22. April 2024 - Von Bhaktapur nach Nagarkot
KM 21.732
Wir sind wieder unterwegs. In den frühen Morgenstunden verlassen wir unser Dragon Homestay und machen uns auf den Weg nach Nagarkopt. Dazu fahren wir quer durch die erwachende Altstadt von Bhaktapur. Natürlich wird ein Zwischenstop am Taumadhi-Platz gemacht, im Himalayan Java Coffee House. Um diese Zeit ist noch kein graublau gewandeter Verkehrssheriff unterwegs, denn dort ist überall das Parken verboten. Doch wir sind natürlich vor 9 Uhr morgens wieder verschwunden. Auf dem Rückweg aus der Everest-Region werden wir wohl wieder Halt in Bhaktapur machen oder direkt nach Kathmandu oder Patan durchfahren. Alles ist hier im Kathmandutal nahe beieinander. Die drei Städte sind ohnehin völlig zusammengewachsen, sodass eigentlich nur für das ortsunkundige Bleichgesicht nicht klar ist, wo Kathmandu aufhört und Patan anfängt.
So sitzen wir der wunderschönen Nyatapola Pagode gegenüber und trinken unseren Kaffee. Auch, wenn ich diesen Tempel schon mehrfach gezeigt habe, er ist einfach wunderschön. Der Begriff, "nātāpola“ heißt wörtlich aus dem Nepalesischen übersetzt, „Etwas mit fünf Stockwerken“. Was soll ich sagen, manchmal ist es richtig einfach. Der Tempel ist mit seinen 33 Metern, das höchste Bauwerk Bhaktapurs und gleichzeitig der höchste Tempel Nepals. Irgendein Malla-König, wenn ich mich recht erinnere, war es König Bhupatindra Malla, hat das
Ding in Auftrag gegeben und nach nur 6 Monaten Bauzeit, wurde der fünfstufige Tempel im Juli 1702, fertiggestellt. Der Architekt muss es drauf gehabt haben, denn der Tempel hat, - man höre und staune - vier Erdbeben überstanden, darunter auch das ziemlich finstere Beben von 2015. Scheint ein Qualitätsding zu sein. Interessant ist, dass überall die Silhouette der Nyatapola Pagode als "Symbol" für Bhaktapur verwurstet wird, sie auch der beliebteste Ort in der ganzen Stadt ist, sie spirituell aber keinerlei Bedeutung für die Menschen hat. Seltsam! Einmal im Jahr
wird sie nachweislich geöffnet, irgendwelche Priester vollziehen ein Ritual und dann wird sie wieder verschlossen. Da die Öffentlichkeit somit keinen Zutritt hat, auch nicht bei dem rituellen Simsalabim, ist die darin untergebrachte Gottheit ebenfalls nicht bekannt. Aha, so so, allgemein wird jedoch angenommen, dass der Tempel eine mächtige tantrische Inkarnation der Muttergöttin beherbergt. Klaro, was auch sonst - ich bin zwar in meiner Vorstellung jetzt nicht weiter, gut, was solls. Wenn man ein bißchen tiefer in der Geschichte gräbt, stößt man natürlich
darauf, wer oder was denn nun mit tantrische Inkarnation der Muttergöttin gemeint ist: Der ganze fünfstöckige Backs ist der tantrischen Gottheit Siddhi Lakshmi gewidmet, die als Ahnengottheit der Malla-Königsfamilie und auch als Muttergottheit der Newars von Bhaktapur gilt. Aha, so so, nu´wirds klarer und mit "tantrisch" meinen sie hier, die Huldigung und Verehrung des Weiblichen, in Kombination aus Sinnlichkeit und Spiritualität. Warum dann keiner das "Bildnis" der Gottheit im Tempel sehen darf, ist mir nicht ganz klar, denn die gute Siddhi Lakshmi ist überall ins Holz geschnitzt und taucht daher pausenlos überall im Gebälk auf. Fragen über Fragen des Orients.
