30. Januar 2024 - von Nong Khiaw nach Muang Hiem
KM 17.660
Als ich jung war, gab es für den euphorischen Motorradpilger eigentlich nur eine Herausforderung, die es wert war, gefahren zu sein. Die Gräberpiste nach Tamanrasset. Tamanrasset ist eine der Ausgangsorte für den Transsaharaverkehr zwischen Algerien und Niger. In den 80erJahren bekanntermaßen eine elendig staubige Rüttelei, kilometerlange Waschbrettabschnitte und nur eine 50 prozentige Chance auf das Erreichen dieses legendären Karawanenstützpunktes im Ahaggargebirge. Leider hatte ich nie Gelegenheit diese, unter Motorradnomaden, sagenumwobene Strecke zu fahren. Mir scheint immer irgendwie geopolitisch ein Strich durch meine Reiseplanungen gemacht zu werden. Denn dort herrschte eine Art Glaubenskrieg, als ich mit meiner rappeligen einzylindrigen Enduro auf den Weg in die Sahara war. Aber nun gut, auf unserer heutigen Etappe scheinen wir ein bisschen den afrikanischen Erfahrungsverlust, durch die Strecke von Nong Khiaw nach Muang Hiem, wett gemacht zu haben.
Alles fing schon damit an, dass unsere Landkarte drei Schreibweisen für den Ort Muang Hiem ausweist: Vieng Thong, Vieng Thong und Muang Hiem. Aha, so so? Unser Navigationssystem, kann den Ort gar nicht finden und bei booking.com tauchen die ersten Übernachtungsmöglichkeiter erst wieder in Phonsavan auf. Also muss Google ran und wir finden tatsächlich ein Guesthouse an diesem Hochlandknotenpunkt. Außerdem weist Google für die 160 Kilometer nach Muang Hiem, eine knapp 6 stündige Fahrt aus. Aha, so so! Das Guesthouse kann maps.me dann auch wieder orten und rechnet eine ungefähr gleiche Fahrzeit aus. Also wird geschwind die Bergziege bepackt und los - on the road!
Zunächst nehmen wir in Nong Khiaw aber noch in einem Café ein gutes Frühstück ein, bevor wir so gestärkt losfahren. Es ist überwiegend bewölkt und morgens auch ziemlich frisch, sodass wir eine isolierende Jacke unterziehen müssen. Mehrheitlich sind es 17 Grad, zumindest meldet das die Klimaansage der Bergziege. Der erste Teil der Strecke zählt zu den schönsten Landschaften, die ich je gesehen habe. Hohe und schroffe, kegelförmige Kalkberge, in den flachen Tälern sanfte Reisterrassen, Dörfer deren Häuser nur aus hölzernen Pfahlbauten bestehen. Unglaublich eindrucksvoll. Da wir ohnehin nicht schnell fahren können, bedingt durch enge kleine Kurven und große Schlaglöcher, gönne ich mir trotzdem hier und da einen Blick in diese sehr majestätische Natur. Anders als in Malaysia oder Thailand, ist die Vegetation am Tal zugewandten Straßenrand ziemlich kurz, sodass sich uns immer atemberaubende Blicke bieten.
