03. August 2023 - Yogyakarta / Prambanan
KM 944
Am heutigen Morgen vermute ich eine abgekarterte Sache zwischen dem Hahn aus der Nachbarschaft und dem Muezzin, auch aus der Nachbarschaft. In Yogya ist man nicht so ganz streng mit dem fröhlichen Surengeträller, wie das im beschaulichen Borobudur ist. So gegen 05:00 Uhr schallt es aus weiter Entfernung, nahezu getragen von leichten, seidigen Wölkchen in mein zartes Ohr, dessen Impulsleitsystem sich zu dieser Stunde noch gar nicht im Funktionsmodus befindet. Wie gesagt, in Yogya ist man laid back und daher ist der spirituelle Singsang mehr so eine Hintergrunderscheinung. Also nichts, was mich von meinem fliegenden Teppich holen kann. So gegen 05:30 Uhr schickt sich er Hahn des Viertels an, sein mühsames Tagwerk zu beginnen und kikerikiieeet dezent zwischen seine Federn. Auch das Federvieh ist laid back!
Aber heute morgen gab es hier einen, der kurz vor dem Axtmord war. Vielleicht hat der Novize die Gelegenheit ergriffen und die prophetische Karaokeanlage neu zu justieren. Der synaptischen Explosion, die zwischen meinen Ohren statt fand, zufolge, standen die Lautsprecher direkt neben meinem Bett. Also hellwach. Gut, drei bis vier Stunden vor dem Frühstück schlummer ich dann eigentlich nochmal weg. So auch heute, schwerer werdende Augenlider, Systemabbruch, geistige Leere, physischer Schwebezustand . . . Nirvana . . . Dann klingelt es erneut in meinen Synapsen und ein äußerst schlecht gekrächztes Kikeriki vibriert wie eine Zwölftonfolge von Hindemith in die Richtung meines Großhirns. Diese auditive Wechselbeziehung trägt sich bis zu unserer, inzwischen üblichen Frühstückszeit 09':30 Uhr fort. Krächzen, Jallern, Krächzen,
Jallern . . .
Die 17 Kilometer fahren wir recht zügig, meist im 5. Gang, denn der Prambanan liegt an einer zweispurigen Ausfallstraße von Yogya. Wir müssen die Bergziege zwischen den 25ccm Maschinchen parken, Gebühr 25000 indonesische Taler (1,51 €) und eilen gen Eingang. Es gibt derer natürlich zwei, einen offenen für die Einheimischen und einen geschlossenen Terminal für die internationalen Bleichgesichter. Eigentlich blödsinnig, denn alle wissen, dass die bleiche Internationalität gut das Sechsfache zahlen muss, was der einheimische Kulturbegeisterte berappen muss. Ist aber auch mehr als in Ordnung für uns. Wir eilen zum steinernen Denkmal weiter und werden an der Sicherheitsschleuse sofort aufgehalten. Beim Eingang steht ein riesiges Schild, dass neben vielen anderen Dingen, wie Schusswaffen, Handgranaten auch Messer und Drohnen verbietet. Beides an Bord, also Drohne und Messer, die Handgranaten durfte ich ja schon nicht in der Motorradkiste einführen, wie sich der geneigte Leser bestimmt erinnert. Aber, in solchen Fällen bin ich vorbereitet und dränge mich den Sicherheitsfrack förmlich auf, sodass er mich mit einem oberflächlichen Sicherheitsblick in den Rucksack, leicht ungeduldig weiterwinkt. Der Grund ist Annis Helm. Den muss sie abgeben. Leider passt nur ein Helm in den Koffer der Bergziege. Also betreten wir das Hinduheiligtum aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. mit Drohne und Messer.
