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AutorenbildIngo

Oh kapitän, mein Kapitän . . .

Aktualisiert: 22. Sept. 2023

21. September 2023 - George Town

KM 5373


Wir sind in George Town. Normaler Name für Malaysia, wo doch alles irgendwie eher chinesisch klingt. Der Name ist übrig geblieben aus den Tagen, als man hier noch Cricket und Polo spielte, fünf Uhr Tee nahm und dazu short bread gereicht wurde. Zumindest in den Fachwerkhäusern in Devonshire. Irgendwann, so ab 1786 siedelten sich hier, an der nordöstlichen Spitze der Insel Penang britische Händler der Ostindischen Kompanie an. Natürlich musste der Monarch geehrt werden und so taufte man das monsoongeschwängerte Örtchen George Town nach König George III.. Mit den englischen Kaufleuten kamen auch alle möglich anderen Völkchen nach Penang. Chinesen, Inder, Araber und alle zusammen formten einen lustigen Schmelztiegel, der sich heute George Town nennt. Das bunte Durcheinander hat ein Siegel der Unesco bekommen,

was der Garant für den ständig und stetig fließenden Touristendollar ist. Dem ist auch so, denn wir haben heute in wenigen Stunden mehr Bleichgesichter in Outdoorbekleidung gesehen, als in den vergangenen 2 Monaten. Allerdings ist die Altstadt aber auch wirklich sehenswert, soviel ist mal sicher. Neben dem ganzen kulturellen Trallafitti ist George Town aber auch, bis heute, immer noch ein wichtiger Umschlagplatz für Gummi und andere landwirtschaftliche Güter. Früher schon war es einer der Hochseehäfen zwischen China und Indien. Kaum waren die Jungs von der Nordseeinsel in Penang heimisch, da hatten sie auch schon eine Festung gebaut, Fort

Cornwallis. Laut meines Wissens war ein gewisser Lord Cornwallis militärisch dafür verantwortlich, dass die amerikanischen Kolonien im Unabhängigkeitskrieg verloren gingen (und die USA entstand). Ob er für diese Leistung Namensgeber für ein schlammiges palisadengesäumtes Stück Palmenwald am Strand von Penang sein durfte, muss ich noch nachrecherchieren. 1804 wurden die Palisaden eingerissen und durch Steinmauern ersetzt, Kanönchen drauf und fertig war das Bollwerk gegen alle und jeden. Während die Briten an ihrer Festung und Kirchen rumdengelten, bauten die Chinesen ganze Stadtviertel, Langhaus an Langhaus und buddhistische Tempel. Inder ergänzten das ganze Sammelsurium durch etliche

Hindutempel und die arabischstämmige Bevölkerung rundete die spirituelle Vielfalt durch einige Moscheen ab. So sieht das bis heute aus. Die Geschichte George Towns in 100 Sekunden.

Das haben wir heute Morgen alles gelesen, als das Regenwasser in Strömen an unseren Schlafzimmerfenster hinab rann und uns einige schlumpfige Stunden in der Jogginplinte ermöglichte ohne das schlechte Entdeckergewissen haben zu müssen, jetzt alle touristischen Ziele auf einmal zu erkunden. In der Mitte der Insel Penang gibt es einen Höhenzug, der von Wolken komplett verschleiert war, so, dass wir gemächlich in die Pötte kamen, wie mein Vater zu sagen pflegt. Also, Regen heißt hier Sturzregen, nur so eine Anmerkung am Rande. Vor dem Haus fährt direkt die 401 nach Downtown George Town, nur 17 Stationen. Kaum sind wir im Bauch des öffentlichen Verkehrswals, gibt der Fahrer schon Mappe, wie der halbblinde Ernie in Harry Potters Zauberbus Der Fahrende Ritter. Die Fahrgäste bleiben gelassen, trotz der Tatsache, dass

Passagiere und Gepäck vor- und zurückgeschleudert werden, je nach Beschleunigungs- und Bremsgusto des Buskapitäns. Überhaupt, jedes zweite Wort ist hier Kapitän. Kapitän Moschee, Kapitän-Bier, Kapitän-Restaurant, Kapitän-Club, . . . Oh Kapitän, mein Kapitän, oder wie heißt das nochmal in Dead Poet Society, Oh Captain, my Captain! Der gute Gründervater Francis Light, muss ja ein ziemlich Kerl gewesen sein, dass bis heute so ein Schmarrn daraus gemacht wird. Nun gut, immerhin hat sein Sohn die südaustralische Stadt Adelaide gegründet. Sauber, ok, die Familie hatte es raus. Also lassen wir die Kapitänsnummer mal so stehen.

Wir erreichen lebend die Altstadt von George Town. Der Regen hat inzwischen aufgehört, doch die drückende Luftfeuchtigkeit ist jedoch geblieben und macht den Menschen hier klar, dass der Regen für heute noch nicht durch ist. Wir brauchen einen Kaffee, obwohl ich kurzfristig auch einen Aquavit vertragen könnte, um meinen durchgeschleuderten Magen zu beruhigen. Dann sind wir bereit für Kultur live! Wie erreicht man, dass das kulturbegeisterte Bleichgesicht auch tatsächlich in jede Gasse rennt? Genau - Streetart. Da hat man sich in George Town ein wirklich tolles Konzept einfallen lassen. Unterschiedliche Künstler haben sich kreuz und quer durch das Unesco Weltkulturerbe gemalt, geschweißt, skizziert und gestrickt. Mit mal mehr oder weniger Talent, wie ich finde. Also los!