Wermutstropfen ist natürlich, dass mehr und mehr gerodete Berghänge auftauchen. Aus Gesprächen wissen wir, dass die Hänge tatsächlich für die Gewinnung von Holzkohle gerodet werden und um anschließend darauf Bananen, Mais, oder auch eine Schilfart zu pflanzen, aus deren Fasern die Besen und Staubwedel für die laotische Nation gebastelt werden. Jedes Dorf hat hier seine Besenmanufaktur, was man immer zielsicher daran erkennen kann, dass büschelweise lange Pflanzenfasern in der Sonne trocknen. Oftmals kann man ein Dorf schon daran erahnen, dass auf der Piste leichte Bambusgestelle stehen, auf denen die zukünftigen Reinlichkeitsgeräte trocknen. Die Berghänge werden übrigens mittels Feuer gerodet, was häufig zu einen beißenden Feuergeruch führt, den man ebenfalls schon Kilometer im Voraus
wahrnehmen kann. Nach gut zwei Stunden und etwa 40 Kilometern, verändert sich die Dynamik unserer Tagesetappe. Vorsichtig formuliert. Nun tauchen verstärkt Abbruchkanten im Asphalt auf, mit anschließenden Pistenstücken, die 200-300 Meter lang sind und meist nicht aus Schotter bestehen, sondern dem Fundament der Straße. Das muss der geneigte Leser sich jetzt so vorstellen: Damit Regenwasser besser kanalisiert werden kann, werden die Straßen im
Hochland in regelmäßigen Abständen "geschlitzt". Durch die Rillen läuft das Wasser dann in die Dörfer oder auf die Hänge, an denen sich landwirtschaftliche Nutzflächen befinden. Massenhaft schwere Fahrzeuge erzeugen Bodendynamik und der Asphalt beginnt, innerhalb dieser "Schnittkanten" zu bröckeln und wird zunächst zu Schlaglöchern gefahren und schlußendlich pulverisiert sich der ganze Belag. Zurück bleibt das Kiesfundament als Fahrbahnbelag. Dabei ragen die großen Kiesel, in jeder nur erdenklichen spitzen Form, halb aus dem festplanierten
Kiesbett. Bedeutet, dass man gezwungen ist, ordentlich ab zu bremsen und um die spitzen Kiesel herummanövrieren muss. Natürlich liegen tonnenweise loses Kiesel- und Sandmaterial auf dem ziemlich unebenen Belag. So geht es nur langsam voran. Zumindest, wenn man nicht gewichtstechnisch bedingt, einen Rahmenbruch, einen Plattfuß oder gar eine zerschossenes Federbein riskieren will. Außerdem ist das ziemlich anstrengend, so rein körperlich. Stop and go, abbremsen, in Sekunden den "saubersten" Weg durch die Kieselfelder zu suchen. Hinzu kommt, dass die entgegenkommenden Fahrzeuge, das Recht des Stärkeren ausüben. Große
LKWs oder Überlandbusse bremsen nicht einmal, wenn sie ihren "rüttelfreiesten" Kurs durch den Schotter gefunden haben. So ein Moped bleibt Moped, egal wie breit und groß, wir müssen ausweichen. Das Gesetzt der Gräberpiste. Immer wieder schlagen lose Kiesel unter den Motor, an die Speichen oder der Hauptständer kratzt laut jaulend, in sehr tiefen Spurrillen am Gestein. Bei diesen "Steinschlaggeräuschen" ziehen sich meine Magenwände zusammen, doch bisher sind alle großen Steine lediglich gegen den Alluminiumunterbodenschutz des Motorblocks geschlagen. Dennoch rüttelt es permanent und diese Pistenabschnitte sind wirklich gruselig zu
fahren. Zwischendurch habe ich das Gefühl, dass wir systematisch die Bergziege zerlegen. Doch sie meistert alle Situationen unserer Gräberpiste nach Muang Hiem mit Bravour. Mehr noch, wir sind jetzt im Terrain angekommen, für das die GS gemacht wurde. Ich bin sehr erstaunt, wie "einfach" sich das schwere Motorrad durch diese Kieshölle hindurch arbeitet. Jawohl, das muss hier mal lobend erwähnt werden! In diesem Zusammenhang sollte ich erwähnen, dass vor einer Woche, genau auf dieser Piste, einem Franzosen der Rahmen seiner Triumph Tiger 900 gebrochen ist. Und der Mopedkollege ist nur mit leichtem Gepäck unterwegs und saß allein auf seinem Tiger! Die Gräberpiste halt!
