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Bandipur ist laid back . . .

08. April 2024 - Bandipur

KM 21.380


Groß ist Bandipur nicht und da wir in der Fußgängerzone wohnen, die auch schon die Hauptattraktion ausmacht, ist alles nah bei einander. Außerdem ist man in Bandipur ziemlich gemütlich. Gegen 9 Uhr hocken wir auf der Veranda unseres Hotels, harren auf das Frühstück und lassen die Szenerie auf uns wirken. Im Nachbarhaus, ebenfalls ein Hotel, hängen draußen lokal hergestellte Marionetten, die sich leicht im warmen Wind des frühen Morgens wiegen. Lustig bunt bemalt, bestehen die Figuren aus zwei verschiedenen Charakteren, sodass die Rückseite immer eine andere Figur darzustellen scheint. Zwei Gesichter und vier Arme. Je nach




Wind hat man immer eine andere Figur vor Augen. Das Haus auf der anderen Seite, ebenfalls ein Hotel, genau wie das Haus gegenüber, scheint verlassen in der Morgensonnen zu liegen. Man ist laid back, sehr laid back. Doch dann hören wir die Geräusche eines Films über die Straße schallen und sehen, dass der Hotelmanager es sich auf dem Sofa in der Lobby bequem gemacht hat. Aha, so so. Irgendwie sind alle Häuser in der Fußgängerzone Restaurants oder Hotels oder gar beides. Ist ein bißchen wie bei Asterix bei den Avernern, die verkaufen auch alle Weine und Kohlen in Gergovia. Aber, tut der Gemeinschaft keinen Abbruch! Vor dem frühen Nachmittag scheint hier kein neuer Schub an Touristen reinzuschneien. Das Klappern der Trolleys auf dem unebenen, wenn auch glitzernden Schieferpflaster, hat uns gegen halb 8 Uhr geweckt. Touristischer Schichtwechsel. Der Bus scheint früh den Berg herunter zu ötteln, damit die touristische Fracht auch noch einen Bus nach Kathmandu oder Pokhara bekommt.



Nichts regt sich, selbst die Hauptstraße wiegt ein bißchen verlassen. Die Hunde sind längst zur ihrer Ganztagssiesta übergegangen und liegen irgendwo im Schatten und schnorcheln selig in Morpheus Armen. So Mancher hat einen gesegneten Tiefschlaf, dass er nicht einmal mitbekommen hat, dass die Hotelangestellten die Tische und Stühle wieder gerade gerückt haben. Wie gesagt, in Bandipur ist man laid back. Das war wohl nicht immer so.



Das Örtchen scheint schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich zu haben. Die Ethnie der Magars lebte früher in Bandipur. Ich hab gelesen, dass in der Magar-Sprache Bandipur folgendes bedeutet: „Ban“ Wald, „Di“ Wasser und „Pur“ Ort. Also schätze ich mal, dass die Magars es Bandipur nannten, weil es von Waldgebieten mit reichlich Wasserquellen umgeben war. Heute ist es allerdings wieder trocken, ziemlich warm und windig. Außerdem ist es recht dunstig, sodass wir auf unserem Rundgang zum höher gelegenen Viewpoint, leider nicht die großen Himalaya Massive sehen können. Zwar kann man bis in das Tal des Marsyangdi Rivers





blicken und auch auf den Prithvi Highway, doch vom Manaslu, mit seinen 8163 Metern, ist weit und breit nix zu sehen. Übermorgen geht es ja eh in Richtung Manang und somit werden wir den achthöchsten Berg der Welt schon noch zu Gesicht bekommen. Zumal für die kommende Woche hier durchgehend wolkenloses Wetter angesagt ist. Doch zurück zu Bandipur. Wir machen heute unsere Tempeltour. Klingt großspurig, ist es aber nicht, denn die Tempel sind, wenn auch betagt, eher so im Schreinformat. Alles beginnt natürlich wieder einmal mit Mord und Totschlag. Als 1772 Prithvi Narayan Shah Bhaktapur annektierte, flohen die dort lebenden Kaufleute von Bhaktapur nach Bandipur. Der geneigte Leser erinnert sich, Prithvi Narayan Shah ist der



