30. März 2024 - Von Deurali über Beni nach Lete
KM 21.077
Man sagt, dass Nepal dort erst richtig beginnt, wo der Asphalt aufhört. Was soll ich sagen, so richtig viel Asphalt gibt es in Nepal nicht. Knapp 12000 km asphaltierte Straßen verbinden die meisten Bezirke miteinander. Dazu kommen etwa 16.000 km unbefestigte Straßen, die in die Täler und höheren Lagen führen. Den Begriff „unbefestigte Straße“ finde ich übrigens sehr geschmeichelt. Das verkehrstechnische Highlight Nepals ist seine Eisenbahn. Da fahren doch tatsächlich im südlichen Nepal einige Züge, wenn sie auch nur einen 59 Kilometer langen Schienenstrag zur Verfügung haben. Also, Nepal fängt da an, wo der Asphalt aufhört.
Wir sind auf dem Weg nach Muktinath, einem hinduistischen und gleichzeitig auch buddhistischen Pilgerort, hoch in der Himal-Region des Landes. Nepal verfügt über vielfältige Kulturen, Ethnien und Landschaften, darunter fruchtbare Ebenen, bewaldete Hügel und acht der zehn höchsten Berge der Welt. Nepal läßt sich in drei "Regionen" unterteilen, die als Himal, Pahad und Terai bekannt sind.
Himal, im Norden Nepals, ist die schneereiche Bergregion im großen Himalaya. In der Region Himal befinden sich die höchsten Erhebungen der Welt, einschließlich des 8.848 Meter hohen Mount Everest (nepalesischer Name ist Sagarmāthā) an der Grenze zu Tibet. Sieben weitere der „Achttausender“ der Welt befinden sich ebenfalls in dieser Region: Lhotse, Makalu, Cho Oyu, Kangchenjunga, Dhaulagiri, Annapurna und Manaslu. Auf dem Dach der Welt sozusagen!
Pahad ist die Bergregion, die im Allgemeinen keinen Schnee enthält. Die Höhe der Berge variiert zwischen 800 und 4.000 Metern, wobei der Übergang von subtropischen Klimazonen unter 1.200 Metern zu alpinen Klimazonen über 3.600 Metern verläuft. Das untere Himalaya-Gebirge, das 1.500 bis 3.000 Meter erreicht, ist die südliche Grenze dieser Region, wobei sich subtropische Flusstäler und „Hügel“ nördlich dieses Gebirges abwechseln.
Das Terai ist die südliche Tieflandregion, lediglich mit einigen "wenigen" Hügelketten. Die Ebenen entstanden durch drei große Himalaya-Flüsse und werden bis heute von ihnen gespeist: Koshi, Narayani und Karnali. In dieser Region herrscht subtropisches bis tropisches Klima. Die äußerste Gebirgskette, die Sivalik Hills, liegt auf einer Höhe von 700 bis 1.000 Metern und markiert die Grenzen der Ganges-Ebene. Aha, so so!
Unsere Route nach Muktinath, führt durch das Tal des Kali Gandaki. Der Gandaki-River, ist einer der größten Flüsse Nepals und ein Nebenfluss des Ganges. Der größte Teil seines 46.300 Quadratkilometer großen Einzugsgebiets, liegt in Nepal. Wir sind auf der Beni-Jomson-Road unterwegs, die zu den gefährlichsten Straßen der Welt zählt, habe ich zumindest gelesen. Dabei führt unsere heutige Etappe von Beni, über Tatopani (Ich weiß, klingt wie ein sizilianisches Bergdorf.) bis nach Lete. Das sind nur knapp 45 Kilometer, hört sich quasi wie ein 40-minütiger Spazierritt nach Laramie an, keine Frage. Doch Google und maps.me sind ausnahmsweise mal einer Meinung und meinen, dass dafür 2.5 Stunden Minimum anzusetzen sind. Ich denke, wir benötigen mehr Zeit. Zumindest nach den Erfahrungen von gestern . . .
Nach dem Frühstück verlassen wir, gemütlich gegen 10 Uhr, das ES-Deurali Resort. Natürlich gibt es eine kleine Fotosession und noch bevor wir im nächsten Hotel ankommen, ist es schon online. Doch die entschleunigenden Tage dort oben auf dem Berg, waren großartig, auch wenn wir nicht einen klitzekleinen 8000er zu Gesicht bekommen haben. Dafür haben wir viel gequatscht, gelesen und gelacht. Wenn das Doppelbrett jetzt noch ein komfortables Doppelbett gewesen wäre, wäre alles rundum klasse gewesen. Morgens hatte ich so ein wenig den Eindruck, dass meine Wirbelsäule viel heißes Wasser benötigt, um sich wieder gerade zu ziehen. Doch wir haben dieses kleine, wenn auch in die Jahre gekommene Hotel, sehr lieb gewonnen. Auch ohne 8000er. Dafür habe ich einen Teil meiner Vorurteile gegenüber chinesischen Reisegruppen aufgeben müssen. Am Abend zuvor, stürmten 8 Chinamänner und -frauen unsere kleine, anheimelnde Skihütte. Doch sie waren ganz still und ausgesprochen höflich, sodass keins meiner, sorgsam gepflegten, sinologischen Vorurteile Bestand hat! Trotz des hohen Alters - lernfähig!
