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AutorenbildIngo

Dünnerwerdende Wäsche . . .

Aktualisiert: 28. Mai

27. Mai 2024 - Bodnath

KM 22.108


Nachdem das Internet jetzt zwei Tage super gelaufen ist, schwächelt es jetzt wieder massiv - pünktlich zum Schreibbeginn! Uäääää! So, das musste mal gesagt werden. Hoffe, dass sich das im Laufe des Tages wieder verbessert. Gestern sind allerdings chinesische Reisegruppen angekommen und den Damen und Herren, jeden Alters übrigens, sind inzwischen die Mobiltelefone an der Handfläche angewachsen, was vermutlich evolutionär bedingt ist. Außerdem bedeutet es, dass sie 24/7/365 online sind und überall facetimen, egal ob beim Frühstück oder im Tempel. Man möchte vorsichtig nicht mehr vom homo australopiticus sprechen, sondern mehr so vom homo digitalis. Was soll ich sagen? Das zerrt natürlich an der Netzkapazität und an meiner Geduld, wenn der Server meine Fotos nicht hochlädt, da nebenan ein tiktok-clip entstehen muss. Fotos hochladen scheint schon wieder unmöglich geworden zu sein . . .



   Doch zurück zu unserer Hotelsuite. Wir besprechen heute morgen unsere Equipmentverluste. Anni hält prüfend ihre Unterplinten vor dem Fenster ins Gegenlicht und prüft die Stoffdichte.

Die Opazität der Unterbüxchen scheint sich mehr so zur Transparenz hin entwickelt zu haben. Aber, gut, wir haben unsere Klamotten ja nun auch nahezu jeden Tag gewaschen, meist mit lokalem Waschmittel. Wunderliche Namen wie, Pink Romance - in Indonesien, oder Surf - in Indien, bis hin zu Tide Double Power - in Nepal, säuberten effektiv unsere Kleidung, von Teer, Abgasrückständen, Staub, Schlamm und auch Schweiß. Fast 365 Tage krasser Handwäsche, in diversen internationalen Hotelwaschbecken, zerrt scheinbar an der Fadenstärke. Zugegeben, Annis Buxe würde derzeit nicht mal mehr als möglicher Sonnenschutz durchgehen. Selbst als Topflappen fände ich eine Verwendung zweifelhaft, könnte man doch nicht Isolierleistung garantieren. Besonders hier, im buddhistischen geprägten Puritanismus Bodnaths, würde die stoffliche Transparenz der Plinte, schon als jugendgefährdend dünnwandig verstanden werden wollen. Was soll ich sagen. Dünnerwerdende Wäsche halt!

Zwei Tage vor Abreise überprüfen wir natürlich unsere Habseligkeiten, so gewichtsmäßig. Leider sind unsere neuen, in Thamel erworbenen, XXXXXL Sporttaschen, bereits voller Dinge. Da zählt jedes Gramm und ich vermute, dass Annis Büxchen nicht mehr den Heimweg antreten werden. Wir brauchen gerade die letzten Shampoo-, Seifen- und Kontaklinsenflüssigkeits-reserven auf und auch die 50er Sonnencreme bleibt hier, nach dem Wetterbericht zu urteilen, brauchen wir die daheim ohnehin nicht. Socken, Tourshirts, Unterwäsche hat super durchgehalten, doch alles was löchrig oder sonnenstrahlendurchlässig geworden ist, bleibt in Nepal.



Eigentlich haben wir kein Reise-Programm mehr, es gibt nichts zu tun, sozusagen. Damit sind wir ganz auf der buddhistischen Linie, die hier in jedem Winkel Bodnaths zu Tage tritt. Was so negativ klingt, ist jedoch ganz toll, denn wir folgen einer einfachen Routine, die so regelmäßig ist, dass uns selbst die innerstädtischen Kontrolleure nicht mehr kontrollieren. Wir gehen so gegen 9 zum Frühstück, danach wackeln wir die 300 Meter in den Stupabezirk. Dazu müssen wir an etlichen Klöstern vorbei, wo wir zu dieser frühen Stunde, mit musikalischen Kunststückchen, verschiedenster tibetischer Klosterinstrumente beglückt werden. So blecherne Alphornklänge röhren aus den sakralen Fugen, buntverzierter und bemalter Klostermauern, untermalt von, sich endlos wiederholenden gutturalen Brummgesängen, einer gehlig tieftonierten Männerband. (Hier ein Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=x5U0dfprrDA )



