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AutorenbildIngo

Air Bill oder Air Way Bill . . .

20. Juli - Jakarta

KM 26

Der Kerl mit dem roten Gesicht start mich an! Einfach so, mir nichts dir nichts, mitten im Stau. Der grüne Fummel glänzt in der Abendsonne und über seine Federboa auf dem Holzkopf möchte ich gar nicht erst sprechen. Kenne den Kerl nicht, aber er glotzt mich an . . .

Während wir da so eng gestaucht im Stau der Rushhour rumlungern - hab den Motor ausgemacht - lasse ich unseren ersten Tag in Jakarta mal Revue passieren.

Um 5:09 Uhr schaltet mein innerer Wecken auf Hellwach. Von draußen lassen sich schon vereinzelt dumpfe Auspuffgeräusche vernehmen und irgendein Piepmatz trällert fröhlich und ziemlich intensiv seine animalischen Weisen. Indonesier dürfen keine großen Motorräder fahren, was dazu führt, dass alle das gleiche Modell - Honda Spirit, 25ccm - haben und jeder es auf seine Weise individualisiert. Und schon röhrt so eine Knäckebrotsäge wie ein satter Zweizylinder. Daher wird häufig anne Auspuffanlage herumgedengelt und dann klingt das ein oder andere Moped wie eine 1800ccm Maschine. Also nichts, was der normale Harley-Pilot nicht auch machen würde . . .

Zu dieser frühen Stunde habe ich die Dachterrasse für mich allein. Es ist mild, sogar recht kühl noch und das Bad im Pool ist herrlich erfrischend. Habe 10 Stunden traumlos und unendlich tief geschlafen. Liege im Wasser, nehme die Stadt mit allen Sinnen auf - wieder ein wolkenloser, wenn auch dunstiger Himmel, seidige kühle Morgenluft und der Geruch Asiens. Das ist ein gesondertes Kapitel - der Geruch Asiens - aber, dass sei hier noch zurückgestellt. Nur soviel, er ist so typisch, dass ich mich in der Sekunde, in der ich das Flugzeug verlasse, wie zu Hause fühle. Aber davon später mehr . . .

Wir müssen zum Flughafen und die Bergziege befreien. Das das Paket gestern schon am Flughafen angekommen ist, konnten wir über den Trecker eruieren. Also fahren wir wieder mit einem Taxi zum Flughafen, der etwa 20km entfernt liegt. Taxifahrer sind eine besondere Sorte Mäuse, die sich in klaren Kategorien klassifizieren lassen - hat weltweite Gültigkeit. Gestern hatten wir das Modell Dirty Harry is back, also mehr der schweigsame Typ, dessen Gesichtsausdruck sich auf einer Skala zwischen Darmverschluss und Meine-Frau-hat-eine Beule-in-den-Porsche-gefahren bewegte. Könnte natürlich damit zusammenhängen, dass wir nicht in die typische Airport-Tourifalle gelaufen sind und vorher nach dem Preis gefragt haben. Heute morgen hingegen hatten wir ganz das Gegenteil, der joviale Spassmacher mit Dienstleistungsanspruch. Frage 1: Wohin? Zum Cargo Terminal. Aha! Frage 2: Woher kommt ihr? Germany. Handlung: Scorpions aufgelegt und laut mitgesungen und nebenbei erwähnt, dass das sein Lieblingssong sei. Marketingtechnisch schon nicht schlecht. Aber er war einfach Klasse, denn er ist mal eben in den hermetisch abgesperrten Sicherheitsbereich der indonesischen Freihandelszone gefahren, damit wir sicher zum KLM-Terminal kommen. Hat sich überall durchgemogelt, mit seinem Taxi zwischen riesigen Trucks durchgequetscht und sich letztlich für uns bis zum richtigen Terminal durchgefragt. Saftiges Trinkgeld! Wir sind daheim ja dienstleistungsmäßig nicht so verwöhnt, man bekommt ja bei jedweder Behörde eher einen schnauzigen Rüffel, als ein sanftes Lächeln, wie das hier Usus ist. Also läßt er uns vor dem Warehouse 520 (!) in der sengenden frühmittaglichen Hitze stehen und rollt Scorpions-singend von dannen. Übrigens im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen ist in Jakarta mehr so rollen angesagt - fahren wäre übertrieben. Ich kann es zwar nicht lesen, aber ich könnte schwören, dass das hier nicht Fahrschule, sondern Rollschule heißt, aber dazu später mehr!

