenn man die ganzen harten Fakten zu diesen Bergen gelesen hat, ist es aber trotzdem eine Überraschung, wie hoch ein, 30 Kilometer entfernter 8000er und ein, 19 Kilometer entfernter knapp 7000er, über einen Berggrad ragen können, der sich 800 Meter vor dem Hotel auftürmt.



Schemenhaft ragt da der "spitze" Machapuchare, mit seinen 6993 Metern "über" den 1600 Meter hohen Bergrücken von Sarangkot "hinaus". Die plötzliche Nähe, mit der diese prägnante Bergspitze, auch Fischschwanz genannt, aus dem Dunst sichtbar wird, löst bei Anni und mir inneres Vibrieren aus. Gestern sahen die Berge aus, als würden lediglich hoch aufgetürmte Wolkenfelder über 2000 Meter hohe Berggipfel hinweg ziehen. Das sich diese Dimensionen darin verbergen, lässt uns die Luft anhalten. Der Machapuchare sieht nur aus dieser Perspektive so "spitz" aus, seitlich gesehen, hat er einen Gipfel, der wie ein klassischer Fischschwanz aussieht, also ein bißchen V-förmig. Das erklärt seinen hiesigen Spitznamen - Fishtail. Für kurze Momente zeichnen sich die "weißen" Schneefelder der Berges scharf vor dem graublauen Dunst ab. Wir ziehen uns die Stühle heran und können gar nicht glauben, was wir da



gerade gesehen haben. Dann deutet Anni auf einen weiteren "weißen" Bergrücken, der oberhalb der Sarangkot-Siedlung aus den Wolken auftaucht. Da präsentiert sich uns, völlig überraschend, die Südseite des Annapurna 1. Wahnsinn! Wirklich, wir sind ganz aus dem Häuschen. Wenn der geneigte Leser jetzt denkt, so richtig imposant sieht das auf dem Foto grad nicht aus, kann ich das nachvollziehen. Spannend ist einfach, dass urplötzlich die Wolken über Sarangkot abgezogen sind und diese weiße Wand sich, - ähnlich wie beim Machapuchare - durch den Kontrast der Schneeflächen überhaupt vom dunstigen Himmel abzeichnet. Der Berg ist 30 Kilometer entfernt und ragt dennoch so hoch über die übrigen Berge, dass es uns heiß den Rücken runterläuft. Annapurna 1 ist mit 8.091 Metern der zehnthöchste Berg der Welt. Was ich inzwischen alles gelesen habe, scheint dieser Fels ziemlich bekannt für die Schwierigkeiten und Gefahren zu sein, die sein Aufstieg mit sich bringt. Wir haben nicht vor ihn zu besteigen, doch auch in den nächsten 10 Tagen sind wir noch in dieser Region, sodass wir hoffen, auch mal klares Wetter zu bekommen. Für Dienstag ist zwar wolkenloser Himmel für Pokhara angesagt. Doch so richtig ist das hier nicht kalkulierbar. Gerade fegt ein krasser Regenschauer über den See und verwandelt die Festplätze wohl in eine "wackenverdächtige" Schlammschacht.



Heute ist Holi in Pokhara. Holi bedeutet, dass man sich tunlichst mit neuen Klamotten eindeckt, denn die sind am Ende des Tages, äh, ja . . . seht selbst! Gestern Abend haben wir uns noch schnell Holi-Tshirts gekauft, wobei Anni noch eine preiswerte Schlabberbuchse dazu genommen hat, weil die guten Outdoorsachen von Orthodox, wollen wir nicht versaut wissen. Der Verkäufer meint dass XXL bei mir dicke reicht. Was soll ich sagen, nepalesisches Tshirt-XXL ist mehr so wie europäisch XS. Atmen kann ich heute vergessen, beim Ausatmen reißen sonst die Nähte. Dem ersten Anprobieren zu Folge, muss ich wohl bauchfrei gehen. Da hilft nur zerren und zergeln, komme mir ein bißchen vor wie bei Loriot - "die Hose trägt sich bis nach Hause ein", aha, so so. So "weite" ich dann den Stoff für ein, zwei Stunden und dann muss es gehen.



