16. April 2024 - Bhaktapur
KM 21.716
"Gäbe es nichts anderes in Nepal, ausgenommen den Durbar Square in Bhaktapur, so wäre sein Anblick es immer noch mehr als wert, die halbe Welt zu umreisen!" So beschreibt der amerikanische Kriegkorrespondent und Reisebuchautor Edward A. Powell den Hauptplatz Bhaktapurs 1929, in seinem Buch The last Home of Mystery. Der Kerl ist weit rumgekommen, keine Frage, Asien, Naher Osten, Europa, er sollte es wissen. Bhaktapurs Altstadt ist faszinierend, schon allein die engen Gassen und die seltsam zu einander gebauten Häuser machen die Stadtentdeckung spannend. Doch beginnen wir mal zunächst mit dem ganzen Gerassel und Gerappel, was die eng stehenden Mauern Bhaktapurs derzeitig erzittern läßt.
Bereits in den frühen Morgenstunden klirren die ersten Dissonanzen an die farbigen Wände des Dragon Homestay, verharren kurzfristig zwischen den Drachenfiguren und schleichen sich dann wimmernd an der Hauswand hoch, bis sie unser Fenster im ersten Stock erreicht haben und ungehindert in mein frühmorgendlich schlummelndes Ohr gelangen. Unglaublich, welch herzzerreißende Chalmei tönt da in meine zarten Marzipanörchen und bringt den Steigbügel in finstere Wallung. Zwei Straßen weiter macht sich eine lokale Tschingbummrassatäteräää-Capelle fertig, mit den anderen Stadtteilen in krach-musikalischen Wettstreit zu treten, Es wird
getrommelt und mit Beckenschlägen untermalt. Feistere Combos haben noch Flötenspieler im Programm, die dann wenigstens den Hauch melodischer Erstversuche verströmen. Aber nun gut, wir werden uns dem kulturellen Highlight des Jahres nicht verschließen und wackeln in die Altstadt Bhaktapurs. Natürlich können wir nicht einfach bis zum Taumadhi Square laufen, denn immer wieder dröhnt Blech- und Trommelgejaule aus den Seitengassen und - zack - wir sind mitten im Getümmel des musikalischen Wettstreits. Dann ist da auch kein Durchkommen mehr,
selbst die Rollerfahrer werden angewiesen, von graugewandeten Ordnungshütern, hinter der Blechfanfare zu warten, bis die Meute in der Dunkelheit der nächsten Basargasse untergetaucht ist. Die Einwohner Bhaktapurs feiern tagelang das Bisket Jatra Fest. Wie lange ist schwer zu sagen, denn die verschiedensten Informationsquellen widersprechen sich da ziemlich. Aber ich würde sagen, man feiert "länger" hier. Alles ist für das strukturgewöhnte Bleichgesicht recht
verwirrend. Also nix mit 28.12., Start Böllerverkauf, bis zum 31.12. verschämt illegal im Hinterhof Kracher zünden und ab 0 Uhr legal die Sau rauslassen, nix da. So nicht. Die Sache ist sehr komplex. Man feiert hier nicht einfach nur ein neues Jahr, nein, hier wird ein, wie soll ich sagen, allgemeines Aufatmen gefeiert, dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben. Daher machen hier jeweils alle Stadtviertel kräftig ihr eigenes Tschingbummrassatäteräää im Wettstreit mit den Nachbarn. Dazu kommt noch allerlei sportives Wettstreiten, aber dazu später
mehr. Wir haben uns in der 3. Etage eines Cafés verschanzt, was uns einen hervorragenden Blick über den Taumadhi-Platz bietet. Gegenüber liegt die wunderschöne, fünfstufige Nyatapola Pagode, rechts von uns der rechteckige Bhairavnath Tempel und außerdem haben wir eine gute Übersicht über die Dächer der Altstadt. Das Bisket Jatra Fest wird in den meisten größeren Städten des Kathmandu Tals gefeiert, jeweils völlig anders. Aber nun zu den Fakten, denn das ermöglicht vielleicht Licht ins Dunkel der derzeitigen Festivitäten zu legen.
Wie so häufig haben Feste im Orient ihren Ursprung in religiösen oder auch spirituellen Legenden. Mehr so verwaschen von den Wirren der Geschichte, sodass man sich heute auf einen historischen Minimalkonsens beruft und den Rest mit disneyhafter Farbigkeit hübsch abrundet. Nicht so in Bhaktapur, da feiert man - ziemlich ausufernd - das Bisket-Jarat aufgrund eines Märchens. Naja, alle glauben, dass es ein Märchen ist, aber, wer weiß das schon genau?' Ich bin ja immer der Meinung, dass eine coole Story die halbe Miete ist. Daher hier die Geschichte:
Alles beginnt mit einem König, der seine Tochter verheiraten wollte, also, so richtig - Es war einmal . . . Ein Bewerber nach dem anderen erscheint und alle ereilt das gleiche Schicksal: nach der Hochzeitsnacht, sind sie alle hin, tot! Mausetot, sozusagen. Das Volk sieht sich verflucht, ist jetzt mehr so eine metaphysische Sache. Psychologisch gesehen sowas wie "Stellvertreterleid", oder so ähnlich. Natürlich wird die Bewerberlage ziemlich übersichtlich mit der Zeit und am Ende will keiner mehr ran an die holde Maid. Aber, dann kam ein Kerl, ein ganz fuchsiger
Macker, der es schaffte, die Hochzeitsnacht hindurch zu wachen. Und siehe da, als die royale Braut im tiefen Schlafe schnorchelt, schlängeln sich da zwei giftige Nattern aus ihrer Nase. Der Mann der Tat erledigt die beiden giftigen Viecher, bricht natürlich damit den Bann und das Volk ist ihm ewig dankbar. Was soll mann da sagen, die ewige Dankbarkeit des Volkes zeigt sich darin, dass seine Messerstecherei nun jedes Jahr mit einem Fest feiert wird. Irgendwo habe ich gelesen, dass sich der newarische Name des Festes, Biska, aus der Kombination den beiden Wörtern „Schlange“ und „Tod“ herleiten lässt. Aha, so so! Wunder über Wunder des Orients.