Wir sind zwar an einem KLM-Terminal, aber es ist der Falsche. Keiner versteht Englisch, aber alles sind umwerfend freundlich und hilfsbereit - unglaublich! Also fragen wir uns durch, bis sich herausstellt, dass dieser Terminal zwar ein KLM-Büro hat, aber es hier nur um Exporte geht! Aha! Muss man ja nur wissen. Ich meine, auf meinen Frachtpapieren steht an irgendeiner Stellen ganz fett IMPORT gedruckt. Englischkenntnisse wären hier von Vorteil, doch im Indonesischen scheint es für die Begriffe Import und Export keine traditionellen sprachlichen Äquivalente zu geben. Nun gut, durchfragen halt. Als klar ist, dass es sich um einen Import handelt, müssen wir natürlich wieder quer durch den Zollbereich. An einer Sicherheitsschleuse, wird Anni "ausgesiebt". Nur der Besitzer des Motorrades darf mit. Also lasse ich Anni mit unserem ganzen Geraffel vor den Securityboys zurück und begebe mich in die Höhle des Zolllöwens. Netterweise latscht eine wichtige, amtliche Gelbweste mit mir zum richtigen Terminal. Dort ist man ein wenig ratlos, als ich meine Frachtpapiere - die Air Bill - vorlege. Palaver, wichtiges Palaver! Die Arbeit im gesamten Warehouse wird eingestellt. Mit einem Schlag verstummen die Stimmen, die Gabelstapler und das markerschütternde Geräusch von, über den Boden geschobener Metallkisten. Als ich aufblicke, drücken alle Mitarbeiter ihre Nasen am Fenster des verglasten Büros platt - Hektoliter von Kondenzwasser begleiten dieses Phänomen. Ob ich denn keine Air Way Bill habe? Nein! Nein? Wieder Palaver! Dann ist man sich einig, ich brauche einen Assistenten, vorzugsweise einen, der der englischen Sprachen mächtig ist. Also wird jemand auserkoren, der alle Behördengänge betreut, die jetzt anstehen, bevor ich die Bergziege aus ihrer Verpackung befreien kann. Der Gute ist nur 1,50m groß und spricht ausser Yes und No nix Englisches. Zuerst gehts es zur Zollbehörde. Die sind wichtig. Den Grad der Wichtigkeit einer Behörde kann man hier übrigens an der Qualität der AC und der Flicken auf den Wartestühlen ablesen. Dort ist es schrecklich kalt und das kunstlederne Sitzmöbel ist zu 100% intakt! Also sehr wichtig die Jungs! Arbeitszeit übrigens von 08:00 Uhr bis 23:00 Uhr, nicht schlecht. Weiß nicht, ob ich dass mal als Anregung an unser Bürgeramt weitergeben soll?

Palaver, ganz großes Palaver! Aber, unser Carnet des Passages wird gestempelt, dann gibt es noch einen Kontroll-Carnet, alles wird doppelt und dreifach kopiert und sehe mich nach nunmehr 2 Stunden kurz davor mit der Maschine Richtung Downtown zu rollen . . .