Meistens begrüßen wir alle rumdösenden Hunde, die irgendwo, kreuz und quer auf Straßen, Treppenstufen oder Klostereingängen liegen. Gerne schnorcheln sie mittig auf der Fahrbahn, sodass LKWs, Taxen und sonstige Verkehrsteilnehmer, höchst kritische Ausweichmanöver unternehmen müssen. In der Regel öffnet keiner der verflohten Vierbeiner nur ein Auge dafür, warum auch, im Besten Fall, also ich meine, im Falle des Überfahrenwerdens, könnte man ja als Mensch wiedergeboten werden. Wunder über Wunder des Orients! Doch verunfallte Hunde sind selten auf Nepals Straßen. Fahrzeuge, die in Hauswände brettern, andere Karossen touchieren oder im Straßengraben landen, dagegen nicht!

Nachdem wir allen pelzigen Vierbeinern des Viertels, unsere Aufwartung gemacht haben, begeben wir uns in die buddhistische Winkelgasse. Hier gibt es alles, was des Mönchs Herz



begehrt, egal, ob großer oder kleiner Mönch! Safranfarbene Unterkleidung, tiefrote Oberbekleidung, passende Nike-Sneaker in tiefrot und natürlich auch die passenden, tiefroten Socken. Tiefrote Windjacken und Schirme, tiefrote Taschen, tiefrote Angler- und Kapotthüte. Alles, was Mönch so braucht, Hauptsache tiefrot. Dazu kommen die ökonomischen Perlentaucher, meist Hindus, die Tonnen von Gebetsperlen feilbieten. Aus türkisem Stein, aus Holz, mit Metall oder Glasperlen, profan oder mit buddhistischen Gebämsel dran. Gebetsmühlen to go, Räuchergefäße, Tigeraugenarmbänder und für den Snob unter den Mönchen, passend zur tiefroten iWatch, auch tiefrote Kaschmirroben. Was soll ich sagen? In Messing gegossene Gebetsspindeln, tibetische Altardecken, Kissenbezüge und Tempelvorhänge. Wie gesagt, in Bodnaths Winkelgasse gibt es alles was man so rund um eine Stupa braucht.




Wir können unbelästigt passieren, denn wir kommen täglich her und haben schon beim ersten Mal deutlich gemacht, dass die grellgelbe Altardecke keine Kaufoption ist - oder auch nicht die wunderbare Vase für 17 Schekel. Vor etlichen Devotionalienvertrieben hocken Mönche, klönen, betteln oder intonieren brummig, buddhistische Weisen. Irgendwie erscheint es mir skurril einem Mönch Geld zu geben, der eine Apple Watch am Handgelenk trägt, aber, vielleicht verstehen ich auch einfach nicht den Kreislauf des Lebens. Routiniert schlängeln wir uns durch die sonstige Geschäftswelt mit tibetischen Trachten, Pelzmützen, Reitsätteln, Obst und



Tempelmuff. Nun ja, Tempelmuff ist ein gutes Stichwort. Hier werden natürlich nicht nur die Räuchergefäße angeboten, sondern auch das dazugehörige Pülverchen, um selbiges in Betrieb zu nehmen. Wo in Georgetown, Malaysia, der Tempelmuff vom Räucherstäbchen bis zum, 1Meter hohen, Räucherstab vertickt wurde, gibt es in Bodnaths Winkelgasse das Zeug schon in Säcken. Zunächst hatten ir uns noch in der irrigen Annahme befunden, dass es sich um Gewürze handeln würde, doch es ist einfach nur Räucherpulver, sackweise, halt. Da das nepalesische Essen manchmal so scharf ist, dass man eh nix schmeckt, kommt natürlich die Frage auf, ob sich da nicht einfach jemand nur im Sack vergriffen hat. Fragen über Fragen des Orients!



