10. August 2023 - Von Citibung nach Cisolok
KM 1684
Eine leicht schwefelgelbliche Dämmerung legt sich langsam über die Küste. Damit wird es wohl einen schönen Sonnenuntergang hinter den Bergen gegeben haben, dessen gelbliches Restlicht den Salzwasserdsunst „einfärbt“. Von unserer Terrasse aus können wir über die Reisfelder auf das tiefer liegend Meer schauen. Die Brandung schallt zu uns herauf, die Grillen haben ihr Konzert aufgenommen und die Gekkos feiern über uns, an der Überdachung eine Party. Dabei wuseln sie in hektischen Bewegungen hinter den Mücken und Ameisen her. Hier sind bestimmt 20 Gekkos in den unterschiedlichsten Größen auf Mückenjagd. Je mehr, desto besser. Es ist schon den ganzen Tag ziemlich diffuses Licht und heute verschwimmt der Horizont mit dem Meer. Durch das dunkler werdende Licht lassen sich die beleuchteten Fischerboote wahrnehmen, die bereits zum Fischen auf dem Meer sind.
Trotz der Fußballbettwäsche habe ich tief und traumlos geschlafen. Denn unser 3-Euro-Trucker Motel, was ja nun 12 Euro gekostet hat, lag weit, weit weg vonne Moschee. Der Muezzin war zu hören, aber nur ganz leise und kaum richtig in seiner Quasselei zu verstehen. Ein gutes Wiegenlied. Natürlich hatten wir kein WLAN, aber wir haben ja unser privates mobiles WLAN. Aber, als ich den Text hochgeladen hatte, die Bilder auf dem Webserver abgelegt hatte, war das Guthaben alle. Was soll ich sagen. Machmal ist es ein Pokerspiel. Die Dusche heute Morgen ging natürlich auch, mit dem 1 Liter Messbecher. Nicht, dass ich nicht - von etlichen Jahren in Vietnam oder Kambodscha - auch so duschen musste, weil es einfach kein anderes System gab. Im Nachhinein habe ich auch verstanden, warum wir 12 Euro zahlen mussten - wir haben das Luxusappartement bekommen. Zunächst hatte ich neben einem kleinen LKW geparkt und der „Hotelier“ war ganz entsetzt und zeigte auf das Zimmer und fragte mich gebrochen, ob ich das wirklich wolle. Da ich ja nicht um die noblen Kategorien der Herberge wusste, hab ich nur mit den Schultern gezuckt und dann hat er Anni die Juventus Turin Suite gezeigt. Möchte gar nicht wissen, welchen Standart das Truckerzimmer hatte. Aber alles gut, denn es gab keinen Hahn, keine Mopedrennen in der Nacht und keinen Muezzin, also Tiefschlaf.
Halb 9 sind wir auf der N7 Richtung Meer. Heute haben wir nur eine kurze Etappe geplant, etwas über 80 Kilometer, bis nach Cisolok. Kurz hinter Citibung steht an der Straße eine Kaffeebude. Das ist erst mal nichts Besonderes, der hier stehen an jeder Ecke Kaffeebuden. Aber diese machte einen wirklich netten Eindruck. Weiß getünchte Wände, Türkis gestrichene Fensterrahmen und Türen, eine kleine Bambusbank davor und Platz für die Bergziege, also damit war der Parkplatz voll. Aber der junge Besitzer war sehr begeistert und grinste die ganze Zeit. Zwei mal Kopi Susu und zwei Schokocroissants. Naja, das Croissants schreibe ich nur wegen des Lokalkolorits, aber der geneigte Leser muss sich jetzt hier mehr so ein labbriges Milchbrötchen mit Schokofüllung vorstellen. Anni war in Experimentierlaune und nahm zwei kleine Rotis. Es stellte sich heraus, dass die beiden Rotis mit einer nichtssagenden, grünlichen Paste gefüllt waren . . . Schokibrötchen war super! Das grünliche, nun ja, es gab keine genaue Expertise, ob das Experiment erneut durchgeführt wird. Bei der Kaffeepause stelle ich fest, dass sich eine von den 3 Schrauben verabschiedet hat, die den Spritzschutz am Hinterrad der Bergziege hält. Also Zwischenstopp an der nächsten Schrauberbude, was wenige Kilometer in irgendeinem Bergdorf der Fall ist. Da hocken 5 Mann um mehrere Honda-Spirit Gerippe und in der Mitte hockt ein schweigsamer Mechaniker, Kippe im Mund und schraubt. Die anderen Kerl schauen nur zu, sind wahrscheinlich Akademiker oder Coaches, also um dem Arbeiter das Wesen der Arbeit und die Motivation dafür näher zu bringen. Wer weiß . . . Ich zeige ihm das Problem, er stürzt in seine Schrauberbude und kramt in einer Kiste rum. Er findet eine passende Schraube, aber sie läßt sich ums Verrecken nicht reingehen. Dann kommt er mit einem Imbiss zurück und stellt fest, dass da nur Torxe verbaut sind. Er schüttelt den Kopf, also hole ich das Werkzeugset raus und jetzt sind alle gespannt. Erst werde ich belächelt, als sie jedoch das Touratechwerkzeugset sehen, steigt mein soziales Ansehen in Sekunden. Ich schraube den Spritzschutz ab und siehe da, die Schraube ist nicht verloren gegangen, sondern in der Führung abgebrochen. Also beim nächsten BMW Händler sollen die den Rest aus dem Gewinde holen und ne neue Schraube rein drehen.