Lächerlich, erst kommt doch noch de Zollinspektion des Pakets. Dazu müssen wir, also der weiße Riese und das Assistenzmännchen zu einem Zollinspekteur . . . Auf dem Weg dahin, wird mein kleinwüchsiger Begleiter. von Kollegen ziemlich aufgezogen. Meine Person sieht sich mehrfachen Pantominen ausgesetzt, die einen großen, kompakten aufrecht gehenden Primaten darstellen. Ich mache Mine zum bösen Spiel, weil alles so kindlich-naiv ist, dass die Jungs dabei einfach schon wieder süß sind. Mit dem Zollinspekteur brechen wir die Kiste im Warehouse auf. Uhrenvergleich: 3 Stunden! Muss alles auspacken, alles wird fotografiert bis hin zu den Campingstühlen. Zu diesem Zeitpunkt stehen so viele Menschen in der Halle rum, wie bei einem Kaffeekränzchen der Queen und schauen zu, wie ich alles wieder zusammenbaue. Ganz mutige Kommunikationswunder wollen helfen und legen in einem unbeobachteten Moment selbst Hand an. Im Laufe diese Zwangsarbeitsteilung verliere ich die Übersicht über die Montagevorgänge und am Ende sind zwei Muttern futsch, was dazu führt, das hunderte von hilfsbereiten und schwerst betroffenen Motorradmonteuren sich niederwerfen und nach den fehlenden Teilen suchen. Natürlich sind die Muttern futsch, aber ich habe Kabelbinder dabei. Kein Beinbruch. Der Zollinspekteur war schon längst gegangen, nicht ohne mich noch einmal einzubestellen. Also fahre ich die Bergziege aus der Halle, bin ich doch in der irrigen Annahme, jetzt los zu können. Nein, wir dackeln wieder zum Hauptzollgebäude, was ein Trost ist, denn inzwischen bin ich dreimal durchgeschwitzt und etwas Abkühlung hat was. Palaver, großes Palaver. Dann bekomme ich meinen Carnet zurück, mit allen Unterlagen und den Fotos vom Entpacken der Bergziege. Alles in Ordnung! Auftritt: der Chef vons Ganze, wie mein Vater zu sagen pflegt. Goldene Schulterstücke, Bügelfalten an der Uniform, dass man damit trockene Brötchen sägen könnte. Schwerste Pockennarben zieren sein Antlitz, klarer Fall, er ist der Sympathieträger der Behörde. Dann blickt er mir direkt in die Augen und ich fühle mich wie beim Beobachten von Löwen in der Serengeti. Mitleidsloser Blick, stechend, mit Mundwinkeln, die nur die Erdanziehungskraft kennen. Fixiert mich, nimmt dabei die Unterlagen, die ein niederer Beamter für ihn vorbereitet und vorgestempelt hat. Flüchtiger Blick auf die Papiere, dann schaut er mich durchdringend an, setzt das breiteste Grinsen auf, dass selbst Batmans Joker neidisch machen würde. "BMW?" "Yes, BMW!" "Gutt!" Bin erleichtert, dann brabbelt er los und singt ein Loblied auf BMW. Nicht, dass ich irgendetwas verstehen könnte, aber BMW läßt sich heraus hören, mehrfach. Mit einer wedelnden Handbewegung bin ich entlassen und innerlich frohlocke ich - nun kanns losgehen!

Inzwischen passiere ich Anni an ihrem Warteplatz das vierte Mal. Als ich selbstsicher auf die Bergziege zusteuere, die, umringt von hunderten Fans, in der Mittagshitze döst, zieht mich mein Zollassitent wieder zum Büro und murmelt Air Way Bill. Leicht genervt folge ich ihm ins Büro, wo meine Unterlagen erneut kopiert werden - Sinn fraglich - und eine Rechnung erstellt wird. Die Air Way Bill ist die kleine aber feine Händlercourtage, die genau 3.183.000IR kostet. 188,00€. Nehmt ihr Kreditkarten? Yes! Gut, Mastercard? Nein! Aha, Visa? Nein! DKB? Nein! Ok, was dann? 3,2 Millionen Indonesische Rupien cash! Hab ich nicht in der Tasche. No Problem, ATM! Aha, ein Geldautomat, wo? Am Zollgebäude! So so, dass konnte man mir nicht früher sagen, so bspw, als wir mehrfach daran vorbei gelatscht sind? Passiere Annis Beobachtungsposten nun zum 5. Mal in 4,5 Stunden. Hebe 3 Mille ab, was nicht in einem Rutsch geht, benötige drei einzelne Transaktionen, wegen des Automatenlimits.

Jetzt ist die Bergziege friedlich im Keller des Hotel geparkt, wird bewacht und wir haben den Pool aufgesucht. Ich weiß zwar immer noch nicht, wer der Kerl mit dem roten Gesicht ist - tauchte auf der Heimfahrt mehrfach auf, aber ich finde es noch heraus. Außerdem kenne ich jetzt den Unterschied zwischen Air Bill und Air Way Bill . . .



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