An den fünf Dächern hängen 529 Windglocken, die bei windigem Wetter ein angenehmes, helles Glockenspiel erzeugen, dass, wenn auch zuweilen eintönig erscheint, doch nie wirklich störend ist. Übrigens blieb ein Glöckchen beim Bau übrig, was dann bei den Einheimischen als Unglücksglocke in die Stadtgeschichte einging. Warum, wieso, weshalb, keine Ahnung. Was damit geschah wissen wir nicht - sorry, diese Info muss ich dem geneigten Leser schuldig bleiben. Beim Bau haben alle Bürger Bhaktapurs mitgeholfen und die Handwerker wurden sogar bezahlt - ein Novum. Sagen wir mal vorsichtig, so ein hinter- oder vorderindischer
Maharadja hat seine opulenten Behausungen traditionell gar nicht selbst bezahlt, sondern ordentlich die Steuern erhöht, damit die neue Prunkbude finanzierbar war. In den Archiven hier in Bhaktapur existieren aber wohl etliche Dokumente, die belegen, wie viel Kohle jeder einzelne Handwerker bekommen hat. Traditionell baute man hier mit Holz und Ziegeln. Das Holz wurde aus ganz Nepal gespendet, wie ebenfalls lange Listen belegen. Die Holzschnitzereien in Bhaktapur sind der reine Wahnsinn. Inzwischen versucht die nepalesische Regierung, über hohe
Subventionierungen diese traditionelle, aber aussterbende Kunst verstärkt wieder zu beleben. Dafür gibt es in Bhaktapur Lernzentren, wo die alte Kunst der Holzschnitzerei vermittelt wird. Die Holzschnitzereien finden sich hier überall, egal ob Sakral oder Profan, wie am "Palast der 55 Fenster", Bhaktapurs Altstadt ist voll von unzähligen, kunstvoll in Holz gebannter Mythen und Legenden, die im Schatten enger Gassen von vergangener Glorie künden.
Nu kommt aber noch die Problematik mit dem Unruhestifter. Bhairava, der hinduistische Gott der Zerstörung, brachte Chaos in die Gesellschaft. Und ausgerechnet sein Tempel, der rechteckige Bhairavas Tempel, steht neben der Nyatapola Pagode auf dem Taumadhi-Platz. Probleme! Um Bhairavas destruktiven Verhalten entgegenzuwirken, beschloss der Malla König, einige Wächter aufzustellen. Da hat er mal tief in die Kiste gegriffen und die Treppe der Pagode
mit mächtigen Steinfiguren versehen lassen. Irgendwann habe ich in der ganzen Symbolik den Überblick verloren, doch die beiden grimmig dreinblickenden Ringer am Fuße der Treppe, stellen den populärsten Ringer seiner Zeit dar. Ein Mann, den jeder in Nepal kennt, mir ist sein Name allerdings entfallen. Der Kerl mit der knautschigen Visage, taucht mehrfach in Bhaktapur auf, also, in Stein gemeißelt, versteht sich. Die Nepalesen lieben ein Selfie mit "ihm", auch Gruppenselfies. Da alle Angelegenheiten rund um den Bau dieses Tempels außerordentlich gut dokumentiert ist, könnte man jetzt noch ganze Abhandlungen schreiben, worauf ich aber verzichten werde. Vielleicht ist noch anzumerken, dass die Bauweise des Nyatapola-Tempels als perfekt gilt und ihre Bau- und Konstruktionsprinzipien, selbst in China studiert wurden.
Man könnte noch stundenlang Geschichten aus Bhaktapurs Vergangenheit erzählen und wäre immer noch nicht fertig. Vielleicht sollte ich noch die Story erwähnen, wo einer der Könige von der Arbeit seines Steinmetzes so begeistert war, dass er ihm beide Hände abhacken ließ, damit er nicht irgendwo anders im Kathmandu-Tal, erneut eine solche Pracht in Stein schaffen könne. Was soll man sagen, vielleicht ein probates Mittel in jenen Tagen, doch heute höchstwahrscheinlich verpönt. Fragen über Fragen des Orients.
Wir werden wiedermal derartig liebevoll von unseren Gastgebern verabschiedet, dass man eigentlich gar nicht gehen will. Doch wir wollen weiter nach Nagarkot und Jiri, im Osten Nepals.