Nach und nach werden die Dörfer weniger und irgendwann verläuft die N7 nur noch durch tiefen, dunklen Urwald. N7 hört sich ja ziemlich wichtig an, aber letztendlich hat die Straße doch nur die Breite der Wolbeckerstraße. Aber heute morgen ist ziemlich wenig los. Die Temperaturen schwanken je nach Höhe und Seite des Berges. Manchmal sind wir auf 750 Meter über N.N., mal nur auf 300 Metern. Die nördlichen Hänge sind viel feuchter und deutlich zugewachsener, sodass dort heute morgen nur angenehme 25 Grad herrschten. Laut dem Thermometer der Bergziege stieg die Temperatur auf der Südseite schnell auf 29 Grad an. Die Indonesier waren wieder mit ihrer Winterbekleidung unterwegs. Über den Bergen liegt Dunst, ein bißchen wie Hochnebel, was im Gegenlicht den Eindruck erweckt, dass die Gipfel der gegenüberliegenden Berge viel weiter entfernt sind. Talabwärts kann man im tiefen Dickicht einzelne Urwaldriesen ausmachen, deren helle Stämme mit dicken Lianen und Schlingpflanzen umwickelt sind. Bäume, welche sehr Akazien in Ostafrika ähneln, 20 Meter hohe Bambusstauden mit gelben oder dunkelgrünen Nodien, oder einfach üppige Farne, Bananenastauden und, und, und . . . Diese Landschaft fasziniert mich, die Natur, die wir in den vergangenen drei Wochen gesehen haben ist
wunderschön, exotisch und wird mir immer lebhaft im Gedächtnis bleiben. Häufig verläuft die Straße an weit ausladenden Baumkronen vorbei, deren Stämme man drei oder vier Kurven später erst sehen kann, wenn man 30 Höhenmeter tiefer angelangt ist. Häufig stehen diese riesigen Bäume unmittelbar an der Fahrbahn, was beim schnellen Kurvenwechsel zu einer beträchtlichen visuellen Enge führt. Licht und Schatten wechseln sich häufig ab. Gestern hatte ich tatsächlich eine Situation, in der ich die Luft anhalten musste. In letzter Sekunde hatte ich das Glitzern von feinen schwarzen Sand in einem Sonnenfleck auf dem dunkelgrauen Asphalt wahrgenommen. Mit einem beladenen Motorrad, in Kurvenlage, auf feinen, rutschigen Sand auffahren, gehört unbedingt zu meinen Lieblingsmanövern . . . Aber noch mal gut gegangen! Ganz links sollte man auf der Fahrbahn ohnehin nie fahren, denn dort liegt häufig Sand oder Schotter. Zu nah an der Mittellinie ist auch ungesund, aufgrund des sehr sorglosen Überholverhaltens der Indonesier. Wie gesagt, der Überlandbus, der hinter einer Haarnadelkurve geradewegs auf einen zukommt.
