12. April 2024 - Gorkha
KM 21.546
Vor dem kleinen Fenster verharren etliche Familien, machen Selfies oder schnattern fröhlich, aber auch ehrfürchtig, durcheinander. Das kleine hölzerne Quadrat ist vom Erdbeben 2015 beschädigt, ein Riß zieht sich diagonal durch die Schnitzereien. Eingebettet in massives Gebälk, schwarz gestrichen, voller Verzierungen und umgeben vom roten Ziegelstein, der vielfach in Nepal Baustoff Nr. 1 ist. Nun ja, bei diesen kleinen, ich gebe zu, nicht sehr unscheinbaren Fenster, handelt es sich wohl um das wichtigste Fenster in Nepal. Nicht schlecht, wie ich finde. Denn welche Zivilisation hätte schon ein berühmtes Fenster, außer vielleicht die Prager Bürger, die die Angewohnheit hatten, Politiker aus selbigen zu werfen, zumindest zu Beginn der Husseitenkriege und zum Dreißig Jährigen Krieg noch einmal. Doch hier hinter diesem kleinen, verzierten Holzfenster ist der Mann zur Welt gekommen, der die Einheit Nepals erreichte. Die Wiege der nepalesischen Einheit begann hier, hinter diesem Fenster, sozusagen. Denn dort stand wohl eine Wiege, in der sich der, am 7. Januar 1723 geborene, Prithvi Narayan Shah rumlümmelte. Auch wenn der kleine Prithvi Narayan Shah zunächst nur ein royaler Gorkha-Sprößling war, gilt er heute als Vater des geeinten Nepals . . .
Um 06:30 Uhr schaue ich verschlafen aus dem Fenster unseres Hotelzimmers, denn unser Gastgeber hatte uns Sonne und klaren Blick für heute morgen versprochen. Die Nacht über hat es gewittert und geregnet, sodass wir gemütlich mit dem Trommeln der Regentropfen auf dem Wellblechdach und dem Gemecker etlicher Ziegen, die nebenan wohnen, auf unseren fliegenden Teppich geglitten sind. Es ist ebenso dunstig, wie in den vergangenen Tagen und zusätzlich liegen die tieferen Regionen unter dichten Quellwolken. Aha, so so. Ich gehe also wieder ins Bett, denn an klare Sicht auf Achttausender ist einfach nicht zu denken. Da können wir das Kulturprogramm auch getrost auf spätere Stunden verschieben. Kaum liege ich im Bett und bin fast weggeschlummelt, da bewirbt sich auch schon ein benachbarter Hahn, lautstark um den Job eines Grillhähnchens. Also gut, dann eben kein schlummeln, sondern kulturelle Recherche.
Gegen Elf machen wir uns auf, den Gipfel auf dem der Palast von Gorkha zu thronen geruht, zu erstürmen. Dazu müssen wir noch ordentlich Höhenmeter machen, was ziemlich anstrengend ist, da die Hänge des Gorkhabezirks ziemlich steil sind. Aber, eine kleine Wanderung tut uns bestimmt gut. Die Stadt Gorkha teilt sich in einen alten und einen neuen Stadtteil, der Gorkha Bazar genannt wird. Hier leben gut 40.000 Menschen, weit verteilt über die verschlungenen Bergrücken der Manasluausläufer. Wie gesagt, 2015 gab es ein verheerendes Erdbeben, dessen Epizentrum nur 18 Kilometer nördlich von Gorkha lag. Das Beben hatte eine Stärke von 7,8 und war bis nach Nordindien, China, Tibet und Bangla Desh zu spüren. Im Verlaufe mehrerer Tage führten etliche Nachbeben, die wohl in einer Tiefe von 18 Kilometern ihren Auslöser hatten, zu etwa 8000 Toten und zu weitreichende Zerstörungen von Häusern, Infrastruktur und natürlich auch ziemlich vieler historischer Bauten. In Nepal kommt es immer wieder zu schweren Erdbeben, da hier die Grenze zweier tektonischer Platten verläuft. Ich habe gelesen, dass sich die Indisch-Australische Platte, mit einer Geschwindigkeit von rund 4,5 Zentimetern pro Jahr, langsam nach Norden, auf die viel größere Eurasische Platte zu bewegt. 4,5 cm scheint mir doch ziemlich viel zu sein, wenn man mal so an Gewicht und Masse des Gesteins denkt. Und während da von Süden so hoher Druck aufgebaut wir, schiebt sich die Indisch-Australische Platte zum Himalaya-Faltengebirge auf, und entlädt die aufgebaute Spannung in ruckartigen Erdbeben. Aber, das nur am Rande erwähnt.
