21. Juli 2023 - Jakarta
KM 26
Java! Von je her hat mich der Klang des Namens Java in den Bann gezogen, schon in sehr jungen Jahren. Wie es dazu kam, ist nur schwerlich zu erklären. Vielleicht hat jeder Mensch eine innere Faszination von etwas, was sich nicht rational erklären läßt. Bei mir sind es Namen wie Batavia, Java oder Sumatra. Der Klang des Fremdartigen mag dabei eine Rolle spielen, oder auch die damit implizierte Ferne und Weite. Eine unerklärliche Sehnsucht nach fernen Farben, seltsamen Gerüchen oder dem samtenen Sonnenlicht, dessen kurze goldene Stunde des Abends behutsam einen weichen Schleier über das Land und die Menschen legt. Wie gesagt, nicht einfach zu erklären . . .
Ähnlich ist es bestimmt den ersten Abenteurern, besonders den Holländern, ergangen, die hier an Land gingen, um ihre ersten Handelsmissionen zu eröffnen. Die Weite des Meeres, die Fremdartigkeit des Landes, das sanfte und freundliche Wesen der Menschen hat sie sicherlich in ihren Bann gezogen. Ein Hauch davon ist hier immer noch zu spüren. An vielen Ecken der Altstadt ist das "alte Batavia", wie die Holländer es nannten, noch sichtbar und steht in skurrilen Kontrast zu den Betonentgleisungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts und den Glasturmmonstern der 2000er. Versteckt zwischen Bananenstauden und Palmen stehen noch alte Ziegelgebäude, deren baulicher Speichercharakter aus Middelburg oder Groningen stammen könnte. Hier und da findet sich in Central Jakarta, das Kota genannt wird, ein halb verfallenes Haus, dessen Fassade auch in restaurierter Form in Alkmaar oder Delft gebaut wurde. Gouverneurskantoor, steht da im weißgekälkten Dreiecksgiebel des Stadthuis in schwarzen Capitälchen geschrieben. Das weiße Stadthuis, mit seinen Kupferoxydgrün lackierten Blendläden, ein unvergängliches Symbol einer längst vergänglichen Zeit. Aber die holländischen Jahrhunderte sind nirgends so augenscheinlich, wie an der alten hölzernen Zugbrücke, die, inzwischen sehr schön restauriert, schon seine 200 Jahre auf dem Buckel hat. Steht man mittig auf dem knarrenden Holz, kann man das kommerzielle Zentrum von Jakarta sehen und der historische Zauber verschwindet ein wenig, so wie die Neon-Glass-Zylinder im dunstigen Smog der 30 Millionen Metropole (sind nicht 28 Mio. wie ich gestern schrieb, sondern 30 Mio.!) das Sonnenlicht reflektieren.
Wir folgen dem Kanal, der übrigens sauberer ist, als wir erwartet haben. Das Wasser der meisten Kanäle Jakartas ist schwarz-schlammig, voller Plastikmüll und riecht wie eine einzige riesige Kloake. Aber man beginnt überall in der Stadt die Kanäle mit Hilfe von langen Kunststoffbarrieren zu säubern. Aber, dazu schreibe ich später mal . . .
Um zur historischen Hafeneinfahrt zu gelangen, müssen wir ein Viertel durchqueren, dessen Menschen in alten holländischen Häusern wohnen. Daheim würde sich jeder Investor um diese Bausubstanz prügeln, aber hier ist es weder trendy noch hip, in derartig heruntergekommenen Mauern zu hausen. Verlierer der Gesellschaft, ein weiteres Kontrastpaar innerhalb der großen Gegensätzlichkeit Jakartas.
