29. Februar 2024 - Von Delhi nach Jaipur
KM 19.336
Gegen frühen Nachmittag erreichen wir Jaipur. Über den kleinen, aber sehr stark besuchten, Ort Amber, rollt die Bergziege zielsicher zum Hawa Mahal. Amber ist sozusagen die Garnisonsstadt von Jaipur gewesen. Eine riesige Festungsanlage tront majestätisch am Bergrücken eines Höhenzuges. Der Himmel ist wolkenlos und tiefblau, obwohl die winterliche Sonnen eher ein "gröberes" Licht erzeugt. Erfahrungsgemäß ist in Amber die Hölle los, so touristisch gesehen. Und auch heute stehen sich die wartenden Tuktukfahrer die Beine in den Bauch, während sich auf dem Gelände der Festung die Touristen nur so tummeln. Wir haben diesen Ort schon vor ein paar Jahren besucht, sodass wir nur kurz anhalten, um einen Blick auf die Festungsmauern, die verschachtelten Gebäude und natürlich auf die typischen Fenstergiebel und Türmchen werfen können, deren rasasthani Baustil von soviel Orient kündet. In den Morgenstunden trottet eine, uns nicht so gefällige, Prozession von Elefanten schwerfällig den Berg hinauf. Natürlich können Touristen sich hier auf dem Rücken eines buntbemalten Elefanten zur Festung hochgondeln lassen. Das Schauspiel hat sicherlich etwas atmosphärisch Pittoreskes, nicht zuletzt wegen der verspielten Kulisse der Burganlage, doch werden die Elefanten so krass zur Eile angetrieben, dass es bestimmt nicht im Sinne der Erfinder ist, um es mal vorsichtig auszudrücken. Doch die Chinesen lieben es . . .
Zugegebenerweise habe ich ziemlich viel Respekt vor dem Verkehr in Indien und natürlich auch mit den damit verbundenen Herausforderungen an meine Fahrkünste. In jungen Jahren war eine unserer Motorradbibeln, neben Jupiters Reisen von Ted Simon, der Reise Bericht von Peter Falk. Der gute Arzt ist auf seiner 80 GS in den 80er Jahren von Stuttgart, über den Nahen Osten bis nach Indien gefahren. Neben den vielen krassen Bildern von einsamen, schneebedeckten Berghängen, zünftigem Verkehrschaos und allerlei Getier im Straßenverkehr, ist mir ein Satz im Gedächnis geblieben. "Ich kenne niemanden, der in Indien keinen Sturz hatte", stand da geschrieben, als es um die Verkehrssituation in Delhi ging. Oh Mann, dieser Satz schwebt zugegebenermaßen heute morgen durch die hintersten Windungen meines unausgeschlafenen Hirns. Wir brechen daher früh auf. Allein, um der krassen Rushhour zu entkommen, die Delhis Hauptstraßen undurchdringlich machen. Um kurz nach 8 Uhr sind wir auf der Zubringerstraße zur Autobahn nach Süden. Von etlichen Besuchen in Delhi wissen wir, zügig raus, denn diese Metropole zieht straßentechnisches Chaos an. Es sind 19 Grad, wundervolle Luft - tatsächlich - und blauer Himmel, der - wie könnte es auch anders sein - auch ein wenig Smog enthält. Interessanterweise stellt sich heraus, dass der Verkehr zwar chaotisch
Gestern Abend hatte ich versucht herauszufinden, ob wir denn die Autobahn überhaupt benutzen dürfen, so als Motorradfahrer. Was soll ich sagen, wir sind schließlich in Indien, als könnte da jemand einen Tuktukfahrer abhalten, auf die Autobahn zu fahren? Lächerlich. Immerhin konnte ich eine Regel ausmachen: Je größer das Fahrzeug, umso größer die Vorfahrtsrechte! Und so entpuppt sich auch die Struktur des Verkehrsflusses. Ein Bussfahrer, besonders der, der einen doppelstöckigen Überlandbus lenkt, wird jemals einen Blick in den Spiegel werfen. Er zieht einfach in den Verkehr. Alle Anderen beugen sich demütig seiner Dimension. Wenn man diese Regel beherzigt, klappt die Fahrt durch das Chaos erstaunlich gut.