Kollege, der alle kleinen Königreiche zur Gesamt-Nepal-AG vereinte und sich dabei selbst den Job des Vorstandsvorsitzenden gab. Die Nachfahren lebten übrigens in Gorkha, was wir in den kommenden Wochen irgendwann mal besuchen, um den alten Palast zu bestaunen. Die Jungs aus Bhaktapur entstammten der Ethnie der Newar. Nun lebten hier auf dem Bergrücken ja schon die Magar. Die Newar "vertrieben" die Magar mit einer List, indem sie sie vor möglichen Erdrutschen der Bergspitze warnten, was die Magar in Angst und Schrecken versetzten,



sodass sie Bandipur räumten. Aha, so so. Die Newa trugen die Bergspitze ab, ebneten den Platz ein und bauten darauf den Bazar, also den Platz, den ich insgeheim Marktplatz getauft habe. Pfiffig.  Im 18. und 19. Jahrhundert war dieser Markt ein wichtiges Handelszentrum auf der Route zwischen Indien und Tibet. Obwohl hier der Hund begraben ist, ging es in Bandipur richtig ab, so ökonomisch gesehen. Händler gaben sich hier die Klinke in die Hand, die von Kalkutta, über Kathmandu bis hin nach Tibet Handel trieben. Das kleine Stadtzentrum ist ziemlich verwinkelt und wenn man durch die engen Gassen geht, weht einem



schon mal der Hauch der Geschichte entgegen. Das Mauerwerk der alten Häuser und Schreine, oftmals aus Bruchsteinen gebaut, scheint hier und da noch Legenden von der Blüte der glorreichen Vergangenheit zu flüstern, was aber auch einfach der heiße Wind sein könnte, der hier mittags zwischen den Gemäuern entlangfegt.


Aber, wie immer das so mit einer Blütezeit ist, irgendwann kommt der Katzenjammer. Im Jahr 1925 wurde beschlossen, den Hauptsitz der Tanahun-Distrikt-Verwaltung nach Damauli zu verlegen. Mit dieser Verlegung ging auch der Anschluss der Hauptstraße nach Westen – dem Prithvi Highway – an Damauli einher. Bandipur war plötzlich von der überregionalen Mobilität und dem administrativen Geschäft abgeschnitten. Wundert uns nicht, denn wir sind die, eher





radwegverdächtige Dimension der Straße 8 Kilometer bergauf gefahren, was sich niemand ohne wirklich guten Grund antun würde, es sei denn er müsste verwaltungstechnischen Papierkram erledigen. Konsequenz, na klar - Bedeutungslosigkeit, Rückgang des Handels und viele Kaufleute zogen daraufhin in andere Städte. Von dem ehemaligen, wichtigen Handelsposten zwischen Indien und Tibet und dem Zentrum der Stoff- und Tucheherstellung blieb nichts mehr übrig.


Die Einwohner von Bandipur gaben jedoch nicht auf. Die Newar hatten aus dem Kathmandutal ihre Architektur, ihre Küchenrezepte, ihre Tänze und ihre Tuch- sowie Stoffproduktion mitgebracht. Als die Stadt drohte zu einer Geisterstadt zu verkommen, bewahrte man die alten Fassaden vor dem Verfall, indem man sie aufwendigst renovierte und in Cafés und Hotels umwandelte. Tempel und Schreine wurden ebenfalls überarbeitet und so ist seit 2003 eine




kleine, überaus ansehnliche Bilderbuchstadt entstanden, die in den kommenden Jahren sicherlich sehr stark in den nepalesischen Tourismus integriert wird. Derzeit wird auf dem höchsten Punkt der Stadt eine Hotelmonströsität gebaut, vermutlich mit einem chinesischem Investor, die so gar nicht zu dem, eigentlich sehr europäischem Flair der Altstadt passen will.



Ein einzigartiges Merkmal dieses Ortes ist tatsächlich, so finden wir, sein ausgeprägtes europäisches Flair. Es ist aufgeräumt und sehr sauber - wir haben in den vergangenen 10 Monaten kaum einen Ort besucht, wo so viele Mülleimer herumstehen. Alte Gebäude aus dem 18. Jahrhundert wurden als Cafés und Hotels zu neuem Leben erweckt, die Straßen und Gassen sind von traditionellen Häusern aus rotem Backstein und geschnitztem Holz gesäumt, die das Gefühl einer Zeitreise in die alten Tage Bandipurs vermitteln. Wenn man in einem der zahlreichen Restaurants sitzt, unter den prächtigen, pinken Blüten mächtiger Bougainville, dann könnte man auch an einem lauen Sommerabend in Griechenland, Spanien oder Südfrankreich sein, so viel ist mal sicher.





Wir fühlen uns hier sehr wohl, wackeln die alten Bruchsteintreppen rauf und runter, trinken Kaffee und bestaunen die kleinen, stufenförmigen Schreine, deren rote Ziegel eine behagliche Wärme im frühen Abendlicht ausstrahlen. Wie lange sich Bandipur seine unschuldige Urlaubsnaivität erhalten kann, wissen wir nicht. Doch wer derzeit nach Nepal reist, sollte unbedingt hier einen Zwischenstopp einlegen, nicht zuletzt, um einfach mal durchzuatmen und zu entspannen. Bonne nuit folks!


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