22. Juli 2023 - Jakarta
KM 26
Folklore ist so eine Sache, besonders, wenn Reiseführer zwischen den Zeilen einen gewissen Besichtigungszwang implizieren. Also gut, wir machen uns auf nach Chinatown. Uns wird ein schöner Spaziergang mit interessanter chinesischer Tradition versprochen. Soweit die Theorie!
Das Taxi entläßt uns aus seiner angenehmen AC-Atmosphäre in 35 Grad Hitze, heute ohne Wind. Also für den Mitteleuropäer schon ein wenig herausfordernd. Wir stehen unmittelbar vor einem imposanten Steinbogen, chinesischer Machwerkelei, der auch in San Francisco, London oder sonst wo stehen könnte. Vergoldete Buchstaben in lateinischen Buchstaben und chinesischen Schriftzeichen künden vom untrüglichen Stolz der heimatlichen Enklave. Wir stehen vor dem Pantjoran Tea House, der empfohlene Ausgangspunkt für unsere chinesische Schlenderei. Die hölzerne Fassade des alten Giebelhauses macht was her, ohne Frage. Fernöstlicher Stil vergangener Epochen, irgendwo zwischen japanischem und chinesischem Holzdesign, verwaschen von tropischem Klima, verströmt es einen leicht heruntergekommenen Charme. Der Sage nach, weiß nicht welche im Übrigen, hat hier der dritte chinesische Kapitän Gan Die (nicht zu verwechseln mit einem unbekannten indischen Ministerpräsidenten, der ähnlich ausgesprochen wird!) irgendeine Nachbarschaftssitte zur Völkerverständigung eingeführt, indem hier an diesem Teehaus draußen immer 8 Kannen mit kostenlosem Tee bereitstehen. Aha, die Story hat ein paar Löcher, was ist also mit dem ersten Kapitän? Oder gar mit dem Zweiten? Fragen über Fragen des Orients. Und überhaupt, hier steht nicht mal eine Kanne, nicht mal ein klitzekleines chinesisches Tonkännchen. Dabei heißt es doch immer so schön, "draußen nur Kännchen!"
Wir fühlen uns von der Szenerie nicht so angesprochen, mag auch an dem Mitarbeiter des Monats liegen, der sich gelangweilt auf einem Stuhl vor der fernöstlichen Teegießerei rumrekelt und dabei auch noch der Sympathieträger der Behausung zu sein scheint. Vielleicht liegt es auch an den Presslufthämmern, die weite Teile des Viertels sprichwörtlich in Schutt und Asche legen, vermutlich um einigen verglasten Shopping-Mall Monstrositäten Platz zu schaffen.
Der empfohlene Spaziergang führt vorbei an chinesischen Garküchen, die indonesischen Garküchen genau gleichen. Zu dieser frühen Stunde wird hier eh noch nicht gegart und Publikumsverkehr scheint auch noch nicht erwartet zu werden. Wir sind ohnehin keine Zielgruppe, vermutlich kommen zu späterer Stunde etliche Reisebusse mit ernstzunehmender Kundschaft. Wir irren etwas durch die schmuddeligen Gassen, bis wir vor dem ersten Tempel stehen und ein militärlike becamouflashter, chinesischstämmiger Indonesier uns nett hereinbittet. Vor dem Eingang arbeitet eine mobile Schneiderei, mit einem fröhlichen Schneiderlein, der seine Singer auf einen Handkarren montiert hat. Nähte-to-go, sozusagen. Mit seinem fröhlichen Wesen hat er auf jeden Fall mein Herz im Sturm erobert.