Schon an der Hotelrezeption kommen wir nicht "farblos" vorbei. Also los, auf in die Farbschlacht. Seit zwei Tagen wird hier schon vorbereitet, aufgebaut und auch vorab schon ordentlich gefeiert. In den vergangenen zwei Nächten wummern heiße indische Techno Beats das Seeufer entlang. Wir logieren ungefähr in der Mitte, zwischen beiden Festwiesen und direkt vor unserem Hotel - zum See hin, ist ein Club, wo jeden Abend rockige Livemusik trällert. Auditiv stellt sich unser Einschlafprogramm also folgendermaßen da. Rechts haut DJ Punjabi Hardcore Takte durch das künstliche Zwerchfell seiner überdimensionierten Boxen, dessen tumber Rhythmus unsere Zahnbürsten befähigt, in ihrem Zahnputzbecher Break Dance aufzuführen.


In der Mitte arbeitet sich der nepalesische Roadrocker, mit vielen schräbbeligen Gitarrensolos in die Herzen der anliegenden Guesthousegäste. Doch selbst das ausgewogenste E-Gitarrensolo ala Slash, ist untermalt mit Technorhythmen irgendwie komisch. Von links krabbelt dann so durchdringender, langsamer Rap-Sprechgesang, indischer natürlich, die Fassade hoch und versucht hier die Herrschaft über unsere Gehörgänge zu erlangen. Alles zusammen, gibt sich ein undefinierbares Vollton-Chicken-Tikka-Masala, was irgendwann für meine Ohren, auf der



geistigen Musikankreuzliste, einfach nur noch unter Krach firmiert. Aber so viel zu den vergangenen zwei Tagen. Immerhin haben wir jetzt schon eine Grundierung im Gesicht, wie so der Farbfachmann sagt. Nun können wir uns in die Farbschlacht wagen. In unserer Hotelgasse

taumeln uns schon die ersten feierwütigen Nepalesen, Westtouristen und Asiaten entgegen. Alle



schon mehr oder minder farbig in Gesicht und an Kleidung. Oben auf der Hauptstraße geht bereits eine westliche Technoparty ab. Vor der Bühne, auf der ein DJ ultralaute Beats auflegt, zappeln, über und über farbbeschmierte Wessis, mit der Flasche Bier in der Hand, als wären sie auf einer May Day-Party in der Dortmunder Westfalenhalle. Drumherum stehen nepalesische Paare, Gruppen, Familien und schauen staunend zu. Irgendwie ist diese Bühne für uns recht



komisch, weil die westlichen Touristen, sowie ein paar Asiaten, hier vollkommen das Heft in die Hand genommen haben und gar kein Nepalese in dem Getümmel vorzufinden ist. Es ist früher Mittag und der Alkohol fließt in Strömen. Wir kommen uns ein bißchen vor, wie am Abend des dritten Tages beim Tommorrow-Festival. So begeben wir uns dann erst mal an die Uferpromenade, wo ebenfalls die laute Mucke rüberschallt. Holi ist ein bedeutendes



hinduistisches Fest, das als Fest der Farben, der Liebe und des Frühlings gefeiert wird. Außerdem ist es sehr beliebt, bei Einheimischen und auch bei Touristen. Es dauert eine Nacht und einen Tag, beginnt am Abend des Vollmondtages, der auf den hinduistischen Kalendermonat Phalguna (schön merken, das frage ich irgendwann einmal ab!) fällt, der im gregorianischen Kalender etwa in die Mitte März fällt. Holi feiert - zumindest theoretisch - die ewige und göttliche Liebe der Gottheiten Radha und Krishna. Aha, so so. Die beiden Typen habe ich heute nicht gesehen. Irgendwo habe ich gelesen, dass darüber hinaus, dieser Tag außerdem den Triumph des Guten über das Böse symbolisiert, da er an den Sieg von Vishnu als



Narasimha über Hiranyakashipu erinnert. Aha, so so, ich wußte doch, dass da auch noch ein bißchen Mord und Totschlag in der Story verborgen war . . . Auf der Uferpromenade ist man vor begeisterten Happy-Holigangs nicht mehr sicher. Permanent wird einem Farbe, so trockene Pigmente, in schön unauffälligen Farbgraden, wie Violett, Neonrot, Neongelb, usw., ins Gesicht geschmiert. Auf der Festwiese 1 gehts ab, hier sind alle Nepalis zusammengekommen und rocken, was das Zeug hält, für Frühling und ewige Liebe. Immer wieder werden Farbbeutel in



der Menge geöffnet und riesige Farbnebel ziehen durch die schwofende Meute. Man ist guter Stimmung. Zum Holi gehört noch dazu, dass Kinder die Fremden zusätzlich zu den Pigmenten, noch mit Wasserpistolen bespritzen. Wir sind natürlich inzwischen auch im Besitz grell pinkfarbener Pigmente, will ja ebenfalls andere anschmieren und dabei Happy Holi rufen. Wär ja sonst nur der halbe Spaß. Unter den Nepalis ist die Stimmung super gut und irgendwie ziemlich unschuldig, da bei denen das mordsmäßige Kampfbesäufnis eher unauffällig abläuft. Außerdem trinken die meisten Hindus keinen Alkohol, zumindest nicht so exzessiv, wie anne Hauptstraße. Ich möchte ja nicht als Spaßbremse rüberkommen, aber das war schon eher Fremdschämen. Die Einheimischen waren auch ziemlich baff, was da so abgeht, wenn man ihre Gesichts- ausdrücke im Hinterkopf behält . . .