Von Deurali brauchen wir lediglich den Berg runter zu fahren und landen auf dem Pokhara-Beni Highway, Richtung Westen. Der Belag ist halbwegs in Ordnung, mancher Riss im Beton erzeugt halt eine 30-40 cm hohe Treppenkante, doch nach einigen dieser, unverhofft auftretenden, "Stufen", gewöhnt man sich daran. Bis Beni sind es nur 45 Kilometer und unsere Etappe führt durch Lumle, ein kleines Dorf, das als der regenreichste Ort Nepals gilt. Verständlich, denn wir müssen in engen Serpentinen gut 1000 Höhenmeter in einen trichterförmigen Talkessel hinab gondeln. Die Wolken halten sich hartnäckig in diesem Tal, doch netterweise regnet es nicht. Laut unserer Landkarte scheint die Straße, Highway zu sagen, wäre einfach vermessen, bis Baglung anscheinend geteert zu sein. Geht so! Baglung entpuppt sich als ein Kaff, mit Brücke zwar, aber ein Kaff. Und - here comes the piece of cake - hier beginnt der off-road-Teil der Beni-Jomsom-Road. Ich nöchte den geneigten Leser nicht mit Pistendetails langweilen, aber es ist so ziemlich die schlechteste Straße, die ich weltweit je gefahren bin. Links ab geht eine asphaltierte Straße über den Fluss und wir müssen die Sandpiste nach Beni nehmen. Für die 13 Kilometer zu
unserem Hotel benötigen wir anderthalb Stunden! Wenn die Straße bis Muktinath so ist, brauchen wir drei Wochen. Unser Hotel ist recht neu und wir haben mit Mahir einen super netten Gastgeber, der uns auch gleich zu einer Party zu seinem Vater mitnehmen will, der 1000 Höhenmeter (!) weiter den Berg rauf, auch ein Hotel hat. In einem alten "Palast". Aha, so so, also nix wie hin. Wie soll ich sagen, die Fahrt den Berg rauf ist das Krasseste, was ich je auf einer Bergstrecke erlebt habe. Mindestens 20% Steigung, schmal, sandig, schlammig, engste
Serpentinen, keine Seitenbegrenzung und ich hatte meine Kamera vergessen! Mist, das glaubt mir keiner. Gott, sei Dank sind wir mit Mahirs Auto unterwegs. Der Palast entpuppt sich als größeres Herrenhaus, das Mahirs Vater umgebaut hat. Dort übernachten einige Mopedfahrer aus Amerika, die sich leichte Crossmaschinen in Kathmandu geliehen haben. Mit der Bergziege wäre ich da nicht rauf gefahren. Schon allein, morgen vom Hotel zur Hauptstraße hoch zu fahren, bereitet mir insgeheim Kopfschmerzen, aufgrund des steinigen Weges.
Mahirs Vater ist eine Seele von Mensch, schon nach kürzester Zeit sind wir familiär integriert und werden mit Chicken BBQ vollgestopft. Mahir führt uns durch das alte/neue Herrenhaus seines Urgroßvaters und Anni muss natürlich von der unmarkierten Flasche Möbelpolitur kosten, die man in den Küchenkatakomben unter der Spüle verwahrt. Die Familie braut irgendeinen Guavenschnappes, der aber wohl ganz gut sein muss, wenn ich Annis Gesichtsausdruck so richtig deute.
Heute morgen brechen wir früh auf. Für den frühen Nachmittag ist Bewölkung in den Bergen angesagt und wir wollen natürlich vermeiden, in den Regen zu kommen. Aber es scheint die Sonne und auch blauer Himmel lacht hier und da, durch die Wolkendecke. Als wir losfahren kommen alle raus und wollen uns verabschieden. Die ganze Belegschaft ist so herzig, dass wir gar nicht loskommen. Aber es hilft nichts, als Erstes muss diese krasse Geröllpiste durchs Dorf gemeistert werden. Nur zum Verständnis, man hat einfach Flussschotter auf die Piste gekippt und das ganze Zeug ist lose . . .
