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AutorenbildIngo

Frische Luft . . .

20. März 2024 - Von Varanasi über Graokhpur, Sunauli, Bhairahawa nach Tansen

KM 20.799


Als ich heute morgen aufwache, ist da frische Luft! So richtig frische Luft. Quasi so frisch, dass wir schon gar nicht mehr wußten, wie sich das anfühlt. Über dem 2000 Meter hohem Berg auf der anderen Talseite, geht die Sonne auf. Das kann ich vom Bett aus sehen. Was ein Luxus. Im Tal liegt Hochnebel und Tansen erwacht gerade gemächlich zum Leben. Wir sind in Nepal, was weder Anni noch ich vorher je bereist haben. Daher ist alles neu sozusagen . . .



Aber ich greife vor. Am 17. März verlassen wir morgens gegen 7 Uhr Varanasi. Wir haben die Bergziege in einem überwachten Parkhaus eingestellt, das am Rande der Altstadt liegt. Yogi, einer unserer beiden Gastgeber, begleitet uns, damit wir einerseits kommunizieren können und andererseits nicht übers Ohr gehauen werden. Raj und Yogi sind beide so unglaublich herzig und bemüht, uns mit jedem nur erdenklichen Problem zu helfen, damit unser Besuch in Varanasi unvergesslich bleibt. Da müssen beide keine Sorge haben, Varanasi vergißt man einfach nicht, in vielerlei Hinsicht. Heute morgen habe ich einen Indienkoller. So etwas habe ich wirklich selten, doch, wenn man morgens, bevor der Straßenkehrer den Müll, Unrat und jegliche Exkremente aus den Gassen beseitigt hat, das Guesthouse verläßt, wird man brutal in Varanasis Realität gebeamt. Überall ist Schmodder, Müll, Dreck, die Luft ist geschwängert, irgendwo zwischen Misthaufen, Müllberg und penetrantem Schweißgeruch, ungewaschener menschlicher Leiber. An den Fassaden der uralten Bebauung, diffundiert wieder mal übelriechendes Kanalisationswasser durch die sandsteinernden Sockel und kündet von maroden



Abwassersystemen. So etwas gibt es auch in der heiligen Stadt. Da ist die Kuh, die täglich morgens mit den Hörnern gegen die Glastür des Guesthouses pocht, um ihrerseits wiederum auf jede Menge verbrannten Toasts zu pochen, mein geringstes Problem. Das ist einfach zu viel für meine Sinne. Was soll ich sagen. Heute überwiegen die Schattenseiten Varanasis und auch der Moment des Brahma, kann meine Laune nicht verbessern. Ich will nur noch weg. Abgesehen davon, habe ich mir wohl eine Erkältung eingefangen, als mich irgendjemand in den engen Gassen angehustet oder angeschnieft hat. Bei der Enge und dem Gedränge, ist das so gut wie



unvermeidbar. Pünktlich um 7 Uhr, hält die bestellte Rikscha vor der Tür. Doch da stehen draußen zwei Typen, mit einem erbarmungswürdigen Klappergefährt und dachten, dass sie zwei Trekkingrucksäcke zur Busstation kutschieren sollten. Nun ja, was soll ich sagen. Schon bei der blauen Gepäckrolle, gingen beide verdächtig schnell in die Knie. Aber nun gut, gearbeitet hat ohnehin nur der Rickschafahrer. Der Helfer hat zwar lauthals auf Geld gepocht, ist aber kaum hinterher gekommen und hat auch sonst nicht so viel zur Mission beigetragen, so viel ist mal sicher. Wir lösen die Bergziege aus, der ganze Spaß hat jetzt ungefähr 10 US$ gekostet - für 6 Tage - und packen unsere Plünnen. Natürlich geht das nicht ohne, dass ein Dutzend Inder ein Gespräch wollen und da wir im Eingang des Parkhauses packen müssen, ist die Bude bald



gerammelt voll. Um kurz vor 8 Uhr geht es dann los. Wie zu erwarten, ist die Kreuzung vor dem Parkhaus gerammelt voll, bis völlig stillstehend. Dies ist die Kreuzung zwischen Hauptghat und Straße zum Haupttempel Varanasis und somit wird hier im Sekundentakt badefreudige Pilgerschaft angeliefert. Wir wuseln uns durch, unter Dauerbenutzung der Hupe. Mein Geduldsfaden mit Indien ist heute einfach nur kurz, sehr kurz sozusagen. Habe heute scheinbar