Außerdem achten alle Verkehrsteilnehmer unglaublich darauf, was um sie herum passiert. Hier fordert also niemand sein Recht ein, weil er irgendwo gerade fährt, sondern es wird nett für den größeren Teilnehmer Platz gemacht. Damit gelangen wir durch den ersten Stillstandstau, natürlich auf dem Flughafenzubringer, sicher auf die Autobahn 4 nach Süden.Maut müssen wir nicht entrichten, ähnlich, wie in Malaysia, dürfen wir links an den Kassen vorbeifahren. Wer
Moped hat, der hat Mautfreiheit! Hier ist alles auf der Bahn, was Mobilität ermöglicht. Ganz einfach, alles, was sich irgendwie fortbewegt, ist auf der Autobahn unterwegs: Fußgänger, Radfahrer, Tuktuks, größere Tuktuks, PKWs, Kleinbusse, Pickups, Pritschenwagen, Kleinstlaster, Verkehrsbusse, LKWs, Container-LKWs, Überlandbusse, 40 Tonner, Doppeldeckerbusse, 8-achsige LKWs und - Kühe! Das Transport- und Fortbewegungsgemisch ist so homogen, dass man einfach aus dem Schmunzeln nicht mehr herauskommt. Wir lernen viel über dieses Segment des indischen Alltages. Es gibt bspw. verschiedene Logistiklizenzen, einerseits die Lizenz, die lediglich lokalen Warentransport zulässt oder andererseits die, die den sogenannten Licensed All India Transport ermöglicht. Das wird fein säuberlich und liebevoll auf die Ladeflächen der LKW-Typen aufgemalt. Während sich in unseren Breiten die Dekoration des Fernfahrers ja meist auf ein geprägtes „Nummernschild“ mit Hier kommt der Road Kurt beschränkt, was schön sichtbar hinter Windschutzscheibe prangt, ist in Indien der LKW eher ein Gesamtkunstwerk. Das stabilste Gewerbe entlang der Autobahn ist das, der Lamettaverkäufer.
In großen, rasierpinselförmigen Gebinden, weht goldenes oder silbernes „Lametta“ von unzähligen Stoßstangen, hoch liegenden Führerkabinen oder auch von Kuststoffschmutzfängern. Dazu kommen Blumengirlanden, Fahnen oder vielfarbige Tücher, die weithin sichtbar im Wind flattern und die Individualität des Königs der Landstraße demonstrieren.
Es braucht 50 Kilometer, bis sich das Verkehrsgewusel rund um Delhi langsam auflöst und in einen normalen Vekehrsfluss übergeht. Was natürlich nicht bedeutet, dass irgendjemand den Finger von der Hupe nimmt, bei Weitem nicht. Gehupt wird immer! Regel Nr. 1, please use horn! Steht auf jedem LKW und das macht die Bergziege auch ausgiebig. Nicht, um zu drängeln, sondern es ist eher ein freundliches, „Obacht - hier bin ich!“ Signal. Frisch in Indonesien angekommen, funktionierte die Hupe der Bergziege gar nicht richtig, war mehr so ein Blöcken, denn ein richtiges Meckern. Der geneigte Leser weiß, wer bei uns im Verkehrsfluss die Hupe benutzt, ist meist schon umgehend aus dem Kreise seines sozialen Kontextes ausgeschlossen. Ich glaube, ich habe die Hupe der Bergziege in den vergangenen 10 Jahren kein einziges Mal benutzt, bevor wir nach Jakarta kamen. Doch nun scheint sie sich richtig eingehupft zu haben und es kommt ein laut wahrnehmbarer Ton heraus. Damit haben wir uneingeschränkte Aufmerksamkeit, auch von den Wagenlenkern größerer Gespanne.