Der Gang durch die Gemeinde offenbart eine große Bandbreite an nepalesischem Alltagsleben. Hier gibt es, neben den neueren Betonbauten, eben auch noch ziemlich viel Altbestand. Die Diskrepanz zwischen modernem Nepal und eher bäuerlichem Nepal, liegt hier Tür an Tür. Da gibt es das moderne Haus, mit Auto, Moped und WLAN, aber auch die rudimentären Behausungen, wo das Plumpsklo als Wellblechverschlag vor der Haustür installiert ist.
Die Einwohner Gorkhas verfügen über viel Platz, deshalb befinden sich überall im Ort Terrassen, die derzeit überwiegend mit Mais bepflanzt sind. Jede Familie betreibt irgendeine Form der landwirtschaftlichen Selbstversorgung. Immer wieder tauchen kleine Verschläge mit Ziegen, Hühnern oder auch mal zotteligen Kleinstkühen auf. Frühlingszwiebeln stehen hier in jedem Vorgarten, genauso wie Amaryllis, Dahlien, Stockrosen, Weihnachtssterne und Hibiskus.
Da wir uns am Jahresende des nepalesischen Kalenders befinden, wird überall irgendwie die Bude herausgeputzt, sodass wir aus dem freundlichen "Namaste"-Grüßen kaum noch herauskommen. Die Menschen sitzen draußen vor der Tür, schließlich ist es angenehme 28 Grad warm und auch, trotz dunstiger Sicht, sonnig. Der Anstieg ist zugegebenermaßen doch
anstrengend, denn die betonierten Sträßchen sind elendig steil, was uns schon den Schweiß auf die Stirn treibt. Irgendwann müssen wir auf eine Steintreppe umschwenken, denn der Palast liegt wirklich auf einem sehr steilen Bergrücken. Manchmal kommt man sich schon ein bißchen wie im Mittelalter vor, vor allen Dingen, wenn man alten Steinhäusern vorbeischleicht, die eine Außenküche haben, die mich eher an Nordafrika erinnert, als an Nepal.
Hier wächst man auch mit den gröberen Dingen des Lebens auf. Einige Kids hocken vor einem Haus und herzen zwei Hühner in einer Plastikschale. Auf unserem Rückweg waren die beiden Unglücksraben, nun ja, wohl eher Unglückshühner, bereits ihres Federkleides und ihrer Seele beraubt und wurden suppenfertig gemacht. Nach einem wirklich ziemlich steilen Treppengekraxel, erreichen wir den Gorkha Durbar, den alten Königspalast, als Hauptattraktion
der Stadt gilt. Offiziell liegt der Komplex auf einer Anhöhe, dass ich nicht lache, Anhöhe, was ein Begriff für diese fiesen Klippen - etwa 1000 Meter über N.N.. Wenn der geneigte Leser jetzt an so etwas, wie den Buckingham Palace, Neuschwanstein, Versailles oder auch so eine unverschämte Maharajabehausung aus Rajasthan erwartet, den muss ich enttäuschen. Gemessen an den architektonischen Eitelkeiten vieler Herrscher jener Zeit, ist die Anlage eher
bescheiden. Bin mir ziemlich sicher, dass der Kutscher des Maharaja von Jodhpur, es rundweg ablehnen würde, in einem derartig ärmlichen Quartier zu wohnen. Was soll ich sagen? Vielleicht war Prithvi Narayan Shah ja auch nur die Aussicht wichtig, denn der Blick ist sagenhaft, wahrlich, da kann Ludwig der XIV. mit seinem exorbitanten Versailles so gar nicht mithalten. Und das, obwohl man heute nicht mal den Manaslu sehen kann. Der Komplex besteht aus wenigen Gebäuden und der eigentliche "Palast" eigentlich nur aus zwei Baukörpern, wobei einer auch noch ein Tempel ist.
