28 August 2023 - Von Padang Sidempuan nach Balige
KM 3874
Zwischen den Berghängen können wir den Lake Toba sehen. Tief unten im Tal stürzt ein Fluss derart über Stock und Stein, dass wir trotzdem hoch oben auf dem Höhenzug und durch die völlig undurchdringliche Vegetation die Fließgeräusche des Wassers hören können. Das Tal fällt zum See hin ab und es scheint als würden die Berghänge sich vor der Erhabenheit des Sees verneigen und zur Seite drängen . . . Dann werde ich bedrängt, von einem drängenden Kellner, der dringend eine Bestellung haben möchte. Schließlich stehe ich kontemplativ auf seiner Aussichtsplattform und so bestellungslos rumkontemplanieren geht halt nicht. Essen oder gehen! Jawohl. Ich gehe oder vielmehr wir fahren weiter, denn bis Balige, unserem heutigen Etappenziel ist es nicht mehr weit. Noch während der Weiterfahrt, denke ich viel über das Hochland nach, das wir seit drei Tagen durchfahren. Wie leben die Menschen hier, sind sie glücklich fernab unserer digitalen, hektischen Welt. Für uns erweckt es den Eindruck, dass es hier tatsächlich sehr um das Basisleben geht. Was Essen, Dach über dem Kopf, Kochen, Feuer, Wärme, Wasser, Bekleidung, waschen, usw. Da können einem schon mal Dinge über den Weg laufen, die wir so nicht mehr aus dem Alltag kennen. Da war heute bspw. eine ältere Dame, nun ja, sie sah aus wie meine Großmutter, als sie ihren 80. Geburtstag hatte - und Omma, wie der geneigte Ruhrgebietler so sacht, hat eine riesige Axt in ihrem Beutel, mit der schlendert sie einfach an der Hochlandstraße entlang. Dabei ist sie so klein und schmal und das Ding ist echt riesig gewesen. Möchte nicht wissen, was sie damit so verhackstückt hat - im wahrsten Sinne des Wortes. Omma hat eine Axt!
Wir verlassen Padang Sidempuan um 7 Uhr morgens, ohne Frühstück. Das Mutiara Hotel, sah gut aus, aber nur auf den Fotos, in Realität ist es ziemlich heruntergekommen. Darüber hinaus ist der Rezeptionist auch noch super arrogant. Gut, kein Problem, kann ich auch. Also soll er mir erst mal ein paar Zimmer zeigen, bevor ich entscheide, ob wir bleiben. Wir hatten bei Google einige haarsträubende Bewertungen gelesen und so ein bißchen musste ich den Kommentaren zustimmen. Zuerst zeigt er mir flüchtig ein Zimmer, sagt „OK!“ und will wieder zur Rezeption. Sein „OK“ war nicht mal als Frage gedacht, sondern er stellt fest, dass das unser Zimmer wird. „Nicht OK!!“ Er stutzt, hält inne, „Nicht OK?“ Jetzt kommt schon mehr eine fragenden Intonation zum Vorschein. „No, not OK!!!“ Seine Augen befinden sich auf meiner Brusthöhe und an seinem hochwandernden Blick sehe ich, dass er das Maß an Stress abwägt, was mein Dirty-Harry-is-back-Blick verspricht. Er zeigt mir ein anderes Zimmer. „OK!?“ Kommt schon mehr fragend, aber im Grunde immer noch eher feststellend. Der Putz bröckelt von den Wänden und wie im Zimmer zuvor riecht es, als hätten sich 5 Kettenraucher zum Pokern getroffen. „No!!!’’ Er macht ein Gesicht und schaut auf mein Gesicht, das jetzt visuelle Eiszapfen produziert. Dilemma. Ich hole mein Handy hervor, zeige das Bild des Zimmers, aufgrund dessen wir die Übernachtung gebucht und bereits bezahlt haben. „I want this room, I’ve already paid for!!!“ Dilemma. Ich denke mal, dass die Bilder aus der Eröffnungsfotogalerie stammen und er kein adäquates Zimmer zum Bild hat. Wir stehen an der Rezeption und er versucht wild jemanden anzurufen. Niemand geht ran. Immer wieder. Kein Erfolg. Er beginnt zu schwitzen, ich höre auf zu schwitzen. Dann sage ich ihm, dass er niemanden erreichen wird, was ihn sehr verwirrt. Magische Kräfte? Ich zeige auf das Handy seines Kollegen, was hinter der Rezeptionstheke liegt. Sein Kollege hat einfach Mittag gemacht und die Universal Keycard mit genommen. Er bittet um Verständnis, ich warte. Sein Hemd beginnt Schweißflecken zu bekommen. Ich bleibe stehen, der Eiszapfen in Person, dann kommt der junge Kollege hereingeschlendert, beladen mit Hemdchentüten voller kulinarischer Leckerigkeiten. Er wird zusammengefaltet, drückt die Karte ab und ich werde höfligst gebeten mit in den Aufzug zu steigen, damit er mir das beste Zimmer des Hauses zeigen kann. Befriedigt stelle ich fest, dass sein Hemd so aussieht, wie gewöhnlich meins. Er kann richtig nett sein, so mit Servicegedanken des geneigten Hoteliers. Ok, dann kann ich das auch. Wir werden uns einig. Nicht das Zimmer vom Bild, aber immerhin fällt nur wenig Putz von der Wand und wir müssen auch nicht unter die Passivraucher gehen.