Was soll ich sagen, Giftschlangen, Nasenlöcher, dolle Sache. Das rechtfertigt auf jeden Fall das ganze blecherne Gejaller, wie auch das getrommelte Tschingbummrassatäterääää. Noch ganz beseelt von diesen festen historischen Fakten, wird das Treiben auf dem Taumadhi Platz immer bunter. Blechcombo um Blechcombo strömt auf den Platz, macht Krach, gute Laune und verschwindet im Dunkeln der nebenliegenden Gassen und hinterlässt indifferente Schwingungen in unseren Gehörgängen. Doch die Menschen hier sind sehr ausgelassen. Man
hat sich herausgeputzt, die Frauen alle in ihren schwarz-roten sariähnlichen Gewändern, die Männer meist mit grauer Weste und dem Dhaka Topi. Interessanterweise hat die königliche Verwaltung Bhaktapurs früher die verschiedenen Berufssparten angewiesen, bestimmte farblich unterscheidbare Dhaka Topis zu tragen. Daher gibt es hier die verschiedensten Farbvariationen, die Metallbauer trugen bspw. ein schwarzes Dhaka Topi. Heute ist man unterwegs, ausgelassen. Alles ohne Alkohol übrigens. Statt dessen ist Vanilleeis ganz angesagt, denn es hat hier fast 30 Grad und Bhaktapur liegt auf knapp 1500 Metern. Überall tauchen
Familien auf, denn auch schon die kleinsten Familienzugänge sind ausstaffiert und toben ausgelassen über den Platz und zwischen all den Menschen umher. Für uns ist diese, ja schon fast kindlich-naiv anmutende Feierei, eine spannende Wohltat, wenn man mal im Hinterkopf behält, wie bei uns die Massen feiern. Für uns längst ausgestorbene Berufe sind hier und heute aktiv, wie der Wasserverkäufer, der mit zwei Messingkannen unterwegs ist, auf derem blank polierten Metall, Kondenztröpfchen perlen. Überall sitzen, stehen und laufen Menschen
vor den Tempeln, Schreinen und Pagoden. Der Eindruck einer völlig chaotischen Situation drängt sich dem westlichen Auge auf, doch dem ist nicht so. Ausufernde Ausgelassenheit ja, aber immer mit dem Rahmen einer gegenseitigen - sehr höflichen - Rücksichtnahme. Natürlich ist die historische Kulisse Bhaktapurs nun auch ein perfekter Rahmen für dieses Schauspiel.
Das Tauziehen haben wir leider verpasst. Genau - Tauziehen, der geneigte Leser hat richtig verstanden - das Tauziehen. Wenns mit dem Neujahrsfest so los geht, wird als Erstes ein wildes Tauziehen auf dem Taumadhi Platz veranstaltet. Aha, so so. Dabei müssen die Menschen des oberen und des unteren Stadtteils versuchen, einen knarrenden, dreistöckigen Wagen mit dem Bild des Bhairab auf ihre Seite zu ziehen. Mit dem Begriff "Bhairab" könnte man jetzt mit "Gott des Zorns" übersetzen, doch das würde der Sache nicht gerecht. Wenn jemand wütend ist, beziehen sich Nepalesen häufig auf den „Bhairab“-Aspekt der Person. Klar, oder? Sag ja, die spirituelle Seite des Orients ist nicht immer einfach!
Irgendwann während der ganzen Feierei wird der Wagen Bhairabs und ein anderer kleinerer Wagen, zu dem Hang oberhalb des Chuping Ghats gefahren. Wenn die Wagen dort angekommen sind, richten die Männer Bhaktapurs einen 25 m hohen Siegesmast auf, an dessen Querbalken zwei Fahnen hängen, die die beiden getöteten Schlangen symbolisieren. So weit so gut. Theoretisch - denn praktisch haben wir das nicht gesehen, da wir einen Tag verspätet hier angekommen sind. Jedenfalls gibts dann ein weiteres Tauziehen, bei dem die Anwohner versuchen, dass der riesige Mast auf ihre Seite (der Stadt) fällt. Die Veranstaltung ist nicht ganz ungefährlich und wir haben gehört, dass es dabei auch schon mal zu Todesfällen gekommen ist. Was soll ich sagen. Vielleicht ist doch nicht alles so naiv-kindlich, wie es von aussen so scheint.
Als das Tschingbummrassatäteretääää abebbt, verlassen wir unseren Beobachtungsposten und begeben uns ins Gewühl der schattigen Gassen. Die - scheinbar - planlos, eng stehenden Häuser, folgen übrigens einem bäuerlichen Prinzip Nepals. Um möglichst viel Land für die Landwirtschaft zur Verfügung zu haben, müssen die Häuser möglichst eng zusammenstehen, um nicht zu viel Ackerland zu vergeuden. Scheinbar ist man in Bhaktapur, in den Tiefen der Altstadt, nur zu gern dieser Maxime gefolgt. Überall stehen alte und neue Häuser, die im typischen Newari-Stil gehalten sind, eine Kombination aus roten Brandziegeln und kunstvoll geschnitzten Holzelementen. Die Stadtverwaltung unterstützt außerdem Familien finanziell beim Bau, wenn sie sich entschließen, nach altem Stil zu bauen. Das sollte bei uns mal einer machen!?! Bonne nuit folks!
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