Daher ist Gorkha Palace auch von religiöser Bedeutung. Im westlichen Teil des Palastes liegt der kleine Kalika-Tempel, der im 17. Jahrhundert erbaut wurde. Neben einigen Sadus, treiben sich da etliche große und kleine Pelztiere rum, die aber eher weniger verschlagen agieren, als in vielen indischen Tempeln. Da die vielen Gläubigen die Affen wieder mal füttern, muss man nicht auf seine Sonnenbrille oder sein Mobiltelefon acht geben. Sie sind auch wesentlich weniger
aggressiv, als die indischen Vettern, die ja häufig die geraubten Gegenstände inzwischen nur gegen Schokolade oder etwas äquivalent Süßes zurückgeben. Im hinteren Teil der Anlage gibt es einen kleinen Hanuman-Schrein, der dem hinduistischen Gott mit dem Affengesicht geweiht ist. Die Figuren dort sind alle mit roten Pigmenten eingefärbt, wobei die Opferspeisen für die Affen oftmals genau an diese Figur geworfen werden, dass die pelzigen Kollegen dann am Ende
ebenfalls - holiverdächtig - rot eingefärbte Schnuten haben. Scheinbar hat ein kleiner Schrein auch nur Platz für eine Affenrotte, sodass sich die Tiere eher im Hintergrund halten und tatsächlich nur wenig mit den Menschen interagieren. Außerdem ist Samstag, dazu kommt der Vorabend des neuen Jahres, wodurch heute eine ganze Menge Gläubiger Hindus vorbeischauten, um Opferkerzen und Blumenkränze los zu werden. Und eben auch ein bißchen
Kokosnuss für die Pelzfraktion. Irgendwann latscht dann ein älterer Mann, mit Dhaka Topi und langem Schnapp, an uns vorbei, wobei er eine Ziege an einem Sisalstrick hinter sich her schleppt. Die Ziege ist im Verlauf unsere Besuches geopfert worden, wobei der Tempel nur den Kopf behält, den Rest nimmt der Mann wieder mit, da der Korpus für den gemeinsamen Verzehr mit Nachbarn und Familie gedacht ist. Wie gesagt, es ist einiges los am Gorkha Palace. Betreten kann man den Komplex nicht, sondern nur von wenigen Seiten betrachten. Beim Erdbeben
wurden die Gebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen und seit 2017 renoviert man daran herum. Überall liegen Steine verstreut, denn besonders die Grundmauern, die aus lose geschichtetem Bruchsteinmauerwerk bestehen, hat es schwer erwischt. Dennoch bekommt man einen guten Eindruck über die traditionelle Bauweise der Gorkha. Besonders Fenster- und Türeinfassungen, Dachfirste und Stützbalken, sind mit Vogel-, Tier- und Gottheitsmotiven in Holz
geschnitzt. Die zurückhaltende Bauart und auch die nur wenig überkandidelten Dekorationen gefallen uns ausnehmend gut. Während wir da so durch die Gegend streifen, wird eine neue Glocke installiert. Unter lautem Palaver werden Wasserwaagenmessungen an Quer- und Stützgebälk unternommen, der Stifter steht würdig dreinblickend daneben, ebenso wie ein
Dekosoldat, der gar nicht ein und aus weiß, weil um ihn herum alles wuselt und er die Füße still halten muss. Alles in allem, war das ein schöner Ausflug, mit sportlicher Betätigung und guter Aussicht. Doch der Kracher des Tages ist eine "neue" Geflügelkategorie, die wir noch nicht kennen. Da man in wissenschaftlichen Kreise neue Spezies ja irgendwie benennen muss, haben wir das komplett schwarze Federvieh die Batman Hühner getauft. Bonne nuit folks!
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