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AutorenbildIngo

108 Kuhköpfe . . .

01. April 2024 - Muktinath

KM 21.122


Also, da gibts so eine Geschichte mit 108 Kuhköpfen. Nun ja, schwer vorstellbar, so in unserer Kultur, wo die Höhe der Präzision immer glatte, gerundete Werte sind. 100, 200, 300 . . . Aber 108! Seltsam, wirklich. Wir stehen vor einem kleinen, dreistöckigen Tempel, der von einer kleinen Mauer umgeben ist. Halb um diesen kleinen Tempel sind vier graubraune Bruchsteinmauern angeordnet, vielleicht 2 Meter hoch, an deren oberen Kannte, über die gesamte Länge der Mauer, 108 goldene Kuhköpfe Wasser speien. Heiliges Wasser, reinigendes Wasser und was weiß ich nicht noch alles? Dieser kleine Tempel, der schon eher das Format eines Legolandgebäudes hat und die 108 wasserspeienden Kuhköpfe, sind der Grund, warum jedes Jahr Hunderttausende hinduistische Pilger die Strapazen auf sich nehmen und hoch ins Himalaya nach Muktinath reisen.



Wir sind seit gestern in Muktinath. Der Ort liegt auf 3760 Höhe in der nepalesischen Provinz Mustang, das ehemalige Königreich Mustang wohlgemerkt, nördlich der Annapurna Range. Wir machen erst einmal einen Rundgang, sehr langsam. Ich merke die Höhe, nicht in Form von Höhenkrankheit, sondern, dass man schon mal kurzatmig sein kann. Der Ort selbst heißt gar nicht Muktinath, sondern Ranipauwa, weshalb wir auch erst gar nicht unser Hotel im Navi



finden konnten. Das kleine Städtchen Ranipauwa mit seinen zahlreichen Hotels, Pensionen, Cafés, Restaurants und Souvenirläden ist ein Zwischenstopp für hinduistische und buddhistische Pilger aus aller Welt, auf dem Weg zum Tempel von Muktinath. Außerdem kommen hier die meisten Wanderer auf dem beliebten und derzeit auch sehr belebten Annapurna Circuit vorbei und übernachten in einem der zahlreichen Hotels oder Guesthouses.



So richtig schön ist Ranipauwa eigentlich nicht. Es stehen noch ein paar alte nepalesische Bruchsteinbauten, doch das Örtchen rüstet sich für den Touristenboom. Denn, die "Straße", die sich im Bau befindet, wird es zukünftig, vorsichtig mal gesagt - so in 15 Jahren, wenn man die Baugeschwindigkeit in Betracht zieht, wesentlich erleichtern, in diese abgeschiedene Region zu gelangen. Abgeschieden ist es hier, obwohl es ganz schön rummelig ist. Karawanen von Treckern mit ihren Trägern und Führern, latschen im Minutentakt durch die unbefestigten,



staubigen Straßen der aufstrebenden Touristenmetropole. Der Strom an Pilgern, die zu Fuß zum Tempel von Muktinath hinaufgehen, oder per Pony oder per Sänfte hochgetragen werden, reißt erst gegen frühen Abend ab und setzt dann aber auch schon vor Sonnenaufgang wieder ein. Wir lassen die Szenerie erst einmal auf uns wirken, machen ein Café ausfindig, was auch tatsächlich einen hervorragenden malzigen Milchkaffee kann. In der warmen Abendsonne hocken wir da zweckfrei, auf so nepalesischen Hockern vor der Kaffeetränke, während die Prozession verschiedenster Menschen und Kulturen an uns vorbeizieht.