Irgendjemand hatte uns erzählt. dass die Menschen am Straßenrand, besonders Kinder, nie winken. Das können wir nicht bestätigen, im Gegenteil, wo immer wir durch ein Hochlanddorf rütteln, kommen besonders die Kinder angerannt und winken frenetisch oder rufen" Hello,
Hello". Natürlich halten wir hier und da an, nicht nur um den Ausblick auf die Berge zu genießen. Auch, um mal Kontakt mit den Menschen aus den Bergen zu bekommen. Die ganzen Ethnien hier in den Bergen und überhaupt in Laos zu beschreiben, würde ziemlich viel Zeit einnehmen. Allein die geschichtlichen Irrungen und Wirrungen, von Mord und Totschlag, haben schon zu einer Durchmischung der laotischen Ethnien mit Burmesen, Khmer, Thailändern, Chinesen oder auch Vietnamesen geführt. Hier in der Bergregion leben verschiedene Stämme und da die meisten keine traditionelle Kleidung mehr tragen, eher Fußballtrikots oder Batman-Tshirts, ist eine Zuordnung für uns unmöglich. An Feiertagen tragen besonders die Hmomg-Gruppen ihre Landestracht, ansonsten Batman-Tschirts. In den späten 1950er Jahren wurde ein
Klassifizierungsschema entwickelt. Die Lao Loum („Tiefland-Laoten“), die Lao Theung („Berghang-Laoten“) und die Lao Soung („Hochland-Laoten“) sind zwar irgendwie ethnisch-kulturell definiert, entsprechen jedoch exakt den alten Klassifizierungen der Franzosen. Schon eine ziemlich krass vereinfachende Kiste, wie ich finde. Die Pathet Lao haben nach der Machtübernahme jedoch versucht die "französische Ethnienübersicht" genauer aus zu differenzieren. Seit der stattlichen Volkszählung von 2000 gibt es in Laos offiziell 49 differenzierte Volksgruppen. Aha, so so! Da wir natürlich kein Wort verstehen, was die Damen
und Herren in den Dörfern sagen und umgekehrt, hilft nur internationale Körpersprache - ein Lächeln. Als wir anhalten, sind wir natürlich Gesprächsthema Nr. 1. Männer sind nur wenige zu sehen, vermutlich sind sie an den Berghängen unterwegs. Mit einem Lächeln geht alles, doch, besonders die Kinder schauen uns mit derart großen Augen an, dass ihre Scheu größer zu sein scheint, als ihre Neugierde. Vor allen Dingen ältere Frauen bleiben eher im Hintergrund. Hier und da sieht man verstohlen ein wettergegerbtes Gesicht um die Ecken der Holzhütten linsen, das von silbrigglänzenden Haaren eingerahmt ist. Die Dörfer sind ganz unterschiedlich. Manche bestehen ausschließlich aus hölzernen Pfahlbauten, deren Wände dann aus geflochtenen Bambuselementen bestehen. Strom gibt es zwar, den hat dann aber tatsächlich ausschließlich der "Einkaufsladen" des Ortes. Gekocht wird ohnehin auf einem kleinen Holzkohlebecken, dass meist unter der jeweiligen Hütte steht. Gearbeitet wird auf der Straße, logisch, dann bekommt man ja alles mit. Somit weiß in Sekunden die gesamte Dorfgemeinschaft, dass da zwei seltsame Bleichgesichter mit einem krass großen Zweirad angehalten haben. Irgendwie wissen sie nicht so recht, was sie mit uns anfangen sollen, so bleibt es bei non verbaler Kommunikation und zwei, drei vorsichtig angefragten Fotos. Als ich sie ihnen auf dem Display zeige, macht sich immerhin ein breites Grinsen und lautes Stimmengewirr breit.
Andere Dörfer haben durchaus schon einen höheren Grad an "Zivilisation", nenne ich das mal vorsichtig. Stromanschlüsse, auch an Holzbauten, Betonbauten, Satellitenschüsseln und Mobiltelefone. Hat ein Dorf eine Tanke, so gibt es auch eine Straßenkreuzung und man kann mit Fug und Recht behaupten, hier geht die Post ab. Am frühen Nachmittag sind wir so durchgerüttelt, dass ich meine Muskeln im Schulter-Nackenbereich spürbar bemerke. Doch die
Gräberpiste bleibt unverändert anstrengend zu fahren. Dafür verändert sich die Landschaft mehrfach. Manchmal haben wir richtige Dschungelabschnitte, die schon sehr an Malaysia erinnern und manchmal könnte es auch das albanische Hochland sein. Spannend ist dabei, dass sich dieser Wechsel innerhalb weniger Kilometer vollzieht. Wann immer ein Gebirgsfluss auftaucht, wird das Land fürs Auge unfassbar schön. Dazu gesellen sich immer kleine windschiefe Hütten, Ziegen springen an den schräg abfallenden Weiden umher und die Landschaft bekommt etwas Sehnsuchtsvolles, was natürlich auch noch durch das weiche Licht der Nachmittagssonne unterstützt wird. Nach fast 7 Stunden erreichen wir Muang Hiem, müde
durchgeschüttelt und ziemlich staubig. Das Guesthouse ist einfach, aber sauber und das Bett lacht mich derartig an, dass ich um 18:23 Uhr das letzte mal auf die Uhr schaue und gut 12 Stunden durchschlafen werde. Bonne nuit folks!
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