Die „Winkelgasse“ mündet in den „Kreislauf“ der großen Stupa, sodass der geneigte Pilger seine erworbenen Devotionalien sofort einsetzen kann. Man wird förmlich in den Strom der Menschen gezogen, die sich in ihrer spirituellen Umrundung des Heiligtums befinden. Es ist früh und daher ist der „Strom“ der Pilger, eher nur ein „Bach“. Überwiegend Mönche, ältere Frauen und Männer, einige Jugendliche und nur wenige Touristen, kreiseln im mantrischen Stechschritt um das weiß getünchte Juwel, buddhistischen Glaubens. Normalerweise würde unsere Routine das Ansteuern eines Cafés bedeuten, doch heute machen wir eine kleine Klöstertour. Rund 50 buddhistische Klöster gibt es in Bodnath und einige davon liegen direkt an der Stupa. Der geneigte Leser kann entspannt bleiben, wir besuchen nur zwei dieser religiösen Etablissements.







Einmal rum um den Backs, schwenken wir nach links und gehen in das erste Haus am Platz. Natürlich ist es sehr wuselig dort, denn im Untergeschoss befindet sich die Stupaveraltung und auch die Ringelblumenknüpferei. Die große Stupa wird rundum immer mit frischen, kilometerlangen Ringelblumengirlanden geschmückt, die im Untergeschoß zusammengedengelt werden. Da hocken rappelig dürre Frauen im Dunkeln und knüpfen, hockenderweise (!), Ringelblumengirlanden. Wir wandern an der riesigen Gebetsmühle und den dunkelgrün dominierten Wandmalereien vorbei in die erste Etage und treffen im oberen Bereich des Klosters auf einen unfassbar dekorierten Innenraum, in dem leider das Fotografieren verboten ist.





Das Zauberwort ist „Blessings, Blessings“. Kaum auf der Empore angekommen, stürzt schon ein, sagen wir mal vorsichtig, er ist rundum ein Mönch, auf uns zu. „Blessings, Blessings“, er will uns segnen, sofort, hinsetzen, Klappe halten, Segnen, Rechnung. Versuche ihm sanft, aber bestimmt, klar zu machen, dass ich kein „Blessings, Blessings“ will. Er ignoriert meinen Willen, deutet auf das tiefrote Kissen vor seinem Amtssitz und schnarrt „Sit!“. Ich lächle ihn an, ok mehr so Dirty- Harry-mäßig und versuche, trotz meines Blicks, mit aller Sanftheit, zu der meine





Stimme fähig ist, das hochherzige Angebot abzulehnen. Er gibt nicht nach, er will mir die Kopeken aus der Tasche ziehen. Irgendwann merkt er, dass er keinen Schnitt machen kann und wir sind allein in diesem buddhistischen Kleinod, voller alter Buddhafiguren, Wandmalereien und Behängen. Vom Dach des Hauses hat man einen schönen Blick auf die große Stupa. Das Licht ist leider grell und die ohnehin drückende Hitze, wird noch unterstützt von riesigen Butterlampen, die auf dem Dach ausbrennen und dann neu gefüllt werden.




Bald sind wir zurück in der Umrundung der Stupa, denn das nächste Kloster liegt auf der gegenüberliegenden Seite. Wir müssen uns beeilen, denn eigentlich ist das Haus von 11 Uhr bis 14 Uhr geschlossen. Zumindest steht draußen ein Schild, was die Öffnungszeiten so ankündigt.

Wir gehen zunächst noch einmal zwei Runden um die Stupa, ganz einfach, weil das irgendwie Spass macht und die Stimmung an diesem höchst spirituellen Ort einfach ansteckend ist. Außerdem gibt es dabei so viele verschiedene Gesichter zu sehen, dass wir uns einfach einreihen und zusätzlich auch das monotone Laufen in seiner Losgelöstheit genießen.