Wir haben in den vergangenen Tagen Karten gewälzt und Pläne geschmiedet und nach dem Abkühlen wieder verworfen. Im Osten endet die Straße in Jiri, was etwa auf 2000 Meter Höhe liegt, gut ein Tal "vor" der Everest Region. Wir hatten sogar mal kurzfristig überlegt, ob wir nicht
nach Lukla fliegen, von wo aus alle Treks zum Everest Base Camp starten. Doch zweierlei Tatsachen halten uns davon ab. Erstens fliegen die kleinen Flugzeuge nur, wenn es klare Sicht gibt. Wenn nicht, werden alle Flüge abgeblasen, egal, ob man in Kathmandu oder in Lukla hockt. Unser Reiseführer schreibt, dass man manchmal, bei einer Schlechtwetterfront, schon mal mit 3000 anderen Everest Trekkern in Lukla für eine Woche abhängen muss, weil alles bewölkt ist. Als wir eine Woche in Pokhara waren, wurden regelmäßig die Flüge nach Jomsom gestrichen, weil das Tal so tief im Dunst lag. Gestrichene Flüge sind hier an der Tagesordnung! Das andere, kleine aber feine Detail ist, dass Lukla Airport einer der gefährlichsten Flughäfen der
Welt ist. Man fliegt durch eine Schlucht und hat nur eine extrem kurze Lande- und Startbahn, wo es mit schöner Regelmäßigkeit zu Crashs kommt. Wenn der geneigte Leser mehr zu diesem Thema wissen möchte, auf YouTube gibt es übrigens etliche spannende Anflugvideos, die auch gerne spontane Nahtoderfahrungen der Passagiere dokumentieren.
Also gut, Lukla anzufliegen ist keine Option und außerdem baut Nepal gerade eine Straße in diese Region, sodass wir in 15 Jahren mal eine Mopedtour nach Lukla machen können.
Nach dem Kaffee und den vielen Fragen der neugierigen Nepalesen auf dem Taumadhi-Platz rollt die Bergziege durch die engen Gassen Bhaktapurs unserem Etappenziel Nagarkot
entgegen. Das kleine 5000-Seelen Dorf liegt etwa 32 Kilometer von Kathmandu entfernt, was bedeutet, das unserer heutige Etappe, kaum als solche zu bezeichnen ist. Doch Nagarkot ist einmalig in Nepal, denn dieses Dorf liegt auf einem 2200 hohen Berggrat, von wo aus man einen der weitesten Ausblicke auf den Himalaya im Kathmandu-Tal hat. Hier könnte man, die Betonung liegt auf "könnte man", 8 von 13 Himalaya-Gebirgszügen Nepals sehen. Zu den Gebirgsketten gehören das Annapurna-Gebirge, das Manaslu-Gebirge, das Ganesh-Himal-Gebirge, das Langtang-Gebirge, das Jugal-Gebirge, das Rolwaling-Gebirge, das Mahalangur-Gebirge (Everest-Gebirge) und das Numbur-Gebirge mit Blick auf das Kathmandu-Tal und den
Shivapuri-Nationalpark. Also, nix, wie hin. Die Straße schraubt sich gut 500 Höhenmeter hoch, durch kleine Siedlungen und Terassenfelder. Der Belag der Straße ist relativ gut, bis auf die Kurven, dort ist meist Sand und Geröll der überwiegende Belag. Auch wenn man nicht weit von der Hauptstadt entfernt ist, machen einem die ein oder anderen Hotelnamen schon recht deutlich, das Nagarkot doch weit vom Schuss ist. Wir sind natürlich gegen frühen Mittag schon da und werden vom Hotel freundlichst mit frischem Melonensaft empfangen. Wie sollte es auch anders sein, es ist dunstig, wie in den vergangenen Tagen auch. Doch die Sonne scheint, es sind gut 25 Grad, und der Blick in die Täler ist sensationell. Etliche Greifvögel ziehen ihre Bahnen in der warmen Thermik der Mittagszeit. Als ich die Bergziege geparkt habe, frage ich unsere Gastgeber, wo denn der Everest sei. Er zeigt über den Rücken eines Berges, nördlich unseres Hotels und sagt, "dort - theoretisch!" Bonne nuit folks!
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