Das Schicksal bremst uns aus, in Form von mehreren Schulklassen. Als die Massen zum Haupttempel strömen, beschließen wir erst einmal, zum Candi Sewu zu schlendern, der laut Reiseführer eh immer der Ignoranz der meisten Besucher zum Opfer fällt. So schlendern wir durch die weitläufigen Grünanlagen mit ihren Palmen, Akazien und Hibiskushecken. Es weht ein erfrischender Wind und so kann man es im Schatten hervorragend aushalten. 2006 hat es in Yogya ein ziemlich heftiges Erdbeben gegeben, wodurch die Tempelanlage ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Da man sei 1919 (!) ohnehin permanent restauriert, also man gerade ohnehin dabei war die Steine zu sortieren, musste man beim Candi Sewu wohl oder übel fast bei Null anfangen. Mittig auf einem Steinplateau stehen die Zentraltürme des buddhistischen Tempels, drumherum liegt alles in Steinhaufen verteilt. Devise: Es werden nur Bauten rekonstruiert, deren Steine man eindeutig zuordnen kann. Ist wirklich so! An einer Stelle arbeitet ein Steinmetz. Er hat sich die passenden Steine gesucht, neue, legomäßig hinzugefügt und vervollständigt jetzt das alte Relief durch die Bearbeitung der ergänzten Steine.
Der Begriff Sewu bedeutet 1000. Jetzt wird es nämlich spannend. Ist schon wieder sonne Prinzessinnen und Prinzen Story . . . Die schöne Prinzessin Loro Djonggrang bekam mal so ganz heftig den Hof gemacht, von irgendeinem Prinzen. Dummerweise kann die Dame den Kerl nicht ausstehen, er bleibt aber hartnäckig. Genau, jetzt kommt die Sache mit dem Mammut, was in die Höhle gebracht werden muss! Sie beauftragt ihn innerhalb einer Nacht 1000 Tempel zu bauen, dann gäbe es die Fete, Ja-Wort, Schleiertanz, Torte anschneiden und alles, was sich ein ortsüblicher Hochzeitsvermittler so ausdenken kann. Der Gute ist motiviert und legt los. Im Laufe der Nacht stellt das anspruchsvolle Püppi dann fest, dass der Macker mit seiner Tempelbastelei schon bei Nummer 999 ist und bekommt ordentlich Muffensausen. Irgendwie sind dem aristokratischen Architekten wohl da ein paar Dämonen, die nicht genannt sein möchten, zur Hand gegangen. Heute morgen hätte ich auch gern ein paar Dämonen gehabt, ehrlich! Nun ja, Püppi ordert große Feuer und der Macker, so mit Schaffen beschäftigt, denkt, die Nacht ist rum und er hats vergeigt. Als er dann die Wahrheit erfährt, kommt er mies drauf und verwandelt die Holde zu Stein - in den 1000. Tempel. Ehrlich, so die Stories aus dem kulturellen Beipackzettel Asiens liebe ich einfach. Man steht vor einem riesigen Steinhaufen, der langweiliger nicht sein kann und dann kommt so eine hammermäßige Erklärung . . . Top.
Der Candi Sewu ist ein buddhistischer Tempel, während der 500 Meter entfernte Prambanan der größte Hindutempel Indonesiens ist. Natürlich unterscheiden sich die spirituellen Bauprinzipien, haben aber doch ziemlich ähnliche Dekodetails. Vom äußersten Ende der Anlage schlendern wir nun zum Haupttempel, in der Hoffnung, dass sich die Schülermassen etwas verflüchtigt haben. Es gibt noch zwei weitere Bauwerke auf unserem Weg, die dem Candi Sewu ähnlich sehen, aber einfach viel kleiner sind. Aber schön allemal.
