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AutorenbildIngo

Dämmerung in Patan . . .

20. Mai 2024 - Lalitpur / Patan

KM 22.108


Die Flammen der Butterlampen flackern im Wind. Mal hektisch, mal seltsam still, bewegen sich die kleinen, gelblichen Flammen in einem seltsam synchronen Rhythmus. Der strenge Geruch von Butterwachs liegt in der Luft und böige Winde treiben beißenden Ruß erloschener Kerzen durch die engen Häuserzeilen von Patan. Lose Bewölkung liegt tief über den Gassen, verdunkeln kleine Seitenstraßen, produzieren bizarre Schattenspiele, doch darüber ist der Himmel immer noch eher dunkelblau, denn richtig schwarz. Längst ist die Beleuchtung unter den Pagodendächern der Altstadttempel angesprungen und konturieren die historischen Gebäude vor dem Hintergrund diffusen Lichts, das trübe Straßenlaternen verbreiten. In kleinen Messingschalen, montiert auf verwitterten Eisenschienen, vom Zahn der Zeit gekrümmt und nur wenig sorgfältig im Boden verankert, brennen Hunderte von Butterkerzen und erleuchten den jeweiligen Tempelsockel. Die flackernden Kerzen und die gedämpfte Lautstärke, die vom Durbar-Square herüber schallt, erzeugt eine betörend friedliche Stimmung. Entrückt, zeitlos und unwirklich. Der Moment zwischen Tag und Nacht, führt zu harten Kontrasten des Lichtspiels, wie bei einem Schattenspiel, dessen Figuren einer langsam steigernden Dramatik folgen. Der Wind verfängt sich an den Dachunterseiten der Tempeldächer und bringt die kleinen rotgoldenen Stoffbordüren in mantrisch wellenartige Schwingungen. Dämmerung in Patan . . .



Mit der Dunkelheit wird der Gang durch die kleinen Straßen und Gassen sehr spannend. Laternen sind nur den größeren und auch wichtigeren Verkehrswegen zugedacht und so findet man sich schon mal, von einer Sekunde auf die andere, in völliger Finsternis wieder. Die erleuchteten „Vierecke“ der Innenbeleuchtung, die sich auf dem Straßenbelag abzeichnen, sind häufig die einzige Möglichkeit überhaupt irgendetwas zu sehen. Während sich tagsüber das Leben auf der Straße abspielt, verlagert sich nun alles auf die Häuser. Mancher Einblick in die gedrungenen Erdgeschosse der historischen Bauten, flüstern spannende Geschichten. In einem engen Ladenlokal steht eine riesige Waage, eingepfercht zwischen gestapelten Reissäcken. Reis




wird hier in Patan meist portioniert ge- und verkauft, wobei man anschließend die Plastiktüte an die senkrecht angeschweißte Streben seines Mopedsturzbügels hängt. Reiskauf geht meist nur vom Moped herunter - egal, wie breit die Gasse ist. Die meisten Geschäfte kann man tagsüber gar nicht richtig „definieren“, denn oft hängt so viel Ware aussen an den Holztüren, dass man nicht weiß, wo das eine Geschäft anfängt und das andere aufhört. Doch die Dunkelheit offenbart jedes auch noch so kleine Ladenlokal, selbst, wenn es nur einen Meter breit ist und trotzdem



noch eine Treppe ins Obergeschoss beherbergt. Ein dunkler Schatten dort, entpuppt sich als überdimensionierte Yeti-Bierwerbung und dort im grellen Neonlicht einer nepalesischen Imbissbude, sehen wir, dass ein alter Hinduschrein mittig in der Küche steht. Unglaublich!Dieser Schrein ist definitiv älter, als die Küche. Entweder hat man das Gebäude um den



Schrein gebaut, was mich nicht wundern würde, oder der Koch ist so schlecht, dass er dringend spirituelle Intervention benötigt. Wer weiß das schon? Schreinplatzierung ist ein wichtiges Thema in Patan. Hier stehen 55 große Tempel, kreuz und quer in der Stadt verteilt. Die Anzahl der Schreine kann ich gar nicht beziffern, doch sie muss - zumindest gefühlt - im zweistelligen Hunderterbereich liegen. Innenhöfe, Kreuzungen, Fassaden, mittig auf Straßen, zwischen Häusern, überall gibt es irgendwelche religiösen Schreine, in Stein gemeißelt, in Messing gegossen oder auch nur als verwittertes Überbleibsel einer bewegten Geschichte, zwischen



Shiva, Brahma und Buddha. Doch niemanden stört ein Schrein mittig auf der Straße oder gar in der Imbissküche. Was soll ich sagen? Da fährt man in einem eleganten Bogen vorüber, natürlich nicht ohne dreimal hintereinander Brust und Stirn zu berühren, Ordnung muss sein. Ein Gang durch das abendliche Paten macht einfach Spass, denn hier verfällt eine Gasse in dunkle Schläfrigkeit, während sich andern Orts die Menschen treffen und den Feierabend einläuten.





Heute Nacht hat es erstmalig so richtig geschüttet. Tagsüber haben wir bisher aber immer noch richtig Glück gehabt. So, um 13:30 Uhr bis 15:00 Uhr donnert und blitzt es immer rum und danach kommt meist die Sonne raus. Das Wetter kündigt eben die Monsunzeit an und zwar mit großen Schritten. Gestern morgen saß ein junges Pärchen im Frühstücksraum, die sich gestern auf den Weg nach Pokhara gemacht haben. Ziel ihrerseits ist es, in den kommenden 8 Tagen das Annapurna Base Camp zu „erwandern“. Wir haben uns ein bißchen erstaunt angeschaut, denn im Annapurnagebiet ist jetzt schon die Regenzeit angekommen. Vergangene Tage, als wir das Wetter für unseren Everestflug gecheckt haben, konnte man die krassen Regenwolken sehen, die in der Verlaufsanimation über die Annapurna Range zogen. Aha, so so. Nicht, dass wir jetzt die Autorität in Sachen Himalaya-Trekking wären, natürlich nicht, doch irgendwie



checkt man doch das Wetter, bevor man sich aufmacht, auf gut 5000m hoch zu wandern. Was soll ich sagen, wir sind unendlich dankbar, dass wir wettertechnisch bisher immer den Hauptgewinn gezogen haben, sodass da mal ein bewölkter Tag in Patan nicht ins Gewicht fällt. Getreu unserer Devise - ein Sightseeing-Objekt pro Tag - haben wir inzwischen eine feste Patan-Routine entwickelt, die uns zusätzlich mindestens einmal täglich am Gabahal-Café vorbei gehen lässt. Wir merken, dass das gerade wirklich Not tut, denn die reisetechnische Entschleunigung bringt viele Gesprächsthemen zwischen uns ans Tageslicht. Also, keine Meinungsverschiedenheiten, sondern einfach Begebenheiten, die erinnerungstechnisch überlagert waren. Vielleicht hat der ein oder andere Leser vermisst, dass ich wenig über die



Begegnungen geschrieben haben, die wir mit anderen Menschen hatten. Was soll ich sagen? Wir haben unendlich viel gesehen, aber entscheidend waren natürlich die Momente, wo wir Menschen an „unserem“ Wegesrand getroffen haben. Da ich mir nicht sicher war und bin, ob es denjenigen Menschen immer recht wäre, in einem öffentlichen Blog verewigt zu sein, habe ich das immer recht wage gehalten. Doch dem geneigten Leser sei versichert, dass unsere Reise alleine durch die zufälligen Begegnungen an der Straße zu etwas ganz Besonderem gemacht hat! Wo wir jetzt gerade „so viel Zeit“ haben, kommen diese Begegnungen vermehrt an die Oberfläche unserer beider Bewusstsein und bieten viel Gesprächsstoff.



Heute Morgen machen wir uns auf, einen wirklich sonderbaren Tempel zu besuchen. Der Mahabuddha Tempel liegt sehr versteckt in einem engen Innenhof. Seiner eigentlich hinduistischen Bauweise zum Trotz, ist es ein buddhistischer Tempel, an dem man 34 Jahre rumkonstruiert hat. Der Weg dahin, bringt uns wieder durch schier unbekannte Gassen und Schleichwege von Patans Altstadt. Natürlich begegnen wir etlichen Hitimangas, kleinen, sehr schön restaurierten Pagodentempeln und durchqueren auch ein Stadtviertel, dessen Goldschmieden wir noch nicht kennen.



Die Dichte an Goldschmieden ist hier wirklich ungewohnt. Lalitpur ist bekannt für sein Kunsthandwerk, doch hier werden Goldene Buddhas und Shivafiguren in Größen angeboten, die man mal nicht so eben einkauft. Das geht vom Taschenschrein bis hin zu einem Meter hohen Goldfiguren. Beim Gang durch die Gemeinde haben wir heute immer wieder Goldschmiede bei der Arbeit gesehen, natürlich in erbarmungswürdiger Hockstellung, ohne künstliche Beleuchtung, mehr so im Stromausfall bedingter Halbfinsterniss. Der helle Klang des Schmiedens zeigt eindeutig, das hier kein Kukhrie, kein Gorkha-Messer - äh, Gartengerät geschmiedet wird, sondern filigranste Metallarbeiten stattfinden. Wir vermuten, dass die Goldschmiede von Lalitpur die religiösen Städten in ganz Nepal beliefern und vielleicht auch potente Laufkundschaft, die aber gezielt zu so einem Kauf aus China oder Indien anreisen.Anders kann ich mir nicht erklären, wie diese Läden alle existieren können. Legt man hier die Anzahl an Goldschmieden, im Verhältnis zur Bevölkerung Lalitpurs zugrunde, was in etwa den Einwohnerzahl meiner Heimatstadt entspricht, dann wären die zur Verfügung stehenden Ladenlokale des heimischen Prinzipalmarkts, ausschließlich von Goldschmieden besetzt. Keine Frage.




Ein gedrungener Torbogen, eng eingepfercht zwischen zwei rot geklinkten Häusern kündet vom Durchgang zum Mahabuddha Tempel. Man folgt einem ebenso engen „Gang“ und steht dann plötzlich vor einem wunderschönen Tempel, der komplett aus Ziegelstein gebaut wurde. Der Mahabuddha-Tempel ist Siddhartha Gautama, also dem historischen Buddha, gewidmet. Der Bau wurde auf Betreiben eines Priesters aus Patan durchgeführt. Der gute Abhaya Raj war Mitglied eines Klosters aus Patan, das heute eine „Zweigstelle“ im Mahabuddha unterhält. Wie praktisch, würde ich mal sagen! Der Tempel wird oft als „Tempel der tausend Buddhas“





bezeichnet, da auf jedem Ziegelstein ein Buddhabild eingraviert ist. Der ganze Tempel ähnelt sehr dem indischen Tempelbau, denn seine Shikhara ist dem Mahabodhi-Tempel im indischen Bodhgaya nachempfunden. Falls der geneigten Leser die Khajuraho-Depesche nicht gelesen hat oder jetzt gerade die Bedeutung des Begriffs "Shikhara“ entfallen ist, hier die Erklärung. „Shikhara" bedeutet wörtlich „Gipfel“ oder „Bergspitze“. Dies rührt daher, dass man hinduistische Tempel - als Sitz der indischen Götter - als „Weltenberg“ oder als Abbild des Himalaya begriff. Bautechnisch bedeutet das lediglich, dass man die Spitze als





hochaufragenden, leicht gekrümmten Tempelturm baute. Unser nepalesischer Priester hatte nämlich Indien, genauer gesagt Bodhgaya besucht und diesem Tempelideal wollte er nacheifern. Als er nach Nepal zurückkehrte, wurde er vom König als Münzmacher eingesetzt – ein lukratives Unterfangen. Daher machte Abhaya Raj ordentlich Kasse und konnte es sich wohl leisten diesen Tempelbau zu finanzieren. Wie so häufig in der Geschichte, erlebt der Mönch die Fertigstellung „seines“ Tempels nicht mehr. Doch seine seine Nachkommen arbeiteten über





Generationen hinweg - wie gesagt, es brauchte 34 Jahre - an dem Denkmal und vollendeten das Projekt 1601. Neben seiner sehr ungewöhnlichen Platzierung, so in einem engen Innenhof, gehört der Tempel tatsächlich zu einem der schönsten Bauten, die ich in diesem Teil der Erde gesehen habe. Vielleicht kommt aber noch hinzu, dass wir fast völlig allein hier waren und die friedliche Stimmung, mit den flackernden Butterlämpchen, dem angenehmen Räucherstäbchenduft und dem hellen, zurückhaltenden Glöckchenklingelei uns so beeindruckt hat. Wunder über Wunder des Orients. Bonne nuit folks!


PS - Das internet ist heute wieder ne´ Katastrophe!





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