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AutorenbildIngo

Dschungel auf 2200 Metern . . .

26. April 2024 - Jiri

KM 21.899


Wir wandern heute. Das muss ich einfach betonen, weil wir ja meist auf der Bergziege abhängen und uns durch die Lande kutschieren lassen. Heute mal nicht. Nach einer sehr kühlen Nacht, Jiri liegt auf 2000 Metern, sind wir morgens frisch und ausgeruht. Da wir die Rooftop Suite zugewiesen haben, bekommen wir einen guten Überblick, was so in Jiri abgeht. Naja, das ist eigentlich nicht viel. Die Aussicht zum gestrigen Abend, hat sich heute morgen nicht verändert. Die meisten Shops öffnen erst spät und da es kaum Laufkundschaft gibt, sitzt man so vor seinem Lädchen und schaut zu, wie der Sand von der oberen Hälfte des Glases in die untere Hälfte rieselt. Und - der geneigte Leser kann mir glauben, der Sand der Zeit rieselt hier sehr bedächtig. Wenn man so die Straße rauf und runter schaut, dann fragt man sich, wo von die Menschen hier leben. Wenn aber die Dunkelheit Einzug gehalten hat, dann tauchen überall Lichter auf. In den Tiefen der Täler, an den Berghängen oder auch hoch oben auf den Graten. Aus den Siedlungen des Hochlandes kommen eben alle nach Jiri, um sich mit dem Notwendigsten einzudecken. Daher reihen sich an der Straße Geschäfte, die von Sicheln, Macheten, Kohlebecken, Teppichen, warmer Kleidung, Schmierstoffen oder haltbaren Lebensmittel, einfach alles anbieten. Bis spät in die Nacht hallen leise Motorengeräusche und flackerndes Scheinwerferlicht durch den dunklen Tann.



    Die Stimmung in der Dämmerung und in den ersten Stunden der Nacht, ähneln tatsächlich sehr der Atmosphäre in den Alpen. Die Wärme des Tages lässt nach, in der seidigen Luft der hereinbrechenden Nacht, schwingt irdene Feuchtigkeit mit und die Geräusche, die aus den Bergen und Tälern heraufschallen, haben ein stumpfes Echo. Am meisten betört uns immer noch der Duft der Kiefern. Eigentlich ist das ja nichts besonderes, doch wir haben in den vergangenen Monaten meist sehr viel unterschiedlichere Düfte wahrgenommen, dass nach Jasmin, feuchtem Urwald, salzigem Meer und schwarzem Dieselmuff, nun Kiefern der Lockruf der Heimat und auch klarer, frischer Bergluft ist.




    So ziehen wir los. Zunächst zum Wendehammer, vorbei an den rosafarbenen Bussen und dann auf die grobe Betonpiste, die sich nach wenigen Hundert Metern, in eine Schotterpiste verwandelt. Tatsächlich  - keine Asphaltstraße mehr. Unser Hotelier sagte, dass es nur noch Schotterpisten gäbe und sie schon darauf warten würden, wann endlich die Straße in die nächsten Täler gebaut würden. Vorläufig endet in Jiri auch der öffentliche Verkehr, wer weiter will, muss sich privat einen Jeep mieten, der einen die schmalen Schotterpisten zu den höher



gelegenen Siedlungen hinauf fährt. Ein bisschen Wehmut erfasst nicht schon, denn der Wendehammer ist eigentlich sinnbildlich für unsere Reise. Faktisch sind wir am Ende angekommen. Morgen geht es zurück, Richtung Panauti und dann nach Kathmandu. In vielerlei Hinsicht endet hier also nicht nur die "nepalesische Zivilisation", zumindest die, die ohne Flugzeug zu erreichen ist.



    Unseren „Wanderweg“ würde man in den europäischen Alpen einen Höhenwanderweg bezeichnen, mit dem Unterschied, dass hier nix ausgeschildert ist und wenn, nur in der lustigen Blümchenschrift. Wir haben keinen Stress und daher laufen wir einfach. Es ist tollstes Wetter, wirklich, 26 Grad, kühler Wind und die hochgewachsenen Kiefern erzeugen ein vertrautes Rauschen, das - wie gesagt - sehr heimisch in meinen westfälischen Ohren klingt. Spannend, wie unterschiedlich die verschiedensten Vegetationen im Wind klingen, wie wir in den vergangenen Monaten feststellen durften. Am krassesten sind definitiv die "Blätter" der



Zuckerpalmen, wenn sie im Wind aneinander schrömmeln. Das Geräusch ist ziemlich unangenehm, laut, so laut, dass wir es durch die gepolsterten Fieberglasschichten unserer Helme hören können - während der Fahrt, versteht sich! So hat jedes Land seinen eigenen Klang, zumindest für uns.