Da wir den Tempel für morgen auf dem Programm stehen haben, besuchen wir kurz einen kleinen buddhistischen Tempel, der leicht erhöht, in der Mitte der Ortschaft liegt. Natürlich werden an provisorisch zusammengedengelten Holztischen alle möglichen religiösen Devotionalien feil geboten, doch es ist der gleiche Kram, der auch in Pokhara und vermutlich in ganz Nepal angeboten wird. Überall im Dorf stehen gesattelte Pferde herum, die darauf warten, Pilger die verbliebenen 50 Höhenmeter zu den Tempeln zu bringen. Für uns ist das sehr seltsam, vor allen Dingen die kleinen blauen Sänften, wo - recht häufig - eher korpulente, betuchte Inder, von vier erbarmungswürdig klapprigen Nepalesen den Hang zur heiligen Städte hochgewuchtet werden. Doch, das krasseste ist die Sherpa-Ich-AG, die sich einen Stuhl auf den Rücken bindet und darauf sitzende Pilger, die Stufen zum Tempelkomplex hochträgt. Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich es nicht glauben.





Das buddhistische Tempelchen wurde schon ganz im tibetanischen Stil gebaut, ist wunderschön bemalt und in Anbetracht des frühen Abends, auch menschenleer. Das weite Tal, mit seinem unvergleichlichen Panorama - im Osten die Nordwand des Annapurna 1 und gegenüberliegend der Dhaulagiri und die sich anschließenden Sechstausender Tukuche Peak, Thapa Peak und Sechi Lek, zwingen uns in der Abendsonne den Blick in diese Weite zu genießen.






Heute morgen ist es richtig kalt. So um die 0 Grad. Wenn jetzt der geneigte Leser die Augenbrauen hebt und sich im Stillen denkt, dass ist doch nicht kalt - ich meine 0 Grad inne Bude, im Hotelzimmer! Dafür ist der Blick vom Bett aus der Kracher, wärmt zwar nicht, ist aber eine Erinnerung wert. Der Himmel ist stahlblau, ok, es ist arschkalt, aber der Blick, der Blick! Was soll ich sagen? Angeblich haben wir warmes Wasser, doch nachdem ich es mehrere Minuten hab laufen lassen, wird da nix warm. Also, hier die erste Dschungelprüfung des Morgens. Gefühlt, muss ich das dünne Eis auf unserer Waschschale zerstoßen - Scherz - aber


nur so mit einem Handtuch um die Hüften, wars schon eisig. Wir reinigen uns mit klaren, eisgekühltem Himalayawasser und machen uns auf, die Pilgerstätte Muktinath zu erstürmen, langsam versteht sich. Nach dem Frühstück, es ist so 08:15 Uhr, schlappen wir durch das erwachende Dorf. Verschlafene Souvenirverkäufer hocken in der wärmer werdenden Morgensonne, die gerade erst über den Bergrücken, des 6144 Meter hohen Thorong Peak





gekrabbelt ist. Die schneebedeckten Gipfel sind überall im Dorf omnipräsent. Auf den neu angelegten Treppenstufen, die nach Mutinath hinauf führen hat sich schon ein Pilgerstrom gebildet. Langsam und stetig, dann geht es gut. In meinen Blutbahnen kribbelt es, ich hoffe, dass ist ein gutes Zeichen - so höhentrainingslagermäßig. Ungefähr auf der Hälfte des Aufstieges, können wir auf einer Bank Pause machen, die uns einen spektakulären Blick auf die verschneiten Gipfel des großen Himalaya ermöglicht. Da liegt die Nordwand des Annapurna 1 in Morgensonne und natürlich läßt der Dhaulagiri sich auch nicht lumpen und fesselt unsere Aufmerksamkeit.






     Muktinath ist ein Vishnu-Tempel, der sowohl Hindus als auch Buddhisten heilig ist. Alleine diese Tatsache finde ich ziemlich bemerkenswert. Natürlich war die Anlage irgendwann einmal, so bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, rein buddhistisch geprägt, doch die üblichen historischen Wirren von Mord und Totschlag, führten dazu, dass die neuen Herrscher eher hinduistischen Glaubens waren, aber eben auch ein bißchen den Buddhismus gut fanden. Man weiß ja nie? Der Komplex ist eine der höchsten Tempelanlagen der Welt, auf ca 3.800 Meter über N.N.. Die Gebäude sind alle recht klein, architektonisch auch mehr so tibetanischer Natur.