Holi hat seinen Ursprung auf dem indischen Subkontinent und wird überwiegend auch in Indien und Nepal gefeiert. Dennoch hat sich das Fest, auch über indische Enklaven in anderen Regionen Asiens und Teilen der westlichen Welt ausgebreitet. Das gabs ja sogar schon mal in Münster und wenn es in Westfalen angekommen ist, muss es auf dem restlichen Globus nunmehr bekannt sein! Aber, wir wären ja nicht im Orient, wenn es nicht zig verschiedene Ausrichtungen für das Fest gäbe. Holi feiert auch noch die Ankunft des Frühlings in Indien, während man in Nepal das Ende des Winters feiert. Aha, klaro, ist was ganz anderes! Hä?


Holi ist eine heilige alte Tradition der Hindus, so viel ist mal sicher! Es handelt sich um ein kulturelles Fest, das Hindus und Nicht-Hindus gleichermaßen die Möglichkeit gibt, sich mit anderen Menschen "lustig" zu unterhalten, indem sie sich gegenseitig mit farbigem Wasser und Pulver bewerfen. Nun ja, dass können wir bestätigen, das mit dem Wasser und dem farbigem Pulver, führt schon zu Völkerverständigung, wenn auch meist nicht sprachlich, dann jedoch immer mit einem breiten Lächeln. Die Hindus glauben, dass es eine Zeit ist, die üppigen Farben des Frühlings zu genießen und sich vom Winter zu verabschieden. Wenn ich da an die grauen Bilder unserer derzeitigen Welt denke, wäre es wirklich an der Zeit ein globales Holi zu feiern.



Denn für viele Hindus stellt Holi eine Gelegenheit dar, zerbrochene Beziehungen wiederherzustellen und zu erneuern, Konflikte zu beenden und sich von angesammelten emotionalen Unreinheiten aus der Vergangenheit zu befreien. Aha, so so. Wie bei den meisten hinduistischen Ritualen, hat es auch hier wieder etwas mit Seelenreinigung zu tun. Vielleicht hängen damit die ganzen Wasserpistolen zusammen, die mich heute durchnässt haben, wer weiß das schon? Das Holifest hat auch, besonders in Indien, einen religiösen Zweck. In der Nacht vor Holi werden Lagerfeuer in einer Zeremonie angezündet, die als Holika Dahan (Verbrennen von Holika) oder Little Holi bekannt ist. Menschen versammeln sich in der Nähe von Feuern, singen und tanzen. Am nächsten Tag wird dann mit Farbe rumgeworfen und somit Holi gefeiert. Nach der Rumsauerei mit Farben und Wasser, gehts ans Aufräumen und Baden. Dieser Teil ist nur eingefleischten Hindus bekannt, nehme ich an. Nach dem Bad, ziehen die Menschen saubere Kleidung an und besuchen Freunde und Familie. Dieser Teil von Holi ist 90% der westlichen Touristen nicht ganz klar gewesen oder auch nicht mitgeteilt worden. War gerade auf der Jagd nach unserem Abendessen und während ich da so auf dem Balkon sitzte und auf das Take away warte, spielen sich wieder mal peinliche Szenen auf der Straße und im



Restaurant ab. Völlig verschmierte und verdreckte Wessis, mit Flasch´ Bier inne Hand, torkeln breit und grölend über die Hauptstraße. Inzwischen sind alle Geschäfte geöffnet, die Nepalesen sind sauberst angezogen und im Familienverband auf dem Weg zum Essen. Drei durchnässte, farbverschmierte und einfach verdreckte Amis, torkeln ins Restaurant, alle mit diversen Gleichgewichtsproblemen und wundern sich, als der Chef sie höflich aber bestimmt vor die Tür komplementiert. Wie gesagt, wir hatten einen wunderschönen Tag, haben nachmittags geduscht und man hat mich in jedem Laden mit der hiesigen lächelnden Freundlichkeit begrüßt und auch behandelt. Namaste und bonne nuit folks!



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