Der Prambanan ist schon beeindruckend, mit seinem fast 48 Meter hohem Zentralbau. Eigentlich standen mal 250 Einzeltempel um die Anlage mit seinen 8 Hauptschreinen. Da ist aber nix mehr von übrig, tatsächlich nur Schutthaufen. Und, Schutthaufen bleibt Schutthaufen, auch wenn er antik ist! Die drei größten, das Trisakti, sind den Hindugottheiten Shiva, Vishnu und Brahma gewidmet. Shiva ist der Zerstörer, Vishnu der Bewahrer und Brahma der Schöpfer. Die großen 8 stehen auf einer Plattform erhöht, die von Mauern umgeben ist. Der 48 Meter hohe Shiva-Tempel hat eine Seitenlänge von 35 Metern und ist ein ziemlich imposanter Klotz. Er ist natürlich mittig angeordnet, wie es sich für den Zerstörer geziemt. Natürlich ist mit den Hindugottheiten nichts einfach. Shiva ist nicht nur der Zerstörer, sondern dadurch auch der Garant, der immer wiederkehrenden Erneuerung. Kenne ich aus meiner Lego-Phase! Die Tempel der beiden anderen Gottheiten sind nur 34 Meter hoch, was mich drauf schließen lässt, dass sie eh nix zu melden haben. Allen Tempeln ist trotzdem die spirituelle Dreiteilung gemein: Bhurloka, Bhurvaloka und Svarloka. So so, aha! Der geneigte Leser hat ja bestimmt Michaelsens Einführung in den Hinduismus gelesen, oder? Bhurloka wird durch die steinerne Plattform symbolisiert, also da, wo sich die unterbelichteten, äh, falsch - unbeleuchteten, äh, nein wieder falsch unerleuchteten Menschen aufhalten. Man kennt sie ja, die mit Begierden und Unreinheiten. Hier sind wir heute übrigens die meiste Zeit gewesen. Zum Bhurvaloka, die erste, durch steinerne Treppen erreichbare Galerie, symbolisiert die Loslösung von Besitz und Reichtum und die Suche nach spiritueller Weisheit. Die Ebene konnten wir nicht erreichen, denn der Weg zur Weisheit war durch hunderte Lebewesen versperrt, die kurzfristig so aussahen, als wollten sie sich von ihrem Mobilgerät trennen. Was ich als entmaterialisierende Handbewegung
- mit spirituellem Wohlwollen - definierte, war dann doch wohl eher ein Selfiemarathon. So nach dem Prinzip, ich und die Erleuchtung! Der Weg zum Svarloka, dem göttlichen Sein, war verrammelt. Was soll ich sagen, Wunder über Wunder des Orients.
Leider sieht man die Erdbebenschäden immer noch gewaltig und anhand der wenigen Reliefe, die den Zahn der Zeit und die Erdbeben überstanden haben, kann man erahnen, wie prächtig diese Bauwerke mal ursprünglich gewesen sein müssen. Die Schulklassen hatten sich verstreut, zumindest die, die zum Tempel strömten, als wir ankamen. Die Klassen, die nach uns kamen, hatten sich noch nicht verlaufen. Dennoch war es ein sehr schöner Ort, der und, aufgrund seiner Weitläufigkeit und auch der Vielfältigkeit, einen tollen Besuch beschert hat. Die halbe Zeit am Prambanan haben wir auf den Parkbänken gesessen, einfach nur den wunderschönen Anblick der Bauten genossen und ohne Zeitdruck einfach diesen Tag gelebt.
Inzwischen sind wir wieder in unserem Hotel angekommen, wo sich die nachbarschaftlichen Barden, Hahn und Muezzin, wieder, oder vielleicht immer noch, ihrem Wechselduett hingeben (kein Scherz). Wir werden gleich packen, denn morgen geht es wieder on the road und wir wollen an der Südküste Javas entlang reisen. Ziel ist Merak, im äußersten Nordwesten, von wo aus die Fähren nach Sumatra ablegen. Bonne nuit.
KI träumt von Java: Es muss ein schöner Klang sein, der die Atmosphäre der Insel bereichert. Ich habe noch nie Java besucht, aber ich habe gehört, dass es eine wunderschöne und vielfältige Insel ist. Wenn ein Muezzin und ein Hahn gleichzeitig Geräusche auf Java machen, bedeutet das vielleicht, dass es Zeit für das Morgengebet ist. Oder vielleicht wollen sie einfach nur ihre Anwesenheit bekannt machen. Oder vielleicht haben sie eine Art von Kommunikation, die wir nicht verstehen.