Aber es geht, doch es ist kein wirklich angenehmes Gefühl, auf diesem losen Material zu fahren. Bis nach Lete sind es nur 45 Kilometer, sollte eigentlich schnell zu machen sein, doch schon kurz hinter Beni bleiben wir im Schlamm stecken. Anni muss anschieben und wir können die Bergziege befreien. Der Regen der vergangenen Tage, hat viele Teile der Beni-Jomsom-Road zu einem Schlammfeld gemacht. Da natürlich Hunderte von Bussen, LKWs, Treckern und auch Off-Road-Fahrzeuge dadurch geballert sind, ist das mehr so eine Rutschpartie. Wir gondeln auf
unserer Buckelpiste immer am Kali Gandaki entlang, der manchmal bis zu 100 Metern tiefer, in seinem steinigen Bett gen Süden fließt. Die Quelle des Kali Gandaki-Rivers liegt an der Grenze zu Tibet, auf einer Höhe von 6.268 Metern, am Nhubine Himal-Gletscher in der Mustang-Region. Bis nach Mustang werden wir nicht fahren, da wir einfach keinen Permit dafür haben. Mit Fug und Recht kann ich sagen, dass wir heute die spektakulärste Motorradfahrt gemacht haben, die wir je unternommen haben. Immer wieder fahren wir unter überhängendem Felswänden hindurch, mal ist die „Fahrbahn“ nur 1,5 Meter breit und es geht steil nach unten - ohne
Seitenbegrenzung natürlich. Mal kommen wir um eine Kurve und wir gelangen in eine enge Schlucht. Als wir am frühen Mittag, kurz vor Tatopani, eine Felsnase umrunden, tritt der schneebedeckte Annapurna 1 in Erscheinung. Was soll ich sagen? Wir sind sprachlos. Mehrere Minuten lang versuchen wir uns klar zu machen, was wir da gerade vor uns sehen. An der Spitze des Berges hängt eine Wolkenfahne, die den Eindruck erweckt, als würde Dampf aus einem Vulkan aufsteigen. Euphorisch, schwer zu erklären warum, fahren wir Richtung Tatopani,
den Annapurna immer am Horizont. In Tatopani machen wir am Polizeiposten eine Pause, aber eigentlich nur, weil wir dachten, dass wir dort unseren Permit vorzeigen müssen. Müssen wir nicht, doch die Pause ist super, denn am Horizont ist der zweite Achttausender, der Dhaulagiri, aufgetaucht. Seine Südseite ist nicht so schneebedeckt, wie der Annapurna, doch die Nordseite wird bestimmt weiß sein. Ganz können wir ihn ohnehin nicht sehen, da die Hälfte des Gipfels in den Wolken liegt. Hinter Tatopani wird die Piste richtig ruppig und die Szenerie außerdem
spektakulär. Der Fluss fließt durch eine steile Schlucht, die als Kali Gandaki-Schlucht bekannt ist, zwischen den Bergen Dhaulagiri (8.167 Meter) im Westen und Annapurna 1I (8.091 Meter) im Osten. Wenn man die Tiefe einer Schlucht anhand der Differenz zwischen der Flusshöhe und den Höhen der höchsten Gipfel auf beiden Seiten misst, ist diese Schlucht die tiefste der Welt. Aha, so so. Der Teil des Flusses, direkt zwischen Dhaulagiri und Annapurna 1, bei Tukuche, liegt
auf einer Höhe von 2.520 Metern und ist damit 5.571 Meter niedriger als Annapurna 1. Dolle Sache. Auch wenn sich die Piste zwischendurch total anstrengend fährt, ist die Landschaft doch so unglaublich, dass wir permanent halten und einfach nur auf diese wilde, aber majestätisch erhabene Schönheit starren. Leider ziehen sich die Wolken immer mehr und mehr zu, sodass wir versuchen weniger zu staunen und dafür mehr Strecke zu machen. Aber
es nützt nichts, am Kontrollposten, wo unser Permit registriert und „abgerissen“ wird, setzt leichter Regen ein. Wir haben Glück, denn hinter dem Kontrollposten, etwa 5 Kilometer vor unserem Hotel, wurde die Straße schon erneuert und wir können über einen, einigermaßen guten Straßenbelag nach Lete rollen. Dennoch beginnt kurz vor dem Ziel ein Gewitter, doch wir schaffen es, zwar durchnäßt, aber sicher ins Hotel zu kommen. Kurz vor dem Abendessen flammt auf einmal die Sonne durch die schweren Regenwolken und beleuchtet die Nordseite des Annapurna 1. Was soll ich sagen? Ich bin wirklich sehr ergriffen, von dem, was ich heute sehen und erleben durfte. Bonne nuit folks!
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