Nach dem Schotter kommt ein Abschnitt, wo man die Fahrbahn mit scharfkantigem Himalaya Bruchschiefer ausgelegt hat. Diese Belagsart kennen wir schon von der Straße nach Manang. Für Autos machbar, für Motorräder elendig! Aber, heute für uns ein Vergnügen, denn



der Schiefer in dieser Region hat so viele metallische Einschlüsse, dem Pyrit nicht unähnlich, dass die Steinflächen im Sonnenlicht unnatürlich glitzern und funkeln. Natürlich sind wir Nordlichter sofort im „Muschelsammel“-Modus. Bald haben wir die Taschen voller Glimmer aus dem Großen Himalaya. Ein kleiner Wegweiser, so 5x12 Zentimeter groß, kündet von einem Tempel, irgendwo in den finsteren Tiefen des Waldes. Die Entfernung ist mit 450 Metern angegeben, doch das ist in Nepal meist nur eine Formalität, denn hier stimmen keine



Entfernungsangaben. Ist ein bißchen so wie in Thailand, wo es nur ein Schild für Straßengefälle gibt - 8%. Wirklich, egal wie steil die Straße rauf oder runter geht - das Verkehrsschild lautet immer auf 8% Gefälle oder 8% Steigung. Nicht schlimm, machts einfacher für alle. Wir folgen etwa gut einen Kilometer dem 450 Meter Hinweis und enden an einer Treppe, die ins Dickicht hinabführt. Nepalesische Normstufen, höher als tief, führen uns einen Berghang hinab, in eine Vegetation, die urplötzlich so rein gar nichts mehr mit Kiefernwäldern zu tun hat. Dschungel!



Große, blühenden Rhododendren, stehen zwischen Laubbäumen, über dem weiten Zweigwerk, schwer ummantelt mit knorriger Borke, wachsen symbiotisch Gräser, Farne und auch Orchideen. Ein kleiner Wasserlauf schlängelt sich träge durch ein großes Flussbett, das von größeren Wassermassen zu anderen Zeiten des Jahres kündet. Im Fluss hat man eine aufgerichtete, stilisierte Kobra montiert und hinter einem Brückchen führt die Treppe wieder steil den Hang hinauf. Irgendwo zwischen dichtem Blattwerk läßt sich ein überhängender



Felsen ausmachen, wo Hinduflaggen in der leichten Brise wehen. Der Schrein befindet sich in einer "Höhle", die mehr an einen aufgezogenen Reisverschluss erinnert, denn an eine richtige Höhle. Im Innern steht ein kleiner Bilderstock, umgeben von alten, verrosteten hinduistischen „Dreizacken“, dem Trishula. Dieser symbolisiert, je nach Deutung und Ausprägung die drei Hauptgottheiten des Hinduismus Brahma, Shiva und Vishnu, die sich in der Hand Shivas vereinigen. Oder aber die drei mit den Göttern verbundenen Urkräfte von Schöpfung, Zerstörung und Bewahrung. Wieder andere Strömungen des Hinduismus setzen die Spitzen mit den drei



Kräften Shivas gleich: Wille, Wissen/Weisheit und Tatkraft. Vermutlich gibt es noch 1000 Bedeutungen mehr für den Dreizack, wenn man allein daran denkt, dass es gut 8000 göttliche Zustandsformen bei den Hindus gibt. Aber, sind wir mal ehrlich, wir sind hier am Arsch der Welt, am Ende der Straße, im tiefsten Dschungel und hier ist eine Höhle, in der ein 40 Zentimeter hoher Bilderstock von ungefähr 2000 verrosteten Dreizacken und Glöckchen umgeben ist. Wir finden keine Informationen, nichts in englischer Sprache, nur einen QR-Coder, der ist aber nur



für Spenden gedacht nicht für zwei weitgereiste Bleichgesichter, die in kulturhistorischer Absicht Informationen einfordern. Vom Schrein weg führt eine Treppe den Hang hinauf und verschwinden ebenso in der dichten, hellgrünen Vegetation. Wir müssen den kleinen Bach erneut überqueren, vis a vis mit einer Felsenkante, über die das Wasserrinnsal plätschert.