Neben dem Eingang eine mobile Dim-um-Bude, für den, der nochmal schnell vorm Beten einen Snack braucht. Man lasse sich diese Aktion auf der Zunge zergehen und denke an die Reaktion der Laienwächter im Kölner Dom, wenn man da mit einer Pommes Rotweiss in den Dom schlendert. Im Innern wird spirituell alles geboten, was geht: Buddhistische Jallamucke, überall wird intensivster Tempelmuff abgefackelt, unzählige tiefrote Lampions, hölzerne Drachen und seltsamste religiöse Figuren, darunter auch zwei goldgewandete Tonhunde. Der Topact ist natürlich, dass der große Drachenkopf anstelle der Augen rote Glühbirnen hat. Man kann nicht sagen, dass sie sich nicht bemühen würden. Was etwas despektierlich klingt, ist aber gar nicht so gemeint. Alle sind super freundlich, lassen mich fotografieren und wollen gar beim Beten abgelichtet werden, was aber selbst mir dann doch zu viel des Guten ist. Besonders knuffig fand ich drei ältere Herren, die sich in einem Teil der Gebetshalle Klappstühle aufgestellt haben, um dort zwischen den Räucherstäbchen Kaffee zu trinken. Aha, was alles so geht! Der geneigte Leser denke jetzt wieder an den Kölner Dom, wenn man sich dort Klappstühle neben dem Altar aufbauen würde, um dort Kaffee zu trinken . . .
Der Tempel gibt es mehrere verschiedene, identischen Inhalts. Anni macht ein Gesicht - ich weiß genau, was sie denkt. Der Charme der Tempel springt nicht so richtig auf sie über. Vielleicht sollte man an dieser Stelle erwähnen, dass vor 100 Jahren die Holländer fieserweise die ursprünglichen Tempel niedergebrannt haben. Restauriert haben die Bewohner von Chinatown die vielen Brandlöcher mit braunen Fliesen in 40x40. Zugegebenermaßen, hatten wir so ein bißchen mehr Folklore erwartet, aber man kann halt nicht alles haben.
Die Tempelrallye endet auf dem großen chinesischen Markt, der sehr schön und auch ziemlich gepflegt ist. In Asien ist der Indikator für einen gepflegten oder ungepflegten Markt, das Erleiden einer olfaktorische Nahtoderfahrung. Muss man wiederbelebt werden, nachdem alle primären Körperfunktionen ausgesetzt haben, sollte man auf den Ankauf der dargebotenen Lebensmittel verzichten. Eine einfach zu beherzigende Regel, wie ich finde. Aber trotz der üblichen fernöstlichen Skurilitäten wie Fischköpfe, Darmschlingen oder Riesenmorcheln ist der Markt klasse und die Menschen ziemlich entspannt, was sich meist darin äußert, dass ich in Ruhe fotografien und filmen kann. Gegen Ende landen wir in einer Kaffeeschmiede und ertränken unsere Enttäuschung über die mangelnde Folklore in einem Kopi Susu, Meine erste indonesische Vokabel - Milchkaffee. Doch hier in Chinatown scheint mein Kopi Susu und der chinesische Kopi Susu nicht deckungsgleich zu sein . . . Schaffe nur 2/3 der 0,2ml Tasse zu trinken, aus Angst, dass ich irgendwo eingeliefert werden muss und sie dort keinen Defibrilator haben . . .
Auf dem Heimweg haben wir noch schnell eine Sim-Karte für unseren mobilen Router kaufen wollen, also, so mal eben. Ohne die nette indonesische Familie mit ihren Handyshop, würden wir da immer noch stehen und dumm aus der verschwitzten Wäsche kucken. Unser Huawei-Router, der angeblich alle Frequenzen Asiens kann, kann in Indonesien nur die Frequenz des Anbieters XL. Ich bin nicht gut in Erdkunde, aber vielleicht liegt Indonesien gar nicht in Asien? Fragen über Fragen des Orients. Nach 1,5 Stunden waren wir dann auch schon wieder auf der Straße und unterwegs zu unserem Supermarkt, da wir ja, snobistisch wie wir sind, eine ganze Hotelsuite haben, inklusive Küche. Anni zieht also los, bewaffnet mit dem Google-Übersetzer-Tool, streift durch die Gondeln voller fremder Namen, wie Coca Cola, Del Monte, Nestle, und bleibt vor dem Getränkeregal stehen, hält das Handy über das Flaschenetikett und buchstabiert gedankenverloren langsam die Übersetzung ins Teutonische vor sich hin: S-c-h-n-ä-p-p-c-h-e-n! Was soll ich sagen, wir haben sehr gelacht, es lebe die digitale Welt . . .
Geht zu Aldi, die haben auch SIM Karten, immer eine gute Wahl für lokalen Schnickschnack