So kann man sich nie sicher sein, ob man gerade vor einem buddhistischem oder hinduistischem Gebäude steht. Doch die Stimmung in der Anlage ist sehr angenehm. Für viele Pilger ist es die Erfüllung eines Lebenstraumes und so gesehen, erklärt sich die überufernde Euphorie der meisten Menschen hier. Die Bauten sind ziemlich alt und die religiösen Geschichten und Bedeutungen so vielfältig, dass es für uns nahezu unmöglich ist, einen genauen Überblick über die spirituelle Bedeutung dieser kleinen Tempelanlage zu bekommen.




Diese alten tibetanisch-nepalesischen Gebäude, haben vor dem Hintergrund der Berggipfel natürlich einen sehr pittoresken Charme, so viel ist mal sicher. Der Begründer des tibetanischen Buddhismus, Guru Rinpoche, muss hier irgendwann einmal auf dem Weg nach Tibet vorbeigekommen sein und hat die Wegespause zur Meditation genutzt. Was macht ein wahrer Gläubiger, klaro, baut einen Schrein, eine Stupa oder gleich einen Tempel. So, nu wird's kompliziert! Die Quelle der Shilas oder Shaligramas, die für die Errichtung eines Vishnu-



Tempels erforderlich sind, werden aus dem Kali Gandaki gespeist. Damit dieses Wasser nun für die reinigenden Zeremonien benutzbar ist, also so im spirituellen Sinne, müssen Shaligramas im Wasser gefunden werden. Ein Shaligram ist ein Ammonit, der im Hinduismus, auch als eine Form von Vishnu gilt. Und - jawohl - im Kali Gandaki finden sich haufenweise Ammoniten oder andere versteinerte Fossilien, die man übrigens hier auch in jedem Souvenirshop zu Hauf



bekommen kann. Warum so ein bröseliges Fossil nun Vishnu verkörpert, entzieht sich derzeit noch unserer Kenntnis, doch damit waren alle spirituellen Voraussetzungen gegeben, hier einen heiligen Hinduschrein mit reinigenden Wasserspeiern zu errichten. Muktinath gilt als einer der heiligsten Wallfahrtsorte für Hindus. Es gibt 108 Wasserquellen, eine Zahl, die in der hinduistischen Philosophie von großer Bedeutung ist. Ehrlich gesagt ist es eine Quelle, die in



108 kuhköpfige Wasserspeier geleitet wird, doch wir wollen da mal nicht so pingelig sein. Warum jetzt 108 Kühe, also stilisierte Kühe, denn der erste und letzte "Kuhkopf", sieht eher aus, wie ein Drachenkopf. Vielleicht ists ne hinduistische Drachenkuh, wer weiß das schon. Ich habe schon lange keinen Überblick mehr, über all die religiösen und spirituellen Strömungen, die wir in den vergangenen 9 Monaten besucht und gesehen haben. Aber zurück zu der Zahl 108: Als Beispiel für das Mysterium rund um die Zahl 108 nennt die hinduistische Astrologie 12 Tierkreise, die sogenannten Rashi und neun Planeten, die sogenannten Navagraha, ach die, was insgesamt 108 Kombinationen ergibt. Aha, so so! Das erklärt einiges.