Magische Stille umpfängt uns, die ganze Zeit, nur die Geräusche der Welt sind zu hören. Fremde Vogelrufe, knarrende Bäume und das Rauschen der Blätter, sowie das Fließgeräusch des schmalen Wasserstroms. Wie beruhigend doch diese Laute sind. Vor 6 Wochen waren wir in Varanasi und dieser Frontalangriff auf alle Sinne, hat in uns einen kräftigen Nachhall




hinterlassen. Überhaupt, assoziieren wir mit Nepal einfach Ruhe. Gut, größere Städte sind auch laut und unübersichtlich, doch im Grunde ist es nicht einmal Indien light! Wir erklimmen die steilen Stufen, vorbei an der Dschungel-Vegetation, die ihrerseits bald von tiefgrünem Bambus abgelöst wird. Nicht die 10 Meter hohen Kawentsmänner, die man hier überall noch sieht,



sondern filigranere Büsche, nur so 4-5 Meter hoch. Wir kommen an einem Bauernhof raus. In einem niedrigen Verschlag liegen zwei gedrungene Kühe im Schatten, hier und da fallen Sonnenstrahlen durch die Löcher im Wellblechdach, in dessen Strahl seltsam schwerelos Strohpartikelchen tanzen. Die beiden gehören definitiv zur Familie, denn beide Tiere sind super gepflegt, gut genährt und haben keinerlei Scheu vor uns. Ein Hund, netterweise angeleint, empfängt uns mit wütendem Gebell, kein Wunder, dringen wir doch in sein Territorium ein. Der



Hausherr trägt einen schwarzen Sweater, eine schwarze Wollmütze und eine schwere Hornbrille mit dicken Gläsern gegen die Kurzsichtigkeit sitz auf seiner Nase. Er hat definitiv tibetische Wurzeln. Hellbraune Haut und die schmalen Augen, die von vielen Krähenfüßen umrahmt werden, haben eher einen asiatischen Einschlag, als mach indisch geprägte Gesichtszüge, die es auch in Jiri gibt. Er schleift gerade Holz, wodurch sich ein feiner Film Sägemehl auf seinen massigen Brillengläsern niedergeschlagen hat. "Namaste" und ein Lächeln öffnet hier Türen, Ohren und die Herzen der Menschen. Er lächelt zurück und entblößt eine recht unvollständige Knabberleiste, doch eine halbgebrochene Englischkonversation entwickelt sich, wobei die Brillengläser seine Augen unnatürlich groß erscheinen lassen. Doch es ist einfach zu herzig hier. Der Mann hat einen derartig verschmitzten Zug um Augen und seinen nur spärlich behaarten Mund. Sein Hof liegt am oberen Rand mehrerer Terrassen, Ziegen und Hühner schwirren umher und die beiden Kühe dösen im Stall, ohne, dass eine Tür ihnen den Weg versperren würde. Welch eine bäuerliche Idylle. Das Haus ist mit Lehm verputzt, wellblechgedeckt, aber er hat Strom und eine Wasserpumpe. Ein schmaler Lehmpfad führt zu dem Gehöft, was bedeutet, dass er keinerlei Moped oder gar Auto besitzt.



Der lehmige Trampelpfad führt entlang von Terrassen, durch schmale Bambushohlwege und vorbei an allerlei blühendem Gesträuch. Das Dorf ist mehr als skurril. Die wenigen Häuser stehen kaum mehr als einen Meter auseinander und auf den Schwellen hocken alte Frauen in bunten Kleidern, ein jede mit einem schmalen goldenen Ring durch die Nase. Bei unserem Erscheinen verflüchtigen sie sich jedoch in die Dunkelheit ihrer Behausung, vermutlich, um



nicht auf das Foto zu kommen, das mein gezücktes Handy verheißt. Das wütende Gemecker von Ziegen liegt über den paar Häusern, einige Kühe stehen stoisch, wiederkäuend in der Mittagshitze. Auf dem Hügel vor dem Dorf flattern Gebetsfahnen im Wind. Wie nah hier Hindus und Buddhisten bei einander leben ist mehr als ein Hinweis darauf, dass sich beide Religionen



ergänzen, zumindest hat uns in Bhaktapur ein Nepalese so erklärt. Wir stiefeln den bewachsenen Hügel hinauf und landen in einem Cenotaphenfeld. Zwischen den Büschen stehen, unregelmäßig über die Kuppe verteilt, kleine weiße Schreine, mit Gedenktafeln darauf.

So richtig können wir uns keinen Reim darauf machen, irgendwie ist es skurril, denn überall liegt verbranntes Holz herum und die Überreste von Picknickveranstaltungen zieren das Umfeld der Hügelkuppe. Aber es scheint kein Verbrennungsort zu sein. Vielleicht geben sie hier manchmal einfach Erinnerungsparties, wer weiß das schon?



Am frühen Nachmittag erreichen wir wieder Jiri, wo wir uns beim ortsansässigen Café niederlassen und einen leckeren Organic-Coffee bekommen. In Jiri richtet man sich ganz auf Organic ein. Lokale Käseproduktion, Tee- und Kaffeeanbau, Honig und was-weiß-ich-noch-alles, gibt es in einem kleinen Jiri-Concept-Store. Ein ruhiger und besinnlicher Tag für uns. Bonne nuit folks!




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