1839 bauen die Holländer hier einen Beobachtungsposten, bestückt mit etlichen Kanonen und sichern so die Hafeneinfahrt Batavias. Gleichzeitig hat der Hafenmeister so genauen Überblick über die Belegung des Hafens. Wir stehen bestimmt eine gute Stunde da oben, denn milder Seewind weht durch die großen Beobachtungsluken und trocknet so mein verschwitztes T-shirt. Der Steinturm ist holländisch, die Bauart der hölzerne Beobachtungskanzel aber offenkundig der Bauweisen der Sundanesen entliehen. Ich sehe förmlich einen Hafenangestellten mit einem langen Messingfernrohr die Hafeneinfahrt fixieren, kreischende Möwen, die das Dach des Turmes umkreisen und einen Dreimaster, der langsam von kleinen Holzbooten mit Ausleger zum Hafen geschleppt wird. Unser Rundgang ist spannend, interessant aber auch widersprüchlich, wie die Metropole selbst. Es ist heiß, ohne feucht-stickig zu sein, es weht kühler Seewind, der aber angenehm in der Hitze ist, die baulichen Zeitzeugen sind scheinbar vertraut, die Gesichter der darin wohnenden Menschen so fremdartig, die holländischen Reminiszenzen romantisch verklärt und die Realität des Jetzt für die meisten Indonesier ein täglich Kampf. Jakarta ist voller Kontraste. Vom Turm aus sieht man nur Stadt, in alle Himmelsrichtungen. 30 Millionen Einwohner!
Draußen vor dem Turm kämpft der Verkehr seinen aussichtslosen Kampf zwischen verfügbarem Platzangebot und Verkehrsaufkommen. Irgendwie wirken diese historischen Artefakte wie längst vergessene Anachronismen zwischen all den sekündlich genutzten Mobiltelefonen, den riesigen Großbildmonitoren an Jakartas Straßenkreuzungen und der hektischen Wuselei innerhalb der jeweiligen Stadtkosmen, die den Großraum Jakarta bilden.
Wir beenden unseren "holländischen Rundgang" mit Kaffee und Kuchen im Café Batavia, welches direkt vis a vis zum Stadthius am Tamina Fatahilla, dem zentralen Platz Kotas, liegt. Hier ist definitiv die Zeit stehen geblieben. Die Böden im Erdgeschoß sind mit alten Zementfliesen belegt, in der oberen Etage wurden schwere Schiffsbohlen verwendet. Alles ist gediegen und kündet von aberwitzigem Reichtum, ja nahezu größenwahnsinnigem Imitieren heimatlicher Gefühle und Sehnsüchte. Der Kaffee ist lecker, spezieller Java-Kaffee in verschiedensten Variationen, der Kuchen europäisch exzellent und könnte auch so in Mailand, Paris oder Berlin kredenzt werden. Aber hier wird in einem Rahmen konsumiert, welches das normale Einkommen der Indonesier natürlich bei weitem übersteigt. Als Zeitzeugnis ist das Café Batavia ein heimeliger Ort und mehrfach sehe ich vor meinem geistigen Auge gewichtige, spitzbärtige Männer mit weißen Spitzenkrägen, schwarzen Kniebundhosen, hochhackigen Schnallenschuhen und breitkrempigen Hüten aus dem Stadthuis herübereilen, um in gediegen-heimatlicher Umgebung einen Mokka zu trinken und dazu Bitterballen (gibt's wirklich da) zu essen.
Zur Goldenen Stunde ist der Tamina Fatahilla voller Menschen. Indonesische Familien hauptsächlich, deren Kinder rumtollen, auf Kanonen sitzen oder permanent fotografiert werden. Man kann alte Hollandfahrräder mieten, um über den großen Platz zu radeln, was besonders verliebte Paare tun, ist so doch minimalster Körperkontakt in diesem Teil der muslimischen Welt geduldet. Westliche Touristen sind nur sehr wenig zu sehen. Die meisten fliegen sofort nach Bali weiter, ohne Java Beachtung zu schenken. Die Stimmung ist ausgelassen, friedlich und voller Leben.
Als die Sonne sich anschickt hinter den westlichen Kolonialbauten des Platzes zu verschwinden, verliert das klare Weiß des Stadthuis an Härte und bekommt einen weichen Zug, so als würde es sich vor der Kultur verbeugen, die man Jahrhunderte lang ignoriert und ausgebeutet hat.
Mit einem Weissabgleich kann man das mit der gelblichen Gebäudefarbe wieder korrigieren