wirklich einen Indienkoller. Doch wieder Erwarten löst sich das Staugetümmel zügig auf - geschuldet der frühen Tageszeit - und wir können uns schnell in die Suburbs begeben und raus



aus Varanasi fahren. Ziel ist Gorakhpur, eine zünftige 200 Kilometer Überlandetappe. Viel gibt es nicht über die Fahrt zu berichten. Die indische Tiefebene zählt nicht zu den landschaftlich reizvollsten Gegenden Indiens. Felder, Dörfer und Dörfer und Felder. Wir erreichen Gorakhpur, wo ich bereits naß geschwitzt bin, rasende Kopfschmerzen habe und nur noch in die Waagerechte will. In Ermangelung von Alternativen, haben wir ein Zimmer im Radisson gebucht, die restlichen Absteigen waren genau das, nämlich Absteigen. Im Vergleich zu unserer Kemenate in Varanasi, ist das Zimmer in etwa so groß, wie im Ganga Guesthouse die ganze Etage. Alles ist penibelst sauber, es gibt heißes Wasser und ein sehr komfortables Bett. Das Ganga Guesthouse gehörte auch so mehr in die Kategorie Zweibrettzimmer. Ich verschlafe den restlichen Tag, tief und traumlos, auf der angenehmen Matratze. Abends packen wir unsere Klamotten, suchen alle Papiere, Kopien und Passbilder zusammen, denn man weiß nie, was an der Grenze so für ein Überraschungsei wartet.


Sunauli - Bhairahawa ist der frequentierteste Landgrenzübergang von Indien nach Nepal. Dementsprechend ist das Netz voll von Horrornachrichten, über elendig lange Wartezeiten, bürokratisches Hin und Her, usw. Doch am Ende stellt sich heraus, dass wir kaum eine Grenze mit so wenig Problemen überüberquert haben, wie Sunauli-Bhairahawa. Das einzig wirklich Komische ist, dass das Immigrationbüro schon 1,5 Kilometer vor dem eigentlichen Grenzposten liegt. Wir waren schon fast in Nepal, als irgendjemand auf die Idee kommt, uns anzuhalten. Also zurück. Dort angekommen, steht eine, gut 50 köpfige Schlange wartender Asiaten vor dem Büro und sehe mich schon eine ausgedehnte Siesta machen. Doch ein Inder, kein Offizieller, sagt, wir sollen reingehen, dass sei eine Reisegruppe. Super. Drinnen mault uns ein Beamter an, was wir denn wollen - Äh, ja - ausreisen. Wir sollen Platz nehmen, dass kann dauern. Die Reisegruppe will auch ausreisen. Aber bei der Ausreise tut sich nix, nur bei der Einreise. Aha, so so. Irgendwann ist die Einreiseschlange fast zu Ende und erneut meint ein Inder, dass wir uns



anstellen sollen. Machen wir, wir stellen uns an! Der Beamte ist gereizt. Wir finden heraus, dass es nicht konstant Ausreise, sowie Einreis gibt, sondern nur nacheinander. Dann kommt ein anderer Beamter, dem wohl die 50 Rentner aufgefallen sind, die da draußen in der Sonn garen und auf Einreise hoffen. Die Reiseleiterin hat bereits mehrere Verweise vom Gereizten erhalten und ist kurz vor dem Axtmord, als Anni und ich aufgefordert werden, doch nun endlich auszureisen. 3 Minuten, Stempel und zack, auf zum Zoll. Der Zoll residiert 500 Meter vor der Grenze und weiß offenkundig nicht, was er mit dem Carnet machen soll. Also zeige ich ihm, wo er ihn stempeln und unterfackeln muss. Und weiter, auf nach Nepal. So weit so gut. Nach einer Kontrolle der Ausreisestempel, können wir rüber. Erst zum nepalesischem Zoll, doch die schicken uns erst zur Immigration, die wieder einen knappen Kilometer weiter an der Straße liegen. Faktisch hätten wir so durchfahren können . . . Doch gut, in wenigen Minuten bekommen wir ein 90 Tage Visum on Arrival, so problemlos, wie noch nie und können zurück zur Zollbude fahren. Da wird mein internationaler Führerschein und internationaler Fahrzeugschein kontrolliert und anschließend anstandslos der Carnet abgestempelt. Also alles so, wie es theoretisch und carnettechnisch sein sollte. Nach 20.749 Kilometern haben wir, auf unserer Trans-Asienreise, den letzten Grenzübergang passiert - wir sind in Nepal.