Nun laufen die meisten gläubigen Pilger, die hierher nach Muktinath kommen, unter dem reinigenden Wasser hindurch, was so langsam aus den Kuhköpfen sprudelt. Spirituelle Reinigung aller Sünden, usw. Wem zu kalt ist, der geht einfach vorbei und wirft sich bei jeder Fontäne eine Handvoll Wasser in die Visage und ist auch sauber. Ähnlich wie am Ganges, wo die Pilger ebenfalls heiliges Flusswasser in Kanistern mit heim nehmen, füllen sich hier die meisten Gläubigen ebenfalls Wasser für daheim ab. Allerdings, muss es aus allen 108 "Quellen" sein. Der Ein oder Andere nimmt es damit nicht so genau und geht, wenn die Buddel voll ist. Anni, noch ganz gestählt von der Eisdusche des Morgens, macht in Vischnu-Handwasch-Methode. Ich sehe ja keinen Unterschied zu vorher, aber sie ist felsenfest davon überzeugt, dass alle Sünden weg sind! Welche, wollte sie nicht näher erläutern.



Muktinath wird als Ort auf der Erde verehrt, an dem sich alle fünf Elemente, Feuer, Wasser, Himmel, Erde und Luft befinden, aus denen alle materiellen Dinge im Universum bestehen. Aha, so so - gute Luft und klares Wasser sind da mal schon ganz weit vorne. Naja, ob der Straßenstaub hier als Element Erde durchgeht, weiß ich nicht? Zusammen mit der umgebenden Erde, der Luft und dem Himmel gibt es im Jwala-Mai-Tempel eine Quelle mit einer Flamme direkt über dem Wasser. Da herrscht Andrang, obwohl sie da spirituell es bißchen schummeln. Denn das Element Feuer, dat Flämmken, wie man so im Pott sacht, entstammt natürlich einer Gasbuddel und soll den Anschein erwecken, als ob das Wasser selbst brennt.



Natürlich gibt es auch heilige buddhistische Schreine und Tempel, doch die Informationen sind hier weit rarer, als die Hinduinfos. Das macht aber nichts, denn immer wieder werden wir magisch von den Bergen angezogen und verweilen einfach in staunender Stille vor dem majestätischen Anblick. Die ganzen Berghänge sind mit Gebetsfahnen übersäht, sodass es






überall farbig flattert. In den beiden buddhistischen Haupttempeln ist nix los, zwei gelangweilte Novizen bewachen die heiligen Stätten, doch ausser einigen buddhistischen Touristengruppen aus Japan, herrscht wenig Andrang. Einzig das Panorama lockt auch die hinduistische Meute unter den Kuhköpfen hervor und lädt zur Selfiephase der Pilgerreise ein. Große Gebetsmühlen, Holzschnitzereien, besticke Wandbehänge und natürlich wieder einmal das Bergpanorama






runden auch die buddhistische Hälfte von Muktinath ab. Aber so richtig buddhistisches Leben findet hier nicht statt. Es gibt zwar eine Nonne, angeblich, die hier Gebetszeremonien abhält, davon war heute aber nichts zu sehen. In Ermangelung religiöser Anleitung, wandern wir den Hang rauf zu einigen kleinen Schreinen, die oberhalb von Muktinath am Berghang liegen. Hier hört man nur noch den, inzwischen ordentlich aufgefrischten Wind und das Flattern der Gebetsfahnen.




Langsam und gemächlich begeben wir uns wieder bergab. Meine Atmung hat auch 3800 Meter gut mitgemacht. Langsam halt. Wir drehen noch eine Runde durch das Dorf, doch außer Seiden- und Wollschals, Gebetsmühlen, 108ter Gebetsperlen und sonstigem Hinduschnickschnack, ist da nix zu holen. Wieder mal scheinen wir nicht Zielgruppe zu sein. Anni ist auch ein bißchen




maulig, weil wir immer noch keine Yaks zu Gesicht bekommen haben. Ersatzweise biete ich ihr einige von strubbeligen Minikühen an, aber dass scheint nicht das Wahre zu sein. Yak bleibt Yak. Immerhin hatte ich gestern Abend einen Yakburger, der zwar lecker war, aber nachher wie ein Bremsklotz im Magen lag. Was soll ich sagen? Vielleicht ist das mit den Yaks so, wie mit den Tigern in Indien und den Elefanten in Thailand, gibts gar nicht! Fragen über Fragen des Orients. Bonne nuit folks!





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