Die Altstadt besteht aus überwiegend chinesischen Langhäusern. Wie das westfälische Reihenhaus, schmal wie breit und dafür irre lang in die Tiefe. Restauriert und zum niederknien schön, aber auch lädiert bis völlig runtergekommen, auf das ein hipper Glücksritter angeritten komme und die nächste ruinöse Chailattebude eröffne. So viele wirklich authentische chinesische Wohnhäuser hatte ich zuletzt in den Hutongs in Peking 2001 gesehen, bevor diese urigen, kleinen Viertel der Olympiade 2008 zum Opfer fielen. Tatsächlich ist diese Viertel herzallerliebst, man weiß gar nicht, wohin man zuerst fotografieren oder filmen soll, denn alles ist cozy, ohne wie eine gewollte Staffage zu wirken. Immer wieder reihen sich kleine Gebetshallen an die Behausungen der Kaufleute. Natürlich gibt es auch den ganzen touristischen Rummel, wie Rickschafahrer, Souvenirshops, Imbissbuden usw., trotzdem ist es nicht lästig, sondern fügt sich gut in das ganze Alltagskolorit des Viertels.


Besonders gekennzeichnete Bauten sehen wirklich aus, als würde Dr. Sun Yat Sen gerade mit steifen Kragen aus der lamellenverzierten Holztür treten, eine Rickscha heranwinken und im Gewühl belebter Marktgassen verschwinden. Der Sepiaton verblichener Tage überzieht die meisten dieser alten Gebäude, dass es nur so kribbelt. Und dann ist da Streetart. Viele ästhetische Fragwürdigkeiten, von Menschen, die sich zu Unrecht zum Gestalten berufen fühlen,




aber auch vieles, was heruntergekommenen Teilen dieser Stadt zu neuer Aufmerksamkeit verhilft. Besonders spannend finde ich die Wire Art, eine Form, kritische Cartoons mit Hilfen von dicken Kabeln an Hauswänden darzustellen. Die Stellen für diese Gestaltungsform sind zufällig, nicht besonders exponiert, so dass man auf Entdeckungsreise gehen muss, wenn man sie finden


will. Nachmittags muss ich zum Friseur. Wir sind an einem Barbershop vorbeigekommen, Anni und ich haben reingeschaut - und - beide innerlich beschlossen, der muss es sein. Zu alter amerikanischer Rock´Roll Mucke schneidet hier ein Team Pilzköpfe, Teds, Mods, Hillbillies, großartig. Ich kann entscheiden, ob ich beim Superior Head Cutter, beim Lead Head Cutter oder bei der Aushilfe die Haar gerichtet haben möchte. Der Premiumputz kostet 48 Ringit, unter 10 €. Ich sage, ist mir egal, es muss aussehen wie Bond! Das macht Leistungsdruck. Aber nach 45 Minuten haut der Superior Head Cutter alles raus, wenn auch seine Hände zittern, muss halt wie Bond werden . . . Anni hat viel Spaß, denn der Laden ist mehr so ein Kommunikationszentrum und kurzerhand ist sie mit allen möglichen Leuten im Gespräch, während Jackie, der Superior Head Cutter schwitzt und Bond schnibbeln muss. Klappt tadellos, bin bereit für Filmangebote!


Vorzeigbar können wir nun in die Clanhäuser gehen. Nicht, dass der geneigte Leser meint, wir würden jetzt was illegales machen. Dann hätte ich gesagt, jetzt können wir zu den Triaden gehen. Clan bezeichnet hier eine große chinesische Familiendynastie, deren Vorfahren wagemutig, so um Anno Tuk, mit irgendeiner gebrechlichen Dschunke von Kanton über das südchinesische Meer in George Town landeten und jene armen Kulis der Familie Koo hier ihr Glück versuchten. Und Glück scheinen sie gehabt zu haben. Denn ihr "Clanhaus" umfasst mehrere Häuserblocks, wie eine Festung durch die umgebenden Langhäuser ihrer, na sagen wir






mal vorsichtig, Mitarbeiter. Mit eigener Pekingoperbühne, Ahnentempel, Großküche, Gesindehäuser, und, und, und. Sehr beeindruckend und auch schön alt, so gar kein Vergleich zu den Disneytempeln von Ipoh! Natürlich hängen hier goldene Ahnentafeln, die zurückreichen bis zu Dschingis Kahn, und Plaketten von aktuellen Wohltätigkeitshilfen für die Bedürftigen und Armen dieser Welt. Alles in allem macht der Backs schon ordentlich was her und die kunsthandwerkliche Qualität der "kleinen" Gebets- und Ahnenhalle ist großartig. Ein wirkliches Kleinod inmitten der Langhäuser, unauffällig auf den ersten Blick und absolut sehenswert auf den Zweiten.




Natürlich haben wir heute nur einen kleinen Ausschnitt gesehen. In Little India waren wir nur zufällig, angelockt, von der lauten Mucke, den Curryschwaden, die durch die Gassen waberten und den grellen Shoplampen für die Sarianprobe. Darüber hinaus stehen wunderschöne Moscheen in der Altstadt rum, und, und, und . . . Also, viel zu tun morgen. Bonne nuit folks.




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