Padang Sidempuan ist eine seltsame Stadt. Viel Militär, etwas schmuddelig und wir sind so auffällig wie zwei Eisverkäufer in der Sahara. Die Stadt und auch das Umland haben etwas, was wir in der Form, das letzte Mal auf Java gesehen hatten. Einen lokalen öffentlichen Nahverkehr. Im Hochland scheint man mehr von einem Ort zum anderen zu reisen, als bspw. an der Küste. 40 Kilometer vor Padang Sidempuan kommen wir durch eine krasse Kleinstadt. Wir sind so gemütlich durch die Berge gegondelt, da kommt hinter der letzten Serpentine vor der Stadt der gesamte Verkehr zum Erliegen. Hunderte Koranschüler scheinen Unterrichtsende zu haben und streben rechts und links der Straße den schrottreifen, kleinen Überlandbussen zu, die sie in die entlegene Peripherie bringen sollen. Dazu kommt eine „Kleinstadt“ aus nummerierten Einzimmerholzbuden, die systemlos angeordnet neben und zwischen den Schulungsgebäuden stehen. Junge Männer, zwischen 10 und 25, angetan mit einem weißen Hemd, einem langen Untergewand und einem weißen Gebetskäppchen, arabische Schriften unter dem Arm, strömen zu den Fortbewegungsmitteln. Kleinbus an Kleinbus, sodass wir keine Chance haben, irgendwie
an dem Chaos vorbei zu kommen. Irgendwo zieht eine Klassen junger Mädchen vorbei, tief verschleiert, ähnlich uniformiert. Es scheint eine islamische Akademie mit Internatsbetrieb zu sein und vermutlich angeschlossener sonntäglicher Koranschule. Wir werden ganz finster gemustert, so völlig anders, als im restlichen Indonesien, wo wir einfach nur willkommen waren. Hier scheinen wir die Vorboten von irgendwas ganz Schlimmen zu sein. Anni raunt mir zu, „Nur schnell weg!“ Ungefähr eine Stunde lang schlingern wir durch die Menschenmassen und verschiedenste Transporthindernisse. Dazu kommt noch ein neuer Verkehrsteilnehmer im Biotop der indonesischen Alltagsmobilität: Das Motorradtaxi mit Seitenwagen. Davon gibt es die unterschiedlichsten Exemplare, die aber alle eins gemein haben. Sie halten den Verkehr auf. Hat man ein Gespann vor sich und kommt eins entgegen, kann man schon nicht mehr überholen, jedenfalls nicht, wenn man eine Bergziege mit Koffern fährt. In Padang Sidempuan gibt es eine Steigerung. Wie durch ein Wunder scheint es in dieser Stadt eine lebhafte Vespa-Szene zu geben, die alle im Taxibusiness verhaftet sind. Denn diese alten Italiener haben alle einen Seitenwagen, der so klein ist, dass schon der Zwerg als solcher, sehr sorgfältig Glied auf Glied legen muss, damit ein Transport im Beiwagen überhaupt möglich ist. Und es sind richtig viele Vespen Padang Sidempuan unterwegs. Des Abends kommt außerdem noch die beleuchtete Kutsche hinzu, von der ich leider in voller Fahrt nur noch die Rückseite ablichten konnte.
Wir nehmen die Nebenstrecke zum Toba See. Im Grunde ist es egal, ob man den Trans-Sumatra-Highway fährt, oder die Nebenstrecken, denn die Straßen sind identisch in Breite und Zustand der Fahrtbahn. Die Nebenroute ist nur leerer. Hinter Padang Sidempuan geht es steil die Berge rauf, immer zwischen 400 und 1000 Meter über N.N. Die Berge sind undurchdringlich bewaldet und häufig ist die Straße so zugewachsen, dass keine Aussicht möglich ist. Manche Gegend ist so verlassen, dass wir uns schon fragen, warum existiert hier überhaupt eine Straße. Als Antwort passieren wir etliche, ziemlich heruntergekommene, Militärstützpunkte, die nicht mal Wachen am Tor, geschweige denn einen Zaun haben. In Sipirok steht dann auf einmal eine Moschee auf dem Berg, wogegen der Petersdom wie eine Dorfkirche daher kommt. Aber wofür? Hier ist einfach niemand?