Aber heute habe ich so richtig Gelegenheit die Weite der Berge und die üppigen Bäume, umwickelt mi Schlingpflanzen aller Art zu bestaunen. Auf 800 Metern flacht die Straße ab und wir befahren nur noch den Bergkamm. Hier ist alles voller Teepflanzen. Kühler Wind und Morgendunst ziehen auch hier durch die Teefelder. In der Nähe der Straße, fast auf dem höchsten Punkt, bei 830 Meter über N.N. steht ein Gutshaus, völlig verfallen, aber in seiner Grundsubstanz wunderschön. Vermutlich ist es das alte Verwaltungsgebäude der Plantage. Im Kopf restauriere ich es während der Weiterfahrt. Weiß getünchte Wände die hölzernen Balkone und die Veranda dunkel lasiert, zwischen den Verandapfeilern schattenspendende Bambusrollos, dunkle, breite Holzstühle auf der hölzern beplankten Terrasse mit Blick in die Täler . . . Aber schnell sind wir wieder auf 650 Meter, wo am Straßenrand eine kleine Kaffeebude steht. Wir halten an, 2 mal Kopi Susu, ein Schokobrötchen und Anni entdeckt herzhaft gewürztes Popcorn. Ich stehe derweil verzückt am Rand des Abgrunds und lasse den Blick über die Täler schweifen. Kein 50 Meter von unserer Kopibude entfernt, in der nächsten schattigen Kurve talabwärts, hört man plötzlich, knirschende und schrappenden Geräusche. Im Schatten der Bäume war noch Feuchtigkeit auf dem Asphalt und einem jungen Kerl ist das Hinterrad weggeschmiert. Es ist nicht viel passiert, der Roller ist verschrammt und er steht zitternd am Straßenrand. Seine Jeans ist unversehrt, aber als er sie aufrollt, werden große Abschürfungen sichtbar. Wir holen unser Erste-Hilfe Set und verkleben provisorisch Wundauflagen. Er arbeitet für Indomaret und muss von Laden zu Laden fahren. Er spricht kaum Englisch, dennoch bekommen wir eine schöne Unterhaltung hin. Während er eine Zigarette pafft, zittert er noch die ganzer Zeit geschockt. Wir nehmen ihm das Versprechen ab, das er unbedingt noch einen Arzt aufsuchen muss. Als wir fahren, lächelt er wieder, vielleicht ist ihm gerade bewußt geworden, dass er auch aus der Kurve hätte fliegen können. An dieser Stelle ist es vielleicht ganz gut über Fahrbahnbegrenzungen zu sprechen. Es gibt kurvige, schmale Straßen ohne Begrenzung so 500 bis 600 Höhenmeter hoch, wo noch keine Begrenzung zur talgewandten Seite der Straße als nötig erachtet wird. Wer da aus der Kurve fliegt, dem scheinen noch Chancen eingeräumt zu werden. Ab 600 Höhenmeter, gibt es hier und da so Betonklötze, richtig im Boden verankert. Ab 700 Höhenmeter gibt es Leitplanken, in Verkehrs- und Straßenstaubgrau. Ab 800 Höhenmetern sind die Leitplanken getigert, also gelb-schwarz gestrichen. Wenn man also gerade dabei ist sich verzückt der Landschaft hinzugeben und registriert aus dem Augenwinkel die getigerte Leitplanke, sollte man sich auf die Straße konzentrieren. Obwohl mir eigentlich nicht klar ist, welche Chancen ich bei einem Sturz in 600 Metern Tiefe hätte . . .
Als wir die Küste erreichen, nimmt der Verkehr wieder drastisch zu. Ich muss mich nach den vergangenen 7 Tagen entspanntes Küstengondeln wohl wieder an eine unkontrollierbare Anzahl an Rollerfahrern gewöhnen, die aus allen Richtungen geschossen kommen. Auf der Suche nach unserem Hotel, passieren wir mehrere Fischrestaurants. Da wir die letzen Tage mehr oder weniger im irgendwie Mi Goreng Spesial hatten, sollte wir heute Abend mal Fisch essen gehen. Beim Passieren der Markthalle sehe ich auch etliche Fischstände, die zwar nur getrockneten Fisch haben, als Abendessen indiskutabel, aber es gibt immerhin Fisch. Unser Hotel liegt in den Reisterrassen, was natürlich toll ist, aber das bedeutet auch, dass es hier nur von Mücken so wimmelt. Immerhin entschädigt der Pool, für die schwüle Hitze, die jetzt noch des Abends aus den Reispflanzen austritt. Das Abendessen war großartig, mal abgesehen davon, dass mir die Beine eingeschlafen sind. Wir waren in so einem Seafoods-Tempel, ein zweistögiges
Betonmonster, dass direkt auf den Strand gebaut wurde. Dem jungen Parkplatzwächter fällt die fast die Trillerpfeife aus dem Gesicht, als er die Bergziege sieht und besteht auf einen Parkplatz direkt am Eingang. Die Bude ist leer, aber es ist ja auch erst 16:30 Uhr. Wir nehmen einen indonesischen Tisch, Couchtischhöhe, Sitzkissen und Schneidersitz. Es gibt eine Speisekarte mit Bildern, großartig, so brauchen wir nur noch rudimentär den Google-Übersetzer. Gewöhnlich gibt es in Indonesien nur Mickey-Maus-Portionen, daher bin ich vorbereitet und bestelle zu meinem gegrillten Tintenfisch noch Gemüse dazu. Was soll ich sagen, ich bekomme 5, in Zahlen - fünf, gegrillte Tintenfische, die extremst lecker und überaus reichlich waren. Das Essen war großartig, über die Neonbeleuchtung und die schrill-bunten Plastikblumen müssen wir noch reden . . . Bonne nuit folks.
Da das Fahrzeug weder grünen Bensin verträgt und Schraubenabbruch hat ähnelt es eher an ein empfindliches Schaf als an eine Ziege, daher benenne ich es hiermit um in Dolly das Bergschaf.