Das Land um Delhi ist flach, die Straße breit und wir kommen erstaunlich gut voran. Es wird zunehmend wärmer, was gut ist, denn trotz unserer - erstmalig angelegter Protektorenwesten - ist es frisch bei der Fahrt. Spannend ist die Landschaft nicht, weite Felder, kleine Dörfer und bis zum Horizont freie Sicht. Je näher wir uns Rajasthan nähern, um so hügeliger wird es, doch es bleibt knochentrocken. Jedes bißchen Sediment, was auf der Fahrbahn liegt, verwandelt sich beim Überfahren sofort in eine Staubwolke. Winter ist Trockenzeit und die meisten kleineren Flüsse, die wir überqueren, sind nahezu ausgetrocknet oder nur noch eine schlammige Brühe. Die Regenzeit beginnt erst Ende Mai, bis dahin wird hier auch der letzte Rest Wasser verdunstet sein. Die ersten Kamele, die als Zugtiere eingesetzt werden, tauchen am Straßenrand der unserer Strecke auf, ein sicherer Indikator, dass wir uns der Wüste im westlichen Teil
Rajasthans nähern. Unterwegs werden wir von der Polizei angehalten, doch, nachdem sie einen Blick auf uns geworfen haben, winken sie uns sofort weiter. Einer der drei Herren hatte schon das Kartenlesegerät gezückt, doch vermutlich wissen sie nicht, was sie mit uns anfangen sollen. 40 Kilometer vor Jaipur verlassen wir die Autobahn Nr. 4 und es geht über Land weiter. Eigentlich hatte ich gedacht, dass es hier bestimmt wuseliger als auf dem Highway zugeht. Tatsächlich ist kaum was los. Keine Bange, innerstädtisch wird wohl die Luzie abgehen, so viel ist mal sicher. Und richtig, kaum nähern wir uns Amber, wird es richtig unübersichtlich. Roller von rechts, Handkarren von links, Busse auf der Gegenfahrbahn und Affen von oben. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass auch hier jederzeit mit „Geisterfahrern“ zu rechnen ist. Da kann einem schon mal ein Fahrzeug auf der eigenen Fahrtrichtung entgegenkommen. Normal hier, haben wir übrigens auch schon mehrfach gemacht. Von Amber sind es noch ein paar Kilometer bis nach Jaipur. Also vorbei an der Festung, durch ein paar enge und kurvige Bergstraßen und schon haben wir den Stadtrand der rosafarbenen Stadt erreicht.
Innerstädtisch sind die Fassaden vieler Häuser und besonders auch die Mauern der Bazarbereiche Jaipurs in einem dunkelrot gestrichen. Aggressives Sonnenlicht und die tropische-heiße Witterung, haben den Ton ausbleichen lassen, sodass die meisten Flächen nun in einem fahlen dunklen Altrosa erscheinen. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass bei der Erbauung der Stadt, der Maharadscha von der Qualität der verputzten Mauern und Fassaden derartig geschockt war, dass er umgehend befahl, alle Flächen zu streichen. Ob ausschließlich dieser dunkle Rotton zu Verfügung stand, entzieht sich meiner Kenntnis, doch seit jenen Tagen ist Jaipur nun für immer und ewig „Die rosafarbene Stadt“. Unser erster Halt ist der, ebenfalls in diesem Rot gehaltene, Hawa Mahal. Es gibt viele tolle Bauwerke in Indien, zweifelsohne, der Taj Mahal bspw., ist auch das Schönste, was ich je gesehen habe, so bauwerksmäßig. Doch der
Palast der Winde, indisch Hawa Mahal (Mahal - Palast), ist mein unbestrittenster Lieblingsort im Orient. Obwohl ich schon mehrfach hier war, rührt mich dieser kleine Palast immer sehr. Unaufdringlich, an einer belebten Straße liegend, kann man stundenlang davor sitzen und würde immer neue Details an seiner reich verzierten fenstergespickten Front finden. Das ich jemals wieder herkommen würde oder gar mit dem eigenen Motorrad hergefahren kommen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Ursprünglich war unsere Tour ja auch ganz anders geplant, daher ist es schon ein kleines Wunder, dass wir heute vor dem Palast der Winde die Bergziege abstellen. Erst zum Hotel und dann werden wir einen Abendspaziergang durch Jaipur machen.
Wir wohnen wieder im gleichen Hotel, in dem wir schon vor ein paar Jahren ein Zimmer hatten. Da weiß man, was man hat. Obwohl das nicht immer so stimmt. Aber wir bekommen ein schönes Zimmer im ersten Stock, die Bergziege schläft direkt unter unserem Zimmerfenster und mit seinen geschnitzten Bögen und dem Bett aus dunklem Holz, haben wir nun das Gefühl, richtig in Indien angekommen zu sein. Bonne nuit folks!
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