Wir haben direkt in Bhairahawa ein Hotel gebucht, da wir nicht wußten, wie lange die gesamte Prozedur wohl dauern würde. Das Hotel Landmark Bhairahawa ist nagelneu und hat bestimmt 5 Sterne. Meiner angeschlagenen Konstitution zu liebe, hüte ich das den restlichen Tag das Bett. Wir machen jetzt Urlaub. 8 Wochen werden wir Nepal bereisen, uns so richtig Zeit lassen, mit allem. Wir brauchen nur noch Flüge in die Heimat und der Fa. InTime mitzuteilen, wann die Bergziege aus Kathmandu abgeholt werden soll. Der Rest ist nur noch Fahren, Anhalten, Schauen, Staunen und Genießen. Wir müssen keine Visafragen oder Zollangelegenheiten mehr klären, jetzt ist Urlaub. Daher beschließen wir, dass wir uns für den Siddhartha Highway, von Butwal nach Pokhara, nun richtig Zeit lassen werden.



Bevor wir das Hotel verlassen können, steht ein älterer Nepalese, in Tshirt und Adiletten vor unserem Zimmer und stellt sich als Besitzer des Hotels vor. Er würde uns gerne auf einen Kaffee einladen, denn er hätte gesehen, dass wir ein deutsches Kennzeichen haben. Er habe schließlich 2,5 Jahre in Hamburg gelebt und gearbeitet. So trinken wir einen Kaffee mit ihm und in einer sehr kurzweiligen Stunde, lachen wir viel und ausgiebig. Manchmal ist es doch spannend, wie jemand aus einem anderen Kulturkreis, auf unsere Heimat blickt. Da der Deutsche als Solcher ja gerne motzt und immer darauf herumreitet, was alles schlecht ist, hören wir heute ein Loblied auf unser System, den Standart und auch die Freiheiten. Was soll ich sagen, ein Dauerthema, zwischen Anni und mir, nachdem wir knapp ein Jahr unterwegs sind und wieder einmal vor Augen geführt bekommen, wie gut wir es haben.



Von Bhairahawa verläuft der Siddhartha Highway immer nordwärts durch die Tiefebene Nepals. Das Land kann man grob in drei Regionen einteilen, das südliche Terai (Tiefebene), das Mittelland und die Hochgebirgsregion. Butwal liegt im Terai, daher ist alles flach, doch hinter der Stadt geht es sofort hoch in die gebirgigen Regionen des tieferen Himalayas, des sogenannten Mittellandes. Der Highway (!), bis Butwal noch vierspurig, stellt sich dann als eine gewundene Bergstraße mit zweifelhafter Belagdecke dar. Da aber alle ziemlich, den maroden



Straßenverhältnisse angemessen fahren, geht es gut voran. Wir wollen ja ohnehin nicht rasen und außerdem sind es nur 63 Kilometer bis nach Tansen, wo wir für zwei Nächte "unser Zelt aufschlagen" werden. Trotz des dunstigen Sonnenlichts sind die Berge des Mittellandes, die sprichwörtlich aus der Ebene wachsen, schon sehr beeindruckend. Steil abfallende Hänge, in den Tälern fließt "eisblaues" Wasser. LKWs und Überlandbusse wirbeln ordentlich Staub auf und so sind wir nach kürzester Zeit wieder gepudert, wie ein Berliner zu Karneval.



Seitenbegrenzungen sind Luxus und häufig tauchen Straßenabbrüche urplötzlich auf, dass man sich ziemlich stark konzentrieren muss. Doch die gemütlich Fahrt ist sehr schön, nicht zuletzt wegen der nachlassenden Hitze und der besseren Luft. Die Luft in Indien, war in den vergangenen Tage besonders schlecht, sodass wir tatsächlich richtig aufatmen, als wir Tansen am frühen Nachmittag erreichen. Unser erster Eindruck von Nepal ist super. Allein der Verkehr ist viel weniger stressig, als in Indien. Hier hupt man, wenn es nötig ist und nicht auf Vorrat.



Alles rollt langsamer und - bisher - auch ziemlich rücksichtsvoll. Die Dörfer sind top gepflegt, egal, ob eher wohlhabend oder eher ärmer. Wir atmen förmlich auf. Tansen ist eine Zwischenstation auf dem Siddhartha Highway nach Pokhara und schon seit Jahrhunderten eine Karawanenstadt, vom nördlichen Mustang nach Indien. Auf der Suche nach unserem Hotel können wir schon viel von diesem, nahezu untouristischem, Kleinod Nepals erahnen. Bonne nuit folks!

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