Das Kloster ist noch offen und so gehen wir rein, in die klösterliche Bude, in der Fotografieren gestattet ist. Im Innern erwarten uns irre Wandmalereien, deren inhaltliche Thematik sich uns natürlich nicht erschließt. Teile des komplexen Lebens Siddhartha Gautamas, lokale Buddhismusbezüge, oder auch historisch dargestellte Ereignisse, die den nepalesischen und tibetischen Buddhismus miteinander verknüpfen. Die Wandgemälde gehen „durch“, eine in sich geschlossen gemalte Choreographie, die sich über alle 4 Wände und auch durch die Nischen erstreckt. Große Trommeln, niedrige Sitzbänke, überall verteilt stehen tibetische Bücher - buddhistische Schriften im schmalen Querformat, und am Ende des Raumes eine 5-6 Meter hohe vergoldete Buddhafigur, deren Augen mich an den vergoldeten Aufbau der Stupa erinnert.









Was soll ich sagen? Man kann halt nicht immer gut gelaunt sein, oder aber Erleuchtung geht mit einem etwas kritischen Gesichtsausdruck einher. Erleuchtung hat ja mit Wissenszuwachs zu tun und wenn ich da an die Tempellöwen in Patan denke, hatten die bestimmt keine Erleuchtung? Im Klostervorraum ist eine riesige Gebetsmühle installiert, die sich träge dreht, als ich den Raum betreten. Ich mag dieses Kreisen, warum ist schwer zu erklären. Eigentlich soll das Drehen einer Gebetsmühle, das Ingangsetzen des Rades der Lehre durch Buddha symbolisieren. Gebetsmühlen werden übrigens immer im Uhrzeigersinn gedreht und sollen geistige und körperliche Aktivität in Einklang bringen. Nach der ganzen Dreherei in den vergangenen Monaten, bin aber so was von im Einklang, dass es kaum auszuhalten ist. Das Drehen einer Gebetsmühle dient zudem dazu, gutes Karma anzusammeln, was ich schön finde, denn zu meinem angesammelten Einklang kommt auch nich gutes Karma hinzu! Wunder über Wunder des Orients!





Nach so viel spirituellem Einklang und gutem Karma, sehen wir uns gezwungen, unserer spirituellen Routine zu folgen und das Kaffeehaus aufzusuchen. In den letzten paar Wochen haben wir uns einen wirklich entschlackenden Tagesablauf angewöhnt, wozu es auch gehört, mal einfach nichts zu tun. Einfach aus der Situation heraus, dass es nichts zu tun gibt. Wir sind beide aus einer völligen Hyperstressistuation in dieses Sabbathjahr gegangen, haben auf 22.000 Kilometer, in 7 Ländern, 24 Stunden am Tag, Eindrücke, Erlebnisse und Gedankeninput bekommen, dass es nun richtig gut tut, alles loszulassen und dem Gehirn eine aufgabenlose Zeit zu gönnen. In den vergangenen Wochen haben sich meine Gedanken selbstständig aus dem Überfütterungschaos heraus sortiert, Wichtiges von Unwichtigem getrennt und Unschönes



verworfen, um für Schönes Platz zu schaffen. Ohne, dass ich viel nachhelfen musste. Es war wie ein frischer Wind, der durch meinen Kopf geblasen wurde. Nicht, dass der geneigten Leser jetzt zu unken anfängt, dass der Wind zwischen meinen Ohren wohl auf keinen Widerstand mehr getroffen sei. Die ganzen Erlebnisse unserer Reise treten gerade - von ganz allein - sehr klar wieder zu Tage, was uns sehr freut, denn manchmal hatten wir Sorge, dass die Schlagzahl, in der wir Eindrücke verarbeiten mussten, vieles ins Dunkel des Vergessens verbannen würde.



Nach der monatelangen Reiseetappe des endeckenden Unterwegsseins, ist vor ein paar Wochen, die Reiseetappe der Langsamkeit angebrochen. Daher genießen wir diese Zeit, in der einfach nichts zu tun ist. Wir laufen um die Stupa, genießen die Harmonie der Menschen und die spirituelle Aura, die hier in den alten Gassen weht. Unser Stammcafé erlaubt den Blick auf die Stupa und auch den unaufhörlichen Strom der Gesichter, farbigen Trachten und dem unglaublichem Stimmengemurmel, welches über allem liegt. Es gibt nichts zu tun! Großartig und Bonne nuit folks!











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