(Das Bild ist nicht von mir - Google-Search - Sipirok Moschee)
Nach der obligatroischen Kopibude gelangen wir auf ein Hochplateau, dass ungefähr auf 700-800 Meter hoch liegt und die Nebenstrecken bei Tarutung in den Trans-Sumatra-Highway einmündet. In der Kopibude haben wir nun endlich verstanden, warum auf Sumatra Hektoliter der Bärenmarke-Kondensmilch verkauft wird: Man nehme ein Glas fülle 2 cm hoch Bärenmarkekondensmilch ein, gebe Palmzucker hinzu, White Coffee Instandpulver und heißes Wasser! Fertig ist der Hochland-fernab-der-Zivilisations-Kaffee-Latte. Ich ihn echt lecker, das da soviel Dosenmilch reinkommt, war mir nicht klar. Ab er klar ist, warum überall Bärenmarke verkauft wird, in 0,5 Liter-Gebinden.
In Balige machen wir einen Zwischenstopp für eine Nacht, da wir eigentlich auf die Insel im Toba See wollen. Von Balige sind es aber noch einmal 75 Kilometer und das ist uns einfach zu stressig. Wir haben ein super schönes Hotel, dass wir gegen Mittag erreichen, sodass tatsächlich heute, trotz Etappenfahrt, Zeit für einen Stadtrundgang bleibt.
Natürlich gehen wir auf den Markt, denn uns sind die Lidschis ausgegangen. Wir werden fündig, irgendwo zwischen dem getrockneten Fisch (der hier eine ziemlich gute Qualität haben muss, denn man riecht das Zeug nicht) und den Gemüseständen. Außerdem probieren Salak (sprich: Sala), die Anni sehr anspricht mich nicht so. Etwas muffig, zumindest für meinen Geschmack. Die Schale der Frucht sieht aus wie meine Schlangenlederboots, braun und schuppig, läßt sich aber leicht schälen/abpellen. Im Englischen heißt sie auch Snake Fruit, wenn ich das auch noch richtig im Kopf habe. Der Markt ist großartig, auch wenn es schon Zeit zum Einpacken ist, haben die Menschen hier uns schon ziemlich schnell ins Herz geschlossen. Überall wird gelacht, vermutlich auch das ein oder andere Mal, weil das vierschrötige Bleichgesicht sich wieder mal den Kopf an den Überdachungen gestoßen hat.
Auf dem Rückweg - gut 3 Kilometer - müssen wir natürlich wieder an allen Indonesiern vorbei, die schon auf dem Hinweg "Hey Mister!" gerufen haben. Tatsächlichkeit die gesamte Konversation beginnt wieder von neuem, mit ordentlichem Augenzwinkern. "Hey Mister Dschörmany!" oder "Hey Mister Järmani!" Aber ich mag Menschen mit feinem Humor. Mit der Dämmerung kündigt sich ein großartiger Sonnenuntergang an, in Kombination mit den tiefhängenden Monsoonwolken über dem See. In der letzten Kurve ruft uns eine Frau nach, die offenkundig viel Humor hat oder die letzte Regierungserklärung der Ampel gelesen hat, "Good night Järmanie'!" Bonne nuit folks!
AI ist auch nicht schlecht: Lange Dollyfahrten sind stets äußerst reich an unterschiedlichsten Begebnissen und da Abwechslung Vielfalt bedeutet, müssen auch Dinge und Begebenheiten vielfältig und abwechslungsreich sein. Dass dies so ist, führt uns auf vortreffliche Weise diese Historie vor Augen, die sich aus vielfältigen Episoden zusammenfügt, wodurch der zentrale Handlungsfaden immer wieder abreißt, was uns vor die schwierige Frage stellt, wo und wie er am besten wieder aufzugreifen wäre. Nicht alle Dinge, die sich tatsächlich ereignen, sind auch erzählenswert und können oder sollten daher, obwohl sie geschehen., besser unerwähnt bleiben, ohne dass die Geschichte dadurch Schaden nähme. Manche Begebenheiten sollte man lieber verschweigen, weil sie zu gewichtig und bedeutend sind, um sie in Worte